„Ich ging meinen Weg auf der Suche nach Erfahrung zu schmecken, zu berühren. Und so viel zu fühlen wie ein Mensch es kann, bevor er bereut.“ So heißt es im Lied „The Wanderer“ der irischen Rockband U2, gesungen von Johnny Cash. Nicht nur ein bisschen, nein, ganz leben, leibhaftig sein in Freude und Leid, ist die Sehnsucht dieses wandernden Menschen.
„Das Leben kontrollieren, gibt es nicht. Versuche einen Blitz einzufangen, einen Tornado zu begrenzen. Staue einen Fluss und er wird sich einen neuen Lauf suchen“, sagt Dana Faulds in einem ihrer Gedichte. Ist es nicht so: die intensivsten Lebenserfahrungen geschehen in jenen geschenkten Momenten, die nicht ausgedacht sind oder geplant. Mit jeder Faser des Lebens spüren. Solche leibhaftigen Erfahrungen lehren dann aber auch: wo immer ich mich ganz einlasse in diesen Strom des Lebens, da geschehen auch Wirrungen und Verletzungen – da wechseln im Menschen Engel und Teufel einander ab. Leben geschieht nicht ohne auch sündig zu werden. Ich kann versuchen, mich davon fernzuhalten, fühlloses Erstarren wäre die Folge.
Suche nach Halt
In dieser Unberechenbarkeit des Lebens liegt es allerdings nah, sich in der Suche nach Halt festzumachen in Ansprüchen, Ideologien, Glaubenssätzen und Dogmen, um sicher zu gehen, alles unter Kontrolle zu haben. Glaubenswächter in den Religionen möchten trennen, was nicht zu trennen ist; da werden Menschen als unrein aussortiert aus einer Gruppe von vermeintlich reinen. Jesus hat Priester, die andere als unreine Sünder betrachten, um sie so mit einer Vielzahl von Gesetzen in die Knie zu zwingen, als Heuchler bezeichnet. Und er war besonders gern ausgerechnet bei denen zu Gast, die Priester als Sünder bezeichnen. Nicht weil er die Sünde liebte, sondern weil er das Leben liebte. Menschen, die sich ganz in das Leben lassen, können sich ebenso öffnen für das, was in diesem Leben von Gott geschenkt ist: die Heilkraft der Versöhnung. Wer sich dagegen innerlich festmacht in eigenen Glaubenssätzen, bekommt davon wenig zu spüren.
Einsicht in die Brüchigkeit
„… und so viel zu fühlen, wie ein Mensch es kann, bevor er bereut“, sang Jonny Cash. In katholisch geprägter Denkweise gehört die Reue gemeinsam mit einer abzuleistenden Buße zu den Bedingungen der Lossprechung von den Sünden. So als wenn durch einen Mechanismus von eigener Leistung und der des Priesters das Unreine weggewischt werden könne, um wieder alten Glanz erscheinen zu lassen. Mit der Lebenswirklichkeit von Gnade hat das wenig zu tun. Biblisch bedeutet Reue vielmehr die Einsicht in die Brüchigkeit und somit das Scheitern als Wesensmerkmal des Lebens. Im Alten Testament wird an einigen Stellen sogar erzählt, wie Gott selbst einige seiner Entscheidungen und Taten bereut. Bemerkenswert, wie hier Gott, die Schöpferin des Lebens, in all der selbst erschaffenen Vielfalt in Licht und Dunkel sich neu orientiert.
Wie ein Mensch es kann
So verstehe ich das Gleichnis Jesu von den zwei Söhnen, die vom Vater in den Weinberg gerufen werden. Das Matthäusevangelium lässt Jesus hier von Söhnen sprechen, gemeint ist natürlich der Mensch überhaupt unabhängig vom Geschlecht. Der eine Sohn sagt zunächst Nein, und geht dann doch, weil es ihn reute, der andere sagt sofort Ja, geht aber dann nicht. Wirklich lebendig ist der die Reue Empfindende, der ohne Reue hat sich dagegen festgemacht. Näher also am Reich Gottes, so Jesus, sind die, die so viel fühlen, wie es ein Mensch kann, in ihrer Reue bekommen sie zu spüren: mit ihnen fühlt und bereut Gott selbst.
Christoph Kunz | Mt 21, 28 – 32