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Gefängnisseelsorge kümmert sich um junge Häftlinge

13. Dezember 2022

Eine Girlande mit Nationalflaggen 32 verschiedener Länder hängt unter der Decke, bunte Teppiche schmücken die Wände, und in einer Ecke sitzen Kuscheltiere. Das Büro von Michael King ist farbenfroh – allerdings bekommt er hier manch ernste Geschichte zu hören. King ist seit zehn Jahren katholischer Gefängnisseelsorger in der Justizvollzugsanstalt Herford, einem von vier Jugendgefängnissen in Nordrhein-Westfalen.

Michael King, Gefängnisseelsorger in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Herford, im Gespräch mit Häftlingen in der Gefängniskirche.

215 Häftlinge im Alter von 14 bis 24 Jahren sitzen dort ein – vom Schwarzfahrer bis zum Gewalttäter, vom Dieb bis zum Vergewaltiger. King organisiert Gespräche, Gottesdienste und Begegnungsmöglichkeiten. Unterstützt wird er von einem ebenfalls hauptberuflichen evangelischen Kollegen und muslimischen Seelsorgern, die auf Honorarbasis in das Gefängnis kommen. Jeden Morgen finden die Seelsorger etwa 10 bis 15 Gesprächsanfragen in ihren E-Mail-Postfächern. Wenn die Häftlinge Zeit haben und nicht zum Beispiel durch Arbeit oder Ausbildung gebunden sind, holen sie sie zum Einzelgespräch in ihren Zellen ab. Kommen darf jeder – unabhängig von Herkunft und Religion.

Der Rest kommt automatisch

Die Flaggen-Girlande in Kings Büro ist ein Überbleibsel der Fußball-WM 2014. „Unsere Häftlinge stammen aus vielen unterschiedlichen Nationen. Manche erkennen ihre Flagge wieder, und man kommt sofort ins Gespräch“, sagt der gebürtige Baden-Württemberger in weichem schwäbischem Akzent. Der Theologe hat zunächst als Pastoralreferent in Kirchengemeinden und später als Gefängnisseelsorger in Sachsen-Anhalt gearbeitet. Für King ist nicht entscheidend, welches Verbrechen ein Häftling begangen hat. „Ich frage zuerst danach, wie jemand aufgewachsen ist, welche Familie er hat und welche Schule er besucht hat. Der Rest kommt dann automatisch.“

Am häufigsten plagen die Gefangenen Beziehungsgeschichten. Für die meisten sei es schwierig, den Kontakt zur Freundin, zu den Eltern oder zu den Kindern zu halten. „Oft sind die Familienverhältnisse nicht so ideal.“ King versucht in solchen Fällen, Lösungen zu finden und spricht auch mit den Angehörigen. Vor Kurzem sei die Pflegemutter eines Häftlings gestorben. „Er konnte natürlich nicht zur Beerdigung fahren.“ King erreichte, dass die Schwester bei der Feier filmte und die Aufnahmen live ins Gefängnis übertragen konnte. Auch Ausgänge zum Grab eines Verstorbenen hat der Seelsorger schon begleitet. „Wir fahren dann unter hohen Sicherheitsvorkehrungen zum Friedhof – mit zwei Beamten und mit Fußfessel. Das ist nicht optimal, aber immerhin eine Möglichkeit, sich zu verabschieden.“

Michael King, Gefängnisseelsorger in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Herford, spricht mit einem Justizvollzugsbeamten auf dem Weg zu einem der Gebäude.

Reaktionen kommen unmittelbar

Jeden Sonntag bietet King gemeinsam mit seinem evangelischen Kollegen einen Gottesdienst in der Gefängniskirche an – einem über 140 Jahre alten Bau mit Rundfenstern, Kuppel und Glocke. Die Bänke wurden bei einer Renovierung entfernt; bei den Gottesdiensten sitzen Seelsorger und Häftlinge im Stuhlkreis. Meist kommen 15 bis 20 Teilnehmer. Im Mittelpunkt steht jeweils ein biblisches Thema, das mit dem Leben der jungen Männer zusammenhängt – etwa die Frage, wie Jesus mit Sündern umgeht oder wie er Menschen heilt. Die Reaktionen der Gefangenen kommen in der Regel unmittelbar, wie King erzählt. „Die rufen dazwischen ‚Was reden Sie denn da?‘ oder ‚Das stimmt doch gar nicht.'“. Für den Theologen ist das vollkommen in Ordnung: „Wir können hier keine abgehobene Predigten halten, sondern wir arbeiten viel mit Symbolen und Ritualen. Das Anzünden von Kerzen steht zum Beispiel ganz hoch im Kurs.“

Knast-Krippe

Vor Weihnachten wird in der Anstalt eine „Knast-Krippe“ aufgestellt, die ein Holzbildhauer eigens für das Herforder Gefängnis entworfen hat. Jesus ist als Häftling auf einem Zellenbett dargestellt. Maria und Josef sind Mutter und Großvater, die ihn besuchen. Dieses Jahr sollen drei Hirten hinzukommen: Gefangene, die im Hof Karten spielen. „Das haben wir gemeinsam mit den Häftlingen überlegt“. Weihnachten ist laut King ein schwieriges Thema im Gefängnis. „Viele haben letztes Jahr noch mit ihren Kumpels und ihren Familien gefeiert und sind nun hier. Da kommen viele Emotionen hoch.“ Zwar gebe es einige Aktionen wie die Krippe und einen Gottesdienst an Heiligabend. „Wir bemühen uns aber, das nicht überzubetonen.“

Absolute Vertrauensperson

Insgesamt schicken die beiden großen Kirchen bundesweit rund 500 hauptamtliche Seelsorger hinter die Gefängnismauern. Sie werden zu großen Teilen vom Staat bezahlt. In einigen Bundesländern werden inzwischen auch hauptamtliche muslimische Seelsorger entsandt. King, der beim Erzbistum Paderborn angestellt ist, hält die staatliche Finanzierung für gerechtfertigt: „Es muss eine absolute Vertrauensperson in so einem System geben.“ Seelsorger können im Gegensatz zu Vollzugsbeamten und Sozialarbeitern nicht zu einer Aussage vor Gericht verpflichtet werden. „Diese Schweigepflicht ist unser Schatz. Wir haben ein gutes Standing unter den Gefangenen.“ Manche meldeten sich auch nach ihrer Entlassung noch, so der Theologe. „Ich habe immer noch Kontakt zu einem ehemaligen Häftling, den ich als 18-Jährigen kennengelernt habe und der mittlerweile 32 ist. Der ruft immer wieder an.“

Michael Althaus | Fotos: Julia Steinbrecht, KNA

 

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