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Erinnerungen: Dem Hochwürden Bescheid husten

11. Dezember 2020

Auf einem der Höfe zwischen den Hafthäusern der nordrhein-westfälischen Justizvollzugsanstalt Werl stoße ich auf einen Bediensteten in Uniform, der laut vor sich hin schimpft. Er hat einen Zettel in der Hand, von dem er etwas liest und dabei den Kopf schüttelt. Wie ich das öfter tat, fragte ich, ob es was Besonderes gäbe. Ohne aufzublicken, sagt er sinngemäß: „Der wusste doch genau, dass er nicht telefonieren darf; aber dem kann man sagen, was man will, der kümmert sich um nichts.“ Mein Interesse war wach; denn soviel hörte ich aus dem Ton heraus, es war eine heiße Sache. So hakte ich nach.

Ob er mir das erklären könnte; ich verstünde nicht, um was es geht; ich sei erst kurz da. Der Schwall, der nun kam, erschreckte mich: „Dem da oben soll doch endlich mal einer richtig Bescheid husten, damit er das kapiert. Der kann nicht einfach jeden telefonieren lassen, wie es ihm gefällt!“. Ich: „Entschuldigen Sie, wer ist ‘der da oben’; hat der einen Namen?“  Er, etwas ruhiger: „Ach, das ist das A….loch vom Hochwürden Pfarrer. D er weiß das ganz genau. Aber der lässt sich nichts sagen. Verdammt noch mal!“ Wieder ich: „Welcher Pfarrer?“ Er, voll Zorn: „Na, der Katholische.“ Ich: „Das kann nicht gut sein. Der bin ich.“ Wie vom Donner gerührt blieb der Mann stehen, schaute mich aus großen Augen an und stammelte: „Ach, dann entschuldigen Sie. Das habe ich nicht gewusst. Dann war das wohl ein anderer.“

In der Folgezeit wurde ich mehrfach angesprochen, dass ich ohne Rücksprache Inhaftierte hätte telefonieren lassen, für die ausdrücklich ein Verbot ausgesprochen war. Da das nicht zutraf, fragte ich, um wen es sich handelte und wann die Gespräche gewesen seien. Keiner hatte bei mir telefonieren können; lediglich einige nach Rücksprache bei dem damaligen Mitarbeiter. Mir kam das merkwürdig vor. Ich wurde hellhörig. Was lief hier? Da wurde etwas behauptet und bestimmten Personen angehängt, ohne auch nur andeutungsweise zu fragen. Da lief ein Spiel und zwar ein ‚mieses’; wohl nach der Regel: allen Mist und alles, was schief geht, kann ungeprüft und ungefragt dem Pfarrer in die Schuhe geschoben werden. Was früher gelaufen ist, interessierte mich weniger, als das, was werden sollte und konnte. In den Konferenzen kam das immer wieder zur Sprache, ohne für mich fassbar zu werden. Meine Vermutung war, dass das gegen mich geht. Jedoch wer mir etwas vorwirft, der soll mich ansprechen. Auf Pauschalaussagen wollte ich nicht eingehen.

Einrichtung des Misstrauens und Unglaubens

Nach einigen Wochen fragte ich einen Abteilungsleiter, zu dem ein erfreulicher Kontakt gewachsen war, wie das Telefonieren der Inhaftierten gehandhabt würde. Er konnte mir keine klare Auskunft geben. Da herrschten Willkür und Durcheinander; verbindliche Vereinbarungen gab es nicht. Inzwischen hatte sich herumgesprochen, dass bei mir so gut wie niemand telefonieren konnte; es sei denn in dringenden Familienangelegenheiten. Gegen Behauptungen wehrte ich mich; stellte richtig, was nötig war. Reaktionen anstaltsweit: Verunsicherung und Rätselraten. Wer war denn dann für den ganzen Mist zuständig und verantwortlich, wenn nicht der „Hochwürden“? Schnell zeigte sich, im Windschatten meines Vorgängers leisteten etliche sich manches, was sie, ohne mit der Wimper zu zucken, ihm anhängten. Keinem kamen Zweifel, niemand prüfte; vielmehr „glaubten“ alle, was in einer Einrichtung des Misstrauens und Unglaubens einigermaßen erstaunlich war. Es war ja so einfach, ein Hackopfer auszumachen.

Eins meiner Anliegen war, verbindliche Absprachen und einheitliche Vereinbarungen treffen, die für die ganze JVA gelten. In jedem Bereich, auf allen Stationen, wurden diese und andere Fragen unterschiedlich gehandhabt. Nichts war verbindlich; nichts einheitlich; auf nichts war Verlass. Nachdem ich mich zwei Jahre vergeblich um einvernehmliche Lösungen bemüht hatte, teilte ich dem Anstaltsleiter, den Abteilungsleitern und den Sicherheitsinspektoren schriftlich mit, wie „der Seelsorgedienst der JVA“ sich künftig verhält. Nämlich: Telefonate werden –  wenn überhaupt – nur nach Rücksprache mit einem der Zuständigen abgehalten; nach Möglichkeit sollen die Inhaftierten auf ihrer Abteilung die Gespräche im Beisein des Diensthabenden führen. Bei Unstimmigkeiten erbitte ich sofortige Rücksprache, statt haltlose Behauptungen in die Welt zu setzen. Das gab ich auf einer kleinen Dienstbesprechung bekannt und erntete Verunsicherung und Erstaunen. Die frühere Unklarheit war sichtlich lieber und bequemer.

 Ein Kapitel aus: Erinnerungen eines Gefängnispfarrers. (K)eine Satire

 

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