parallax background

Würden Sie freiwillig in das Gefängnis gehen?

16. Januar 2020

Junge Straffällige brauchen den Kontakt nach „draußen“. Den bieten Jutta Schmidt, Wolfgang Thamm und weitere Freiwillige. Die beiden Rentner engagieren sich im Caritas-Projekt „Ehrenamt im Strafvollzug“. Sie stehen den Jugendlichen während ihrer Haftzeit in der brandenburgischen JVA Wriezen mit Rat und Tat zur Seite.

Ein Briefwechsel mit einem jungen straffälligen Mann 2012 war der Einstieg in ihr Engagement: Einmal die Woche gibt die emeritierte Pastorin Jutta Schmidt nun in der JVA Wriezen (Brandenburg) Deutsch­unterricht. Späte Lehrerberufung einer Kirchenfrau? „Unterrichten macht mir Spaß“ sagt sie. „Ich mache das, weil ich Rentnerin bin mit freien Kapazitäten, und aus christlicher Überzeugung.“

Positive Kontakte nach außen

Die 71-Jährige ist eine von einem Dutzend Engagierten, die „freiwillig“ ins Gefängnis gehen. Seit elf Jahren begleiten Caritas-Ehrenamtliche junge Inhaftierte der JVA Wriezen, der einzigen Haftanstalt für Jugendliche und Heranwachsende in Brandenburg. „Ehrenamt im Strafvollzug“ heißt das Projekt der Caritas im Erzbistum Berlin. „Die Menschen, die hinter den dicken Mauern sind, sollen nicht den Kontakt nach außen verlieren“, sagt Solveig Kauczynski, Koordinatorin des Caritas-Freiwilligen-Zentrums in Frankfurt (Oder). „Und sie sollen einen anderen Kontakt haben, einen, den sie vorher nicht hatten.“ Gemeint ist das Umfeld, aus dem die meisten Straffälligen stammen. Kauczynski nennt es ein „wenig hilfreiches Milieu“. „Durch das Projekt treffen sie auf Menschen, die mit der Straße und dem alten Leben nichts zu tun haben.“

Menschen sind bereit, anderen Gutes zu tun. Statt Anerkennung erfahren einige jedoch eine Diffamierung als „Gutmenschen“. Dagegen setzt die Caritas mit ihrer Kampagne ein Zeichen.

Väterlicher und mütterlicher GesprächspartnerIn

Auf Menschen wie etwa Jutta Schmidt oder Wolfgang Thamm. Der 75-Jährige war in seinem Berufsleben Bürgermeister von Vogelsdorf in Brandenburg. Er bietet seit Jahren zusammen mit seiner Frau Gespräche für die Inhaftierten an. Seine Motivation nimmt er aus dem christlichen Glauben. „Es ist nicht unser Verdienst, dass wir in geordnete Verhältnisse hineingeboren sind und Familie erfahren haben.“ Viele der derzeit 120 jungen Häftlinge kommen aus zerrütteten Familienverhältnissen, wo Alkohol- und Drogenkonsum oder Gewalt häufig zum Alltag gehörten.

Die regelmäßigen Treffen sollen die Jugendlichen nicht nur vom Haftalltag ablenken, sondern ihnen auch Trost und Gelegenheit geben, sich auszusprechen. Als „väterlichen Freund“ sehen ihn die Inhaftierten, sagt Wolfgang Thamm. Das mag auch am großen Altersunterschied von bis zu 60 Jahren zwischen ihm und den Häftlingen liegen. Auch Jutta Schmidt wird nicht als Lehrerin, sondern als Gesprächspartnerin gesehen. „Wir reden im Unterricht auch über Alltagssorgen“, sagt sie.

Bis ein Inhaftierter von einem Ehrenamtlichen besucht werden kann, vergehen oft Wochen. Der Bedarf und vor allem der Wille des jugendlichen Inhaftierten muss da sein. Dann gibt es viele Zwischenschritte über Gespräche bis hin zur Eignungsfeststellung der Ehrenamtlichen durch die JVA. „Und schließlich muss auch die Chemie zwischen den beiden stimmen“, sagt Solveig Kauczynski, die sich regelmäßig mit den Freiwilligen zum Austausch trifft. Den jungen Straftätern tut es gut, wenn ihnen Menschen vorurteilsfrei begegnen. Für Jutta Schmidt und Wolfgang Thamm eine Selbstverständlichkeit. Sorgen oder Ängste, mit ihnen alleine in einem Raum zu sitzen, haben sie nicht. „Es sind Menschen, die Hilfe möchten, und ich biete sie ihnen an“, sagt Jutta Schmidt.

Markus Nowak | Sozialcourage

 

Feedback 💬

Ihre E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert