Dass Religion bei einigen gefangenen Menschen eine große Rolle spielt, kann man teilweise schon auf den ersten Blick sehen, anhand von Tattoos. Nicht selten werden als Motive religiöse Symbole gewählt. Sowohl das Kreuz, teilweise mit einer Rose verbunden, als auch betende Hände kann man in verschiedenen Größen wiederentdecken. Auch Bibelverse oder Rosenkränze kommen vor.
In einigen christlichen Traditionen, wie beispielsweise in Ägypten oder Eritrea, gilt eine Tätowierung als fester Bestandteil des Glaubenslebens. Wie die Taufe ist auch eine Tätowierung ein untilgbares Prägemal. Das Gefängnis ist (für die Gefangenen) ein Lebensraum, da dort Menschen leben und einen gemeinsamen Weg gehen. Durch die Initiative des SeelsorgerIn bilden sich Gruppen, welche sich versammeln, um Gespräche zu führen, das Wort Gottes zu hören und zu beten. Durch die Spannungen zwischen kirchliche und staatliche Anforderung, zwischen verschiedenen Personengruppen, zwischen Erwartung und Realität wird die pastorale Tätigkeit vor besondere Herausforderungen gestellt. […]
In gewisser Weise kann man für theologisch helfende Berufe eine bestimmte Grundorientierung aus der Bibel angeben. Die Parabel des barmherzigen Samariters (LK 10,25-37) wird als einer der Kerntexte für diakonisches Handeln angesehen. Das beinhaltete Doppelgebot der Liebe hat eine zentrale Bedeutung in sozialen Berufen. Paulus schreibt in Gal 5,13-15 und Röm 13,9 über das Liebesgebot und die Nächstenliebe. Das Liebesgebot wird anschließend in den synoptischen Evangelien insgesamt fünf Mal aufgenommen. Nicht nur im Neuen, auch im Alten Testament findet man sogenannte Liebesgebote. Einmal in Lev 19,18 als Liebe des Nächsten im Sinne des Volksangehörigen. Das andere Mal in Lev 19,34 als Liebe gegenüber dem Fremden. Dadurch wird deutlich, dass die Liebe nicht auf die Glaubensgeschwister beschränkt sein soll, sondern auch auf Fremde ausgeweitet werden soll. Grundlegend für christliches Handeln und christliche Ethik, welche im Liebesgebot zusammengefasst wird, ist eine bestimmte Grundhaltung. […]
Wirkungen im Vollzug
Fast alle GefängnisseelsorgerInnen können von Veränderungen während ihrer bisherigen Berufslaufbahn berichten. Herr Mayer aus der JVA Heilbron stellt erschreckender Weise fest, dass Gewaltdelikte, Totschlag, versuchter Totschlag, Mord und versuchter Mord bei Jugendlichen immer mehr zunehmen. Das menschliche „Niveau“ ist seiner Meinung nach heute viel niedriger als noch vor 25 Jahren. In kleineren Anstalten wie beispielsweise der JVA Brandenburg werden weniger Unterschiede festgestellt, wobei die Konstellationen der Gefangenen im Gefängnis immer durch einen ständigen Wechsel und neuen Herausforderungen geprägt ist. Je länger man innerhalb eines Gefängnisses arbeitet und dort bekannt ist, desto mehr Menschen vertrauen einem und „desto mehr öffnen sich die Herzen der Inhaftierten und die Türen der Bediensteten“, sagt Herr Steifel von der JVA Heilbronn.
Insgesamt bringt die Untersuchungshaft oftmals noch einmal einen anderen Vergleich, da dort meist mehr Gesprächsbedarf in kürzeren Zeiträumen besteht. Während der Corona Pandemie mussten auch die GefängnisseelsorgerInnen ihre Arbeit innerhalb der Justizvollzugsanstalt verändern. Zunächst mussten die Gottesdienste in manchen Anstalten ganz abgesagt werden, seit April 2020 können alle drei Wochen Präsenz-Gottesdienste innerhalb der Gefängniskapelle gefeiert werden. Manfred Heitz aus der JVA Frankenthal schaffte eine neue Gelegenheit für Gottesdienste mit Hilfe des internen Gefängnis TV-Kanal, über den die Gefangenen die „Knastpredigten über YouTube“ weiterhin schauen können. […] Im Januar 2021 ging der Kanal „Der Knastprediger“ auf YouTube für alle Menschen online, auf dem (fast) jeden Sonntag eine Kurzpredigt hochgeladen wird. […]
Einfluss auf SeelorgerInnen
Die Gefängnisseelsorge hat nicht nur Auswirkungen auf die Gefangenen. Sie kann auch die SeelsorgerInnen beeinflussen. Positiv, aber auch negativ. Viele der SeelsorgerInnen hatten noch keine negativen Auswirkungen auf sich selbst bemerkt. […] Die Ergebnisse von Untersuchungen zeigten, dass häufiger positive Effekte bei HelferInnen eintraten. Besonders dann, wenn die Häufigkeit des Helfens erhöht wurde. Dennoch gibt es auch einige Schattenseiten der Seelsorge im Gefängnis. Manche Taten, die man im Gefängnis mitbekommt, sind so schrecklich und furchtbar, dass sie trotz aller Professionalität einen Schatten auf der Seele hinterlassen, so Herr Mayer von der JVA Heilbronn. Es ist wichtig, dass man sich selbst als SeelsorgerIn nicht vergisst und das viele Leid, die Schuld und was man auf der Arbeit erlebt nicht mit nach Hause nimmt.
Schwer fällt es einem besonders dann, wenn man gegen seine eigenen Wertvorstellungen oder seine innere Moral handeln muss. Auch das kommt in der Gefängnisseelsorge hin und wieder vor. Teilweise beschäftigen einen die Taten der Insassen und man stellt sich selbst moralische Fragen dazu. Herr Pitsch von der JVA Brandenburg erzählt, dass es einem öfters schwerfällt, manches zu verstehen oder nachzuvollziehen. Nachfragen stellen oder darüber sprechen kann oft sehr helfen. Doch auch die Schweigepflicht ist für ihn manchmal schwer auszuhalten. Teilweise stehen SeelsorgerInnen die Sicherheitsvorgaben oder die Hausordnungen der Justizvollzugsanstalten im Weg. Aus menschlicher Sicht würde man gerne für die Gefangenen etwas tun, doch die Vorgaben der Justizvollzugsanstalt erlauben es nicht. Das können für SeelsorgerInnen oft Situationen der Ohnmacht sein, die angenommen werden müssen, auch wenn man es selbst gerne anders hätte. Nicht nur für die SeelsorgerInnen, auch für die Gefangenen können Hilfsleistungen negative Auswirkungen haben und deswegen beispielsweise abgelehnt werden.
Nicht jede Hilfe ist gut
Die Freiwilligkeit der Gefängnisseelsorge ist nicht nur von Seiten der Inhaftierten. Auch die SeelsorgerInnnen können Hilfsmaßnahmen ablehnen oder nicht anbieten, wenn sie gegen ihre Vorstellungen oder Regeln verstoßen und sie diese damit als schlechte Hilf einstufen würden. Gerade Hilfen, die Unselbständigkeit oder sogar Abhängigkeiten fördern lehnt Herr Prießnitz grundsätzlich ab. Hilfsmaßnahmen, die in seinen Augen erhebliche Nachteile für anderen bringen würden sind für ihn keine guten Hilfen. Die SeelsorgerInnen sind sich einig, dass Hilfen, die mehr Schaden anrichten würden, welche die Kompetenzen überschreiten würden oder das Verantwortungsgefühl minimieren würde, schlechte Hilfen sind und abgelehnt werden. Auch Hilfen, die Gefangene ausdrücklich ablehnen sind keine gute Hilfe. Sobald eine Hilfe der hilfesuchenden Person schadet, würde Herr Stiefel von der JVA Heilbronn eine Hilfe ablehnen.
Ebenso finanzielle Gründe können Gründe für die Ablehnung einer Hilfe sein. Frau Niederberger von der JVA Frankenthal ist es wichtig, dass eine Hilfe für alle Inhaftierten eine Hilfe sein kann. Wenn dies aus beispielsweise finanziellen Gründen nicht geht, lehnt sie diese Hilfeleistung ab. Auch die Vorgaben der Anstalt oder die Sicherheit der Beteiligten können Gründe für eine Ablehnung sein. Wichtig ist, dass die (angefragte) Hilfe demjenigen auch wirklich weiterbringt. Eine Fluchtgefahr von Gefangenen kann auch gegen eine Hilfeleistung für Herrn Mayer von der JVA Heilbronn sprechen.
Wem nicht geholfen werden will oder wer keine Bereitschaft hat, sich ändern zu wollen, dem sollte man das auch nicht aufzwingen. Nur wer auch bereit ist, dazuzulernen und Impulse aufzunehmen, kann diese versuchen umzusetzen. Falsch wäre es, umsorgt zu sein und jemanden ändern zu wollen, der dies gar nicht will. Wichtig hierbei ist es, dass die Möglichkeiten, die es gibt genutzt werden, um Gefangenen zu helfen. Nicht jede Hilfe ist eine gute Hilfe, allerdings kann auch in gemeinsamen Gesprächen deutlich werden, wie und warum innerhalb der Seelsorge gehandelt wird. Durch solche Gespräche können auch Unterschiede deutlich werden, die bei den Gefangenen durch die Seelsorge ausgelöst wurden.
Auszüge aus der Masterarbeit + Befragung von GefängnisseelsorgerInnen von Mirjam Oettel