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Es geht in den Locktown. Wie bei einem Haftantritt?

2. November 2020

Die zweite Welle rollt. Infektionsschutz geht vor, daher geht es jetzt in den zweiten Locktown. Ligth. So leicht scheint es nicht zu werden. Hohe Infektionsgefahr und steigende Zahlen bei Covid 19 Fällen. Eilmeldungen geben sich (wieder) die Klinke: Warnungen in Dauerschleife. Gibt es überhaupt noch etwas anderes? Die Katastrophen anderer Art wie der Terroranschlag in Nizza oder das Erdbeben in der Ägäis kommen erschwerend hinzu.

„Der Counttown läuft“, las ich auf einem Werbereiter vor einem Restaurant. „Genießen Sie noch…“ Ja, was soll ich genießen? Die nächsten vier Wochen gibt es Einschränkungen. Keine offenen Restaurants, keine Discos und keine Massage. Wenn es nur das ist, dann geht es noch, sage ich mir. Die Angst sitzt tief, selbst infiziert zu werden. Ob ich dem überhaupt ausweichen kann, auch wenn ich mich noch so vorbildlich verhalte? Maske, Abstand und Selbstisolation.

Mich erinnert dies an Verurteilte, die den Stellungsbefehl in den Vollzug erhalten. Ab diesem Zeitpunkt haben sie sich zu stellen in den Justizvollzug. Tür zu und dann kommt eine neue Welt. Absitzen, heißt das. Der Vergleich hinkt etwas, zugegeben, aber irgendwie gibt es Parallelen zwischen Knast und der Isolation aus gesundheitlichen Gründen. Gefängnis kennt zu Genüge Einschränkungen. Man ist nicht mehr frei, muss sich anderen Gegebenheiten unterordnen. Meistens ist klar, wie viele Monate oder Jahre es werden. Erst einmal für vier Wochen heißt es aktuell zur Pandemie. Wie es weiter geht ist offen. Einmal Pausetaste drücken? Das Virus bleibt. Bundesfinanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz hat den von Bund und Ländern beschlossenen einmonatigen Teil-Lockdown, der insbesondere die Gastronomie und Kulturbranche hart trifft, verteidigt. „Was wir hier machen, ist Gesundheitsvorsorge. Wir bestrafen niemanden für das, was er in der Vergangenheit gemacht hat“, sagte Scholz in einer Sendung.

Resozialisierung steht im Vordergrund bei einer Verurteilung. Bestrafung soll es zurecht sein, sagen manche. Selbst schuld, sagen die anderen. Kaum jemand erzählt davon, welche positiven Auswirkungen die aktuellen Bestimmungen haben könnten. Niemand wagt je eine positive Handlungsoption auszusprechen. Das ist wie bei der Prognose eines Straftäters. Da kann kaum jemand etwas sagen oder vorhersagen. Was trägt in solchen merk-würdigen Zeiten? Der Glaube an Gott? Es ist nicht so schlimm wie bei einer Haftstrafe. Wir können zumindest zu Zweit rausgehen. Im Knast geht dies nicht mehr. Eine Freistunde gibt es da und Ausgangssperre. Schlimmer als die körperliche Quarantäne ist, wenn man kein digitales Netz hat. Da läuft nicht einmal der Fernseher, wenn er an ein WLAN angeschlossen ist.

Das Meer „läuft“ weiter. Ebbe und Flut, Sonnenaufgang und Regenbogen. Wann und wie wird später sein? Es wird weitergelebt. Mit Einschränkungen oder ohne. Über dem Meer hängt das ewige Versprechen: Dass alles weitergehen wird, auch nach der Katastrophe und nach der Haft. Das Leben beginnt jetzt und nicht erst später. Die Gezeiten ändern sich nicht, unserer Blickwinkel zu ihnen ändert sich. Vielleicht ist es manches Mal gut, Einschränkungen zu haben, um zu entdecken, dass es noch etwas anderes gibt. Oder zu sehen, dass wir das mehr schätzen, was wir haben. Was am Ende wirklich zählt, entscheiden wir selbst. Einen Sinn oder Unsinn erkennen wir vielleicht erst später.

Michael King | JVA Herford

 

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