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Auf Fragen von heute gibt es Antworten von gestern

30. Juli 2020

Das vatikanische Papier zur Gemeindereform und „pastoraler Umkehr“ sorgt für Diskussion, zumindest im Innerzirkel von Kirche. Der Kirchenrechtler aus Münster, Thomas Schüller, übt Kritik: Die Instruktion inszeniere „ein restauratives Priesterbild“, sagte er. „Die unselige Verknüpfung von sakraler Macht und autoritativer Gewalt im Priesterberuf“ sei bei der Aufarbeitung des Missbrauchskandals als ursächlich für Verbrechen eingestuft worden. Doch davon ist im vatikanischen Papier nicht die Rede.

Eigentlich sind Ferien und Entspannung angesagt. Genau in dieser Zeit wird von der römischen Kongregation für den Klerus mitten im „Sommerloch“ ohne vorherige Konsultation mit den Bischöfen oder Ankündigung eine „Instruktion“ mit dem Titel „Die pastorale Umkehr der Pfarrgemeinde im Dienst an der missionarischen Sendung der Kirche“ veröffentlicht. Viele deutsche Bischöfe übten zahlreiche Kritik. Allen voran der Magdeburger Bischof Gerhard Feige. „Wir wollen eine Kirche sein, die sich nicht selbst genügt, sondern die allen Menschen Anteil an der Hoffnung gibt, die uns in Jesus Christus geschenkt ist… Deshalb nehmen wir die Herausforderung an, in unserer Diasporasituation eine missionarische Kirche zu sein. Einladend, offen und dialogbereit gehen wir in die Zukunft.“

Zeichnung eines selbstbewussten Voranschreitens auch durch dunkle Zeiten des Rückschritts. Zeichnung: Anne Stickel, Kolumbien

Wer nimmt eigentlich noch Notiz von solch einer vatikanischen Stellungnahme? Kaum jemand als die Bischöfe oder noch ein paar resistente Engagierte in den Kirchengemeinden. „Das Papier beantwortet Fragen von heute mit Antworten von gestern“, sagt der Münsteraner Kirchenrechtler Schüller aus. Dies ist eine prägnante Aussage. Es ist und bleibt ein klerikales Papier, das an der Wirklichkeit des kirchlichen Lebens in Europa und Deutschland völlig vorbeigeht. In der Gefängnisseelsorge ist der Inhalt des Papiers absolut kein Thema. Theologisch ausgebildete LaieInnen und Kleriker arbeiten in staatlichen Einrichtungen nicht nur zusammen, sondern übernehmen eigenverantwortlich und selbstverständlich Dienste.

Nach Ansicht des Paderborner Pastoraltheologen Herbert Haslinger ignoriert die Instruktion die Realität in den Kirchengemeinden. Mit einer „befremdlichen und ärgerlichen Kleinlichkeit“ unterstreiche sie immer wieder, was Laien, Diakone und Ordensangehörige nicht dürften, sagte Haslinger im Paderborner Kirchenmagazin „Der Dom“. „Dabei weiß jeder, dass in vielen Gemeinden Nicht-Priester längst de facto Leitungsaufgaben wahrnehmen.“ Der Professor an der Theologischen Fakultät Paderborn kritisiert, dass dem Dokument zufolge Priestermangel allein kein angemessener Grund sei, Pfarreien zusammenzulegen. „Da muss ich fragen: Was soll denn ein Generalvikar tun, der kaum noch Priester, aber viele Pfarreien hat?“, so Haslinger.

Solche Worte aus dem Erzbistum Paderborn! So genannte LaieInnen bleiben laut dem Schreiben von der Gemeindeleitung ausgeschlossen. Schon das Wort „LaieIn“ ist irreführend. Die LaieInnen – Männer wie Frauen – sind genauso ausgebildet, nur die amtliche Weihe unterscheidet sie. Der Text hebt die Rolle des Pfarrers hervor. Bestrebungen, die Leitung von Gemeinden beispielsweise Teams aus Priestern und kirchlich Engagierten sowie anderen pastoralen und studierten MitarbeiterInnen anzuvertrauen, wie in der Schweiz oder in der Diözese Rottenburg-Stuttgart, widerspricht das Schreiben direkt. Der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode sieht in dem Papier eine „Umkehr zur Klerikalisierung“.

Die für das Dokument verantwortliche Kleruskongregation im Vatikan hat den deutschen Bischöfen ein klärendes Gespräch zur Instruktion angeboten. „Man werde die Bischöfe gern empfangen, um deren Zweifel und Verblüffung zu beseitigen“, sagte der Leiter der Kongregation, Kardinal Beniamino Stella. Der Besuch der Bischöfe könne stattfinden, „wenn sie das wünschen“, und „zu gegebener Zeit“, hieß es. Wenn das mal keine Verheißung ist. „Man wolle doch nur die Eucharistie betonen“, so die Worte aus dem Vatikan. „Stell dir vor, es wird Eucharistie gefeiert und niemand geht hin“, könnte man sarkastisch ausrufen. Tatsächlich sind nach den neuesten statistischen Erhebungen eine massive Anzahl von Kirchenaustritten zu verzeichnen. Dieser Trend wird sich fortsetzen. Die Ursachen hierfür sind nicht nur in den kirchlich „katholischen“ Strukturen zu suchen. Sie beschleunigen allerdings massiv die Situation.

Es wird immer mehr zu Notlösungen kommen, weil weit und breit keine geweihten Kleriker mehr zu finden sind. Eine schleichende Antwort auf das, was sich Verantwortliche denken, sich einschließen und die Realität nicht sehen wollen. Ein deutliches Merkmal sektiererischer Tendenzen bestimmter Gruppierungen. Man kann nur hoffen und sich einsetzen, dass die (katholische) Kirche kein Gefängnis wird. Im echten Gefängnis, als Spiegelbild der Gesellschaft, bekommt man hautnah mit, dass solch ein Papier weder verstanden noch gewürdigt werden kann. Fragen von heute mit Antworten von gestern… Kurz: Olle Kamellen.

Michael King | JVA Herford

 

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