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Nicht um beste Plätze: Christsein geht ohne Konjunktiv

19. Oktober 2024

Die MystikerInnen* lehren uns in der Nacht des Menschseins das aufgehende Licht zu sehen. Als Klinikseelsorger der Kirche macht mich diese Stelle im Markus-Evangelium besonders betroffen: „Wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein“, sagt Jesus denen, die ihm folgen. Mit meinem Beruf als Klinikseelsorger bin ich privilegiert, privat versichert, habe ein Auto und kann mir Urlaub leisten. Ich muss nicht wie Jakobus und Johannes im Evangelium um die besten Plätze bitten. Wie sehr bin ich darin abgehoben von denen, die in Armut sind, in Not, auf der Flucht, in Krankheit oder im Gefängnis?

„Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke?“, fragt Jesus. Kann ich diese Hingabe Jesu in das Leid des Lebens schmecken? Habe ich ein Gespür dafür, wie es Menschen geht, wenn sie scheitern, einsam sind oder verzweifelt? Natürlich kenne ich in mir selbst solche Erfahrungen, aber lass ich sie auch gelten wie einen zu trinkenden Kelch? Oder spalte ich sie ab? Vielleicht weil sie nicht sein dürfen aus Angst vor einem strafenden Gott?

Dienen und Herrschen

Der amerikanische Franziskaner und spirituelle Lehrer Richard Rohr schreibt: „Ihr müsst das einmal durchmachen, oder ihr werdet nicht fähig sein, euch in andere einzufühlen, mit ihnen zu fühlen, ja euch mit dem Leiden der Welt zu identifizieren, der zu dienen ihr berufen seid. Ohne diese Erfahrung werdet ihr euren Dienst so antreten, als wolltet ihr in einer beruflichen Karriere aufsteigen, statt ihn als Abstieg in die Rolle von Dienern zu verstehen.“ Wie schmal ist der Grat zwischen Dienen und Herrschen? Wenn ich ihn nicht bemerke, verwechsle ich das eigene Herrschen mit dem Dienen. Dann kann ich sogar das Unterdrücken anderer Menschen noch als einen Dienst im Sinne des Evangeliums rechtfertigen – die leidvollen Auswirkungen solchen Gebarens erfahren wir in unseren Kirchen bis heute. „Ich sehe es mit Sorge“, sagt Richard Rohr, „wenn wir Menschen für den Seelsorgedienst ausbilden und ihnen dann unverzüglich eine Position, Sicherheit und Status verleihen. Damit gewährleisten wir geradezu, dass sie nichts vom Evangelium sagen – es sei denn, sie lernen aus ihren Verletzungen oder derjenigen anderer noch etwas dazu.“

Göttliche Kraft

Auf seine Frage, ob wir den Kelch trinken können, gibt Jesus selbst die Antwort: er sagt, die Herrschenden unterdrücken und gebrauchen ihre Macht gegen die Menschen, „bei euch aber IST es nicht so“. So lautet jedenfalls die ursprüngliche Übersetzung, leider bekommen wir diesen Satz mit einem „SEI es nicht so“ zu hören. Aber Jesus sagt: da IST alles in euch, was ihr braucht, anders zu leben. Es kann sofort losgehen, hier und jetzt, ohne Ausreden. Gott hat sich dem Menschen in bedingungsloser Liebe zugewendet – trotz alledem. Anders als ein Beherrschen ist da eine göttliche Hingabe, eine Kraft, die in und durch uns Menschen wirken will.

Mitfühlend sein

Christ-sein geht ohne Konjunktiv; statt sich tatenlos zu ergehen im hätte, wäre, wenn hier und jetzt die befreiende Botschaft des Evangeliums leben. Anteilnahme an dem Kelch Jesu ist sich einlassen in das Einwohnen Gottes im Menschen, ohne dabei in einen aufspaltenden Dualismus zu gelangen, rein und unrein trennend. Die Mystiker*innen lehren uns in der Nacht des Menschseins das aufgehende Licht zu sehen. Manchmal erfahre ich dies, wenn mir Menschen berichten, wie ihr durchlebtes Leid Wegweisung wurde für einen neuen Weg. Es kommt darauf an, sich berühren zu lassen, nicht urteilend, nicht besserwissend, doch mitfühlend. Das ist die andere Wirklichkeit in einer Welt des Herrschens.

Christoph Kunz | Markus 10, 35 – 45

 

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