Sein wie ein geselliger, sanftmütiger und friedvoller Esel? Oder störrisch und eigenwillig? Der Palmsonntag könnte auch Eselsonntag heißen. Die Geschichte um Jesus mit dem Einzug in Jerusalem ist voller Symbolik. Kein stattliches Pferd, sondern ein Esel soll es sein. Hinein in die Stadt der Rechtgläubigen. Jesus ging damit eine Gratwanderung zwischen Provokation und Würde ein.
Meine Freundin Johanna sammelt Esel – aus allen Materialien außer Fleisch und Blut. Sie liegen, sitzen oder stehen an vielen Stellen ihrer Wohnung und schauen, wie Esel halt so schauen. Ein Esel ist kein hohes Ross, vielmehr gilt ein Esel als gesellig, sanftmütig und friedliebend – und wenn er oder sie nicht will, will er oder sie nicht. Das macht ein Esel dann auch klar. Vielleicht mag Johanna deshalb die Esel, weil sie ihr in diesen Eigenschaften nah sind. Und wenn ich in den Evangelien zum Palmsonntag lese, sehe ich diese Liebe zum Esel bei Jesus.
Schwieriges Pflaster
Der Wanderprediger kommt nach Jerusalem; aus Galiläa nach Judäa in vielen heilsamen Begegnungen am Rande des Weges mit Menschen, die sich ebenfalls aufgemacht haben in ihrer Sehnsucht nach Heil und Ganz-sein. Die Heilige Stadt Jerusalem aber steht vor allem für Menschen, die sich festgemacht haben in ihrer Religion, die glauben zu wissen, was wahr ist und was nicht und entsprechend Vorschriften erlassen, an die man sich zu halten habe, um ein rein zu sein. Jerusalem also ist eher die feste Burg der Rechtgläubigen – für Jesus, der davon überzeugt war, dass kein Mensch in sich unrein ist, und der jedes religiöse Aufteilen in rein und unrein als Akt der Heuchelei ansah, ein schwieriges Pflaster. Schließlich wurde ihm ja dort auch der Prozess gemacht.
Lasttier der armen Leute
Um in diese Stadt zu kommen, besteht Jesus darauf, dass ihm das Fohlen eines Esels gebracht wird. Im Gegensatz zu den edlen Pferden der herrschaftlichen Reiterei galt der Esel als Lasttier der armen Leute. Mit diesem jungen Esel also zog Jesus der Überlieferung nach durch das Goldene Tor in die Stadt ein und wurde von vielen Menschen sehnsuchtsvoll als der jetzt endlich ankommende Messias begrüßt: „Hosianna dem Sohne Davids! Gepriesen, der da kommt im Namen des Herrn, der König von Israel. Hosianna in der Höhe!“ Es ist nicht überliefert, dass Jesus dazu etwas gesagt hätte; vielleicht hat er nur leise mit dem Esel gesprochen. Dieser überschwängliche Empfang eines Wanderpredigers aus der Provinz als potenziellen Messias und neuen König sorgte sicher auch für viel Verwunderung, vor allem aber kam er so sowohl bei den religiösen wie bei den weltlichen Herrschern nicht gut an. Und schon kurze Zeit später kippt die Stimmung ins Gegenteil um – nun riefen die Leute dem von König Herodes gefangengenommenen Jesus entgegen „Kreuzige ihn!“.
Kein Widerspruch zulassen?
Der Weg zwischen dem „Hosianna“ und dem „Kreuzige ihn“ ist eine Gradwanderung: es sind Stimmungen und Emotionen, die aus dem „Wir brauchen dich“ einerseits und dem „Wir brauchen dich nicht“ andererseits entstehen und genährt werden. Eine alltägliche Lebenserfahrung: wie wichtig jemand ist, hängt davon ab, ob er oder sie gebraucht wird oder nicht. Allein, dass der Mensch da ist, wird nicht gewürdigt. Das gilt in einer nach Kosten und Nutzen geordneten Marktwirtschaft genauso wie in einer Religion, die die Menschen danach einordnet, ob sie nach ihrem Verständnis rein oder unrein sind. Der Unterschied ist nur, dass dies in der Marktwirtschaft offen zugegeben wird, in Religionen aber eine solche Ideologie mit klarem Machtkalkül der führenden Männer eingekleidet wird als naturgegebenes Gesetz, was keinen Widerspruch zulässt. Manchmal ist diese Beurteilung in gebraucht- und nicht gebraucht Sein aus Gesellschaft und Religion schon so verinnerlicht, dass sie sogar in einem selbst auftaucht, und der Mensch plötzlich denkt, er sei nur viel Wert, wenn er das und das macht, ansonsten aber nutzlos.
Jesus ging mit dem Esel diese Gratwanderung und machte klar, dass nur in der Mitte zwischen jenen Abgründen zu beiden Seiten, da, wo der Mensch einfach Mensch ist in Würde, jenseits des Gebrauchtwerdens. Das allein macht seine Verbundenheit miteinander, seine Empathie und seine Fähigkeit friedvoll zu sein aus. Sein wie ein geselliger, sanftmütiger und friedvoller Esel. Möge der Palmsonntag, der eigentlich auch Eselsonntag heißen könnte, uns daran erinnern!
Christoph Kunz