parallax background

Biblische Botschaft ist im Knast schwer ins Wort zu bringen

16. Dezember 2023

Nachdem ich die Außenpforte des Gefängnisses erreicht habe, muss ich bis zu meinem Büro neun schwere Stahltüren auf- und wieder zuschließen. An das Geräusch des Knochens, wie der Schlüssel seiner Form wegen im Knast heißt, habe ich mich gewöhnt. Will ich von meinem Büro zu einem Haftraum gehen, liegen wieder ungezählte Stahltüren vor mir. “Mal eben” schnell geht nicht.

Öffne ich die Haftraumtür, versuche ich sie behutsam zu öffnen. Hinter der Tür, so weiß ich, fühlen sich viele Inhaftierte unwohl, wenn der Schlüssel als Machtinsignium gebraucht wird. Der Schlüssel drückt Macht aus. Lautes kräftiges schließen drückt eine Botschaft aus. Ebenso das bewusst leise schließen. Der Schlüssel steht bei vielen für die Freiheit. Wer den Schlüssel hat, ist frei. Mit der Art und Weise wie ich eine Zellentür aufschließe kann ich die Stimmung dessen beeinflussen, der hinter der Tür lebt. Ich kann ihm das Gefühl geben machtlos zu sein (alle Macht liegt bei mir) oder ich kann mit meiner Art zu schließen und „anzuklopfen“ dem Gefangenen schon signalisieren, dass ich ihn respektiere. Ohne sich gesehen oder gesprochen zu haben kann die Chemie zwischen dem Inhaftieren und dem Schlüsselträger schon verdorben sein. Oder, wenn es gut läuft, freut sich der Gefangene, dass die Tür aufgeht.

Ob die Schlüssel passen

Es mag vielleicht eine der Arten sein, sich eine eigene Welt hinter den Mauern zu schaffen, sich denen zu entziehen, die mit ihren Schlüsseln Zugang zu den Türen haben. Auch die GefängnisseelsorgerInnen gehören dazu. Ob die Schlüssel zum Zugang zu inhaftierten Menschen mit Empathie und mit Sensibilität passen, erweist sich im konkreten Miteinander. Das gegenseitige Sich-Hochschaukeln und das Nicht-zeigen-können von vermeintlichen Schwächen fördern kaum eine Achtung und Akzeptanz untereinander. Hinter den Straftaten stehen Menschen mit ihrer Geschichte und Erkrankungen. Manche zeigen Reue, manche überspielen und manche lehnen jegliche Aufarbeitung ab. Der harte Umgang untereinander erübrigt oft eine positive Wendung hin zu mehr Menschlichkeit. Vielleicht betritt Gott diese Welt deshalb auf den Füßen eines Kindes.

An den Wolkenverschieber

Über den Gefangenen XY finde ich eine Meldung in meinem E-Mail Postfach. Vom Inhaftierten YZ wird die Akte gesucht zwecks einer  Stellungnahme. Dem Gefangenen des Gemeinschaftshaftraumes kann noch keine Arbeit angeboten werden, weil die Akte noch nicht gelesen wurde. Für die Diagnostik wird ein Gesprächsprotokoll erstellt. So ist das, alles wird im Justizvollzug akribisch festgehalten, notiert und verschriftlicht. Dabei möchte manch einer einfach nur ein unbeschriebenes Blatt sein. Wer mich im Gefängnis sprechen möchte, muss einen so genannten schriftlichen Antrag schreiben. Da steht: „An den Fahrer, an den Vara, an den Pfarra, an den Prista, an den Gefangenenseelenversorger“ oder an den Pastor. All dieses bekomme ich immer wieder zu lesen. Im Smalltalk bin ich der Wolkenschieber, der Himmelskomiker, der Tabakkurier. Dabei verteile ich keinen Tabak, wenngleich viele das gerne hätten. „Himmelskomiker“ passt, denn viele finden es komisch, dass ich vom Himmel rede in ihrer Hölle. Manche lachen, wenn ich von Vergebung spreche in einer Einrichtung für Vergeltung. Sie lächeln milde wenn ich predige, dass Jesus forderte in einer Schlägerei auch die andere Wange hinzuhalten. Die biblische Botschaft ist schwer ins Wort zu bringen bei all der Erfahrung, die ihr entgegensteht. Und doch ist sie wahr…

Hans-Gerd Paus | Michael King

 

Feedback 💬

Ihre E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert