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Die Hirten als Kartenspieler sind auf dem Weg in den Knast

30. November 2022

Der Gefängnisseelsorger Michael King bei der Übergabe der zwei kartenspielenden Hirten mit dem Holzbildhauer und Künstler Rudi Bannwarth (rechts).

In der ersten Adventswoche sind die Hirten bereits unterwegs. Sie verlassen die Werkstatt des Holzbildhauers Rudi Bannwarth in Ettlingenweier bei Karlsruhe. Sie werden die Knast-Krippe erweitern, die vor einem Jahr in der Justizvollzugsanstalt Herford als sozialkritische Krippe eingeführt wurde. Diese zeigt die Weihnachtsgeschichte anhand der Realität des Jugendvollzuges.

Da ist das geborene Christuskind ein Inhaftierter auf dem Bett in seiner Zelle. Dazu gesellt sich der Großvater eines Gefangenen als Josef und eine etwa 40 Jahre alte Mutter eines inhaftierten Jugendlichen als Maria. Die Botschaft der Geburt Jesu wird hier auf den Boden der heutigen Realität geholt. Die Geburt Jesu ereignet sich nicht im Rampenlicht. Am Rande, irgendwo bei Bethlehem. Warum sollte der „Sohn Gottes“ nicht in einem Gefängnis geboren werden? Zur biblischen Botschaft Jesu ein passendes Bild. Nun haben sich die Hirten auf den Weg in den Knast gemacht. Es sind kartenspielende Jugendliche auf einer Bank im Freistundenhof. Die Figuren sind aus Lindenholz geschnitzt. Die Bank ist mit Douglasienholz als Sitz gefertigt.

Unscheinbar und doch bedeutend

Die Szene zeigt die Wirklichkeit im Jugendvollzug der JVA Herford. Inmitten dieser Welt ereignet sich die Geburt Jesus. Im Heute, im Hier und Jetzt. Manches Mal geschieht etwas scheinbar Unbedeutendes im alltäglichen Leben, das dann aber doch anders ist, sogar überaus bedeutend sein kann. Ein Wort, eine Erkenntnis oder eine Erfahrung kann die Welt ändern. Ein System wird aufgebrochen, manchmal nur in einem Augenblick. Die Krippendarstellungen sind eine Tradition, die die Geschichte der Geburt Jesu in unterschiedlicher kontextueller  Weise interpretieren. Die Lebenswirklichkeit des konkreten Lebens-Ortes prägt die Ausschmückung der Weihnachtsgeschichten dieser Welt. Die Krippendarstellung im südamerikanischen Peru beispielsweise zeigt sich anders als die im europäischen Stall im Schwarzwald. Jeweils auf diese kontextuellen Besonderheiten zu schauen, ist den beiden Gefängnisseelsorgern Michael King und Stefan Thünemann ein spannender und wichtiger Moment.

Aus Holz Leben zeigen

Die Entstehung der Figuren ist Knochenarbeit, so der Künstler. Sie dauert mehrere Monate. Rudi Bannwarth hat dieses Handwerk erlernt: Er gibt den Figuren Leben. In seiner Holzwerkstatt zeigt sich seine einfühlsame und intensive Arbeit. Aus einem Lindenholzstück fertigt er in mühevoller Kleinarbeit die Figuren. Haargenau in den Gesichtszügen und in den Falten der Kleidung. Anhand von Gesprächen mit jugendlichen Gefangenen vor Ort in der JVA Herford sowie mit Hilfe von Fotos aus der Freistunde der Inhaftierten, spiegelt sich in seinen Figuren der konkrete Knastalltag wider. Manches Mal wollen Inhaftierte diese Realität nicht auf diese Weise sehen. Lieber mögen sie eine salbungsvolle und „süße“ Darstellung als Kontrastmoment zum eigenen Erleben. „Das kennen wir doch, warum setzen Sie uns so etwas vor?“, ist oft die Frage. Der überwiegende Teil der Gefangenen kennt die Weihnachtsgeschichte nur vom Hörensagen. Umso mehr bewirkt die „Irritation“ dieser Krippendarstellung eine Beschäftigung und Diskussion mit Weih-Nachten, das über ein suggeriert-lieblich-süßes-Glitzer-Geschenke-Fest hinausgehen kann.

Michael King

 

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