Wussten Sie, dass Sie in der wieder geöffneten Schatzkammer des Aachener Doms einen kostbaren Schrein anschauen können, in dem die Reliquien der frühchristlichen Märtyrer Corona und Leopardus aufbewahrt werden? Kein Wunder, dass dieser kostbare Schrein in Zeiten wie diesen natürlich auch eine gewisse mediale Aufmerksamkeit erfährt. Am 14. Mai ist der offizielle Gedenktag der heiligen Corona.
Diese war zu Zeiten, die vom heutigen Wissen und Können der Medizin nur träumen konnten, im katholischen Himmel für den Schutz vor Pest und anderen unberechenbaren Seuchen zuständig. Und sie wurde zu gegebenem Anlass mit den entsprechenden Gebeten und Bußübungen bestürmt. Zur Erinnerung an eben solche Zeiten gehört auch die traurige Wahrheit, dass mangels besserer Einsicht immer wieder ganze Menschengruppen zum Sündenbock gemacht und als vermeintliche Verursacher des Unglücks ausgegrenzt und in furchtbaren Pogromen verfolgt wurden. Das traf in erster Linie die Angehörigen als fremd empfundener Kulturen und Religionen, insbesondere und besonders leidvoll Jüdinnen und Juden.
Einander wertschätzen
Solche kollektiven Hetzkampagnen gehören, so möchte man meinen, Gott sei Dank der Vergangenheit an. Heute müssen wir uns nicht mehr mit Schuldzuweisungen traktieren, gegenseitig ausgrenzen und bekriegen. In einer von so vielen unterschiedlichen Herkünften, Lebensarten und Überzeugungen geprägten freiheitlichen Gesellschaft wäre das Gift für ein friedliches Zusammenleben. Heute können wir uns füreinander interessieren und öffnen. Wir können lernen, einander wertzuschätzen und zu bereichern. Wir können Dialoge führen, Verschiedenheit aushalten, ja sogar als Bereicherung erleben. Wir können Unterschiede verstehen und respektieren. Wir können im Interesse des Ganzen Allianzen und Zusammenarbeit suchen. Und wir lernen Schritt für Schritt, einander zu vertrauen und füreinander einzustehen.
Das alles gilt – Gott sei Dank – auch für den Bereich der Religionen. Der Aachener „Dialog der Religionen“ ist ein gutes Beispiel, dass es sich lohnt, Vorurteile und Missverständnisse abzubauen und zum Wohl des Ganzen die Bereicherung einer früher kaum gekannten Vielfalt zu entdecken. Natürlich wird auch dort „nur mit Wasser gekocht“. Und natürlich gibt es manchmal Missverständnisse, Mühsal und scheinbare Rückschläge. Trotzdem möchte ich als Christ und Theologe diese fruchtbaren und bereichernden Erfahrungen nicht mehr missen. Und ich wünsche mir sehr, dass wir als Kirche immer mehr auf diesem Weg des Dialogs und des respektvollen Miteinanders der Religionen fortschreiten und voran gehen.
Pray für Humanity
Vielleicht war ich auch deshalb so berührt von den Bildern und Tönen, die ich am gestrigen frühen Nachmittag im Live-Stream eines multireligiösen Gebetes aus einem Berliner Gotteshaus verfolgen konnte. Das dortige „House Of One“, in dem unterschiedliche Religionen zusammenarbeiten, hatte im Rahmen der weltweiten Initiative „PRAY FOR HUMANITY“ zu einer Gebetszeit in den lokalen und weltweit mit der gegenwärtigen Pandemie verbundenen Anliegen eingeladen. Nicht in vermeintlich „liturgischem Mischmasch“, sondern in der Eigenständigkeit ihrer jeweiligen Tradition haben Frauen und Männer als Vertreter*innen ihrer Religionsgemeinschaften Gebete gesprochen, aus heiligen Schriften gelesen, Klagelieder gesungen, unser Land und die Welt dem Beistand Gottes empfohlen.
Der im August vergangenen Jahres gegründete “Ausschuss für menschliche Brüderlichkeit” der drei großen monotheistischen Religionen hatte vorgeschlagen, angesichts des weltweit grassierenden Virus den 14. Mai zum Tag des Gebets, Fastens und Bittens für die Menschheit zu erklären. Das Gremium entstand aus einer gemeinsamen Initiative von Papst Franziskus und dem Kairoer Groß-Imam Ahmad al-Tayyeb, der höchsten Autorität des sunnitischen Islams, nachdem beide ein Grundlagendokument über Brüderlichkeit und friedliches Zusammenleben unterzeichnet hatten. Auch der Weltkirchenrat hatte seine Mitglieder zur Teilnahme an dem Gebetstag aufgerufen. Der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) gehört als Vertreter von 350 protestantischen, anglikanischen und orthodoxen Kirchen dem Ausschuss an.
Jeder betet zu Gott, so gut er kann
Am Morgen hatte schon Papst Franziskus im Vatikan dazu aufgerufen, sich an dem weltweiten interreligiösen Fast- und Gebetstag für das Ende der Pandemie zu beteiligen: “Vereinen wir uns alle, Männer und Frauen jedes religiösen Bekenntnisses, heute in Gebet und Buße, um Gott um das Ende dieser Pandemie zu bitten.”
Zum möglichen Vorwurf, der Gebetstag sei “religiöser Relativismus”, sagte er: “Das ist es nicht. Jeder betet zu Gott, so gut er kann, nach der je eigenen Kultur und Religion.” Zudem erinnerte er daran, dass es noch andere “Pandemien” gebe, die des Hungers und des Krieges etwa. So seien in den ersten vier Monaten dieses Jahres rund vier Millionen Menschen an Hunger gestorben.
Die weltweite multireligiöse Initiative PRAY FOR HUMANITY hat nach meiner Wahrnehmung trotz der Empfehlung des Papstes und auch der Unterkommission für interreligiöse Angelegenheiten der Bischofskonferenz leider kaum Resonanz gefunden. Ein Umstand, der vermutlich nicht böser Absicht, sondern den allerseits von Corona eingeschränkten Möglichkeiten geschuldet ist. Umso mehr liegt mir daran, noch einmal darauf hinzuweisen und sie als geistlichen Schatz zu würdigen.
Dietmar Jordan | Bistum Aachen