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Gefängnisseelsorge diskutiert über Alternativen in und zur Haft

10. Oktober 2023

Ist der Strafvollzug alternativlos? Die Ministerin der Justiz in Niedersachsen, Dr. Kathrin Wahlmann, meint beim Auftakt der Studientagung der Katholischen Gefängnisseelsorge in Deutschland e.V. in Hildesheim, dass sie als ehemalige Richterin nicht darauf verzichten würde. „Es braucht klare Konsequenzen nach einem Gesetzesbruch. „Sonst wären die Verfahren ein zahnloser Tiger“, meint die Ministerin der SPD. Sie spricht zu über 60 GefängnisseelsorgerInnen aus dem Bundesgebiet, die sich für eine Woche in Hildesheim zum Thema „Alternativen in und zur Haft“ treffen. „Ich bin gespannt, was Sie bei dieser Tagung herausbekommen“, sagt sie einladend.

Die niedersächsische Ministerin der Justiz spricht sehr offen über andere Möglichkeiten von Haftstrafen. Ab 1. Februar 2024 wird künftig zwei Tagessätze einen Tag Ersatzfreiheitsstrafe entsprechen. Dr. Kathrin Wahlmann erntet Applaus als es darum geht, Menschen aufzurichten und nicht alleine dem strafenden Freiheitsentzug in den Fokus zu rücken. Niedersachsen unternimmt Anstrengungen, um den Vollzug von Ersatzfreiheitsstrafen zu verhindern. Über 46.000 Hafttage konnten im Jahr 2021 vermieden werden durch Programme wie die „Geldverwaltung statt Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafe“ oder „Schwitzen statt sitzen“ , betont die Ministerin. „Vor allem die in freier Trägerschaft befindlichen Anlaufstellen für Strafffälligenhilfe leisten sehr wertvolle Arbeit“ führt sie weiter aus. Seit Sommer 2020 binden sich die Staatsanwaltschaften und die Gerichtshilfe des Ambulanten Justizsozialdienstes (AJSD) in die Geldstrafenvollstreckung ein. Hier werden sozialarbeiterische Aspekte in dem sonst juristisch geprägten Prozess der Geldstrafenvollstreckung berücksichtigt.

Zählt Gefängnisseelsorge als Alternative im Vollzug?

Die Ausführungen sind zumindest ein Anfang. Igor Linder, Vorsitzender der Evangelischen Gefängnisseelsorge in Deutschland, bringt eine Veröffentlichung in seinem Grußwort zur Sprache: 1990 die Denkschrift Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) mit dem Titel „Strafe: Tor zur Versöhnung?“ Er bringt den Vorschlag mit, „eine Modellanstalt mit dem Attribut ´alternativ´ zu errichten, in einem gepflegten Wettbewerb“, so Lindner. Gefängnisseelsorge sei im System bereits eine Alternative, weil sie Inhaftierte wie Gefangene mit einem anderen Auge und anderen Angeboten entgegenkommen. “ In den Gefängnissen machen die KollegInnen einen „treuen Dienst“. Gottesdienste, montags an das Postfach, um die Ergebnisse der Wochend-Langeweile zu entnehmen, Gespräche führen, um zu entscheiden, was ist wichtig, was kann warten, de Gruppen und Projekte sowie den Kontakt zu den Bediensteten. Ich will nicht übertreiben, aber das ist immer auch jetzt schon ein wenig eine Alternative in Haft“, überzeugt der Gefängnisseelsorger der JVA Offenburg.

Biblischer Schnellrundgang

Mit Symbolgenständen versucht Dr. Christian Schramm vom Katholischen Bibelwerk anderntags die TeilnehmerInnen mit einem „Blick“ in die Bibel mitzunehmen. Beginnend mit einem „Schwimmflügel“ zeigt er die Urgeschichte und deren Umgang mit Tat und Tatfolgen auf. In den Geschichten bleibt es aber nicht bei Bestrafung, sondern das göttliche Heil scheint immer durch. Die Frage nach dem Gottesbild der Gruppe wird mehrheitlich klar beantwortet: Gott ist mehr barmherzig als gerecht.  Weisheitliches Denken in der Bibel geht einher mit dem „Tun-Ergehens-Zusammenhang“, referiert Schramm. „So wie es in den Wald hineinschallt, kommt es auch heraus“. Oder: „Gewalt erzeugt Gegengewalt“. Das Buch Kohelet hingegen spricht von Windhauch. Also doch nicht alles so schlimm? Mit dem Symbol der „Wasserwaage“ geht Schramm auf die jesuanische Sicht ein. Jesus verurteilt die Ehebrecherin nicht, sondern sagt: „Geh und sündige von jetzt an nicht mehr“. Reichen solche biblische Sichtweisen für heutige Rechtsverfahren aus? „Nein, aber die Texte und deren Zusammenhänge können ein Inspirationsansporn sein“, meint Schramm.

Sind nicht alle gleich vor dem Gesetz?

So ganz scheint es nicht klar zu sein. Der Journalist Dr. Ronen Steinke will homogene Grundsätze in der Rechtsprechung hinterfragen. Ein Wohnsitzloser und Suchterkrankter, der aus welchen Motiven auch immer, Lebensmittel stiehlt, landet im Gefängnis, weil er die hohe Geldstrafe nicht zahlen kann. Ein gut lebender Mensch, der den Staat durch Steuerhinterziehungen um Millionen prellt, wird auf Bewährung verurteilt. Dies ist kein plattes Klischee sozialer Ungerechtigkeit, sondern oft Realität. Das zeigt Steinke auf. Für sein Buch „Vor dem Gesetz sind nicht alle gleich“ durchstöberte der Jurist Gerichtsakten, besuchte Gefängnisse und wertete die Daten aus. In der Podiumsdiskussion sagt er, dass bereits die Sprache „glattgebürstet“ sei: „Man redet von Justizvollzug und nicht von Gefängnis… Es eine Welt, in der man sich scheut, die Dinge beim Namen zu nennen“, sagt Steinke provokant. „Das Gefängnis ist desozialisierend und man spricht von Resozialisierung“, sagt der erfahrene Kritiker Steinke. Beipflichtend bringt Dr. Annika Gaßmöller von der Universität Vechta ein: „Nach Haft sieht es bei 65 % der Jugendlichen schlechter aus als vorher“. Jürgen Frank, zukünftiger Anstaltsleiter der neuen JVA Zeithain für den Vollzug Thüringens und Sachsens kontert: „Es gibt auch für die neue Anstalt schon Überlegungen für Modelle des Strafvollzuges in freien Formen zu entwickeln, die im Gesetz festgeschrieben sind. Man ist falsch beraten, wenn man im Vollzug immer schon das Richtige gemacht hat. Es ist ein ständiger Refexionsprozess, ob sich das sinnvoll oder unsinnig zeigt, was im Vollzug gemacht wird“ sagt Frank selbstkritisch.

Alternative konkret…

Paul Schneider als Leiter des Seehauses Leipzig sowie Tirza Bodgan als „Hausmutter“, zeigen eine konkrete Erfahrung einer Alternative für den Jugendstrafvollzug. Im Projekt Seehaus sollen straffällig gewordenen Jugendlichen Verantwortung füreinander übernehmen. „Wenn jemand neu kommt, hat er beispielsweise einen „Buddy“, einen anderen jungen Mann, der schon länger da ist und ihn in den Alltag hinein nimmt“, erzählt die seit 2018 im Seehaus tätige Mitarbeiterin. Die Zeit im Seehaus sei anstrengender als im Gefängnis. Man kann sich nicht in sein Haftraum zurückziehen. „In den letzten Jahren sind Gefangene von Seiten verschiedener Anstalten aufgrund von Sicherheitsbedenken als nicht geeignet für das Seehaus gesehen worden. Ich würde mir an der Stelle mehr Risiko-Bereitschaft wünschen“, sagt Paul Schneider offen. Nichtsdestotrotz ist es ein möglicher anderer Weg, den Nebenwirkungen einer Justizvollzugsanstalt entgegenzuwirken bzw. dem gegenüber eine Alternative entgegenzusetzen.

Michael King

 

1 Rückmeldung

  1. Annette Fleischhauer sagt:

    Es ist immer eine Freude unsere Website anzusehen!

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