parallax background

Erfahrungen von Machtmissbrauch im pastoralen Dienst

15. Juni 2023

Wieder ein Buch über Missbrauch in kirchlichen Kreisen? Es ist ein Novum, dass sich jetzt Betroffene „LaiInnen“ im pastoralen Dienst öffentlich zu Wort melden. Der Ursprung ist eine bundesweite Umfrage des GemeindereferentInnen-Bundesverband. Sind Gemeinde- und PastoralreferentInnen als pastorale Profis in der klerikal-hierarchischen Männerkirche strukturell zweitrangig? Viele erleben eine Missachtung ihrer ArbeitnehmerInnenrechte, manche erzählen von sexuellen Übergriffen, andere von spirituellem Missbrauch.

In diesem Buch der HerausgeberIn Regina Nagel und Hubertus Lürbke kommen Betroffene von Machtmissbrauch im pastoralen Dienst ausführlich zu Wort. Sie sprechen öffentlich aus, was sonst nur im kollegial-vertrauten Kreis erzählt wird. Warum wird dies erst jetzt veröffentlicht? Bereits seit Jahren ist ein Gefälle der Berufsgruppen in der Katholischen Kirche spür- und erlebbar. Ab dem zweiten Vatikanischen Konzil wurden neben den Klerikern von Priestern und Diakonen sogenannte „Laien“ wie Gemeinde- und PastoralreferentInnen eingeführt. Sie verfügen über eine theologische wie religionspädagogische Ausbildung. Sie sind nicht mehr in der Gemeinde-und  Katgeorialpastoral wegzudenken. Sie setzen sich engagiert in den Kirchengemeinden, Krankenhäusern, Gefängnissen, Schulen und in Beerdigungsdiensten ein. Zuwenig Nachwuchs gibt es bei den Priestern. Macht Not erfinderisch?

Sebastian verheimlichte seinen christlichen Glauben am Hof und nutzte seine hohe Stellung als Hauptmann der Prätorianergarde, um Christen in den Gefängnissen Roms zu besuchen, sie im Glauben zu stärken und für die Bestattung der Märtyrer zu sorgen.

Ohne Weihe?

Und doch haben die geweihten Männer in maßgeblichen Bereichen der Katholischen Kirche das sagen. Sie sind „Letztverantwortliche“ und amtlich bestätigte Vorsteher der Eucharistiefeier sowie der Leitung von Kirchengemeinden. „Die zentrale Erfahrung von nicht geweihten Profis in der Seelsorge ist die strukturelle Zweitrangigkeit. Viele KollegInnen werden in ihren Kompetenzen behindert und ausgebremst. Die Überschrift eines Berichts im Buch lautet: ´Guten Tag, ich bin Frau NUR´. Sie ist qualifiziert, engagiert und begeistert in den Seelsorgeberuf eingestiegen und musste erleben: Ohne Weihe bin immer nur zweitrangig“, so erzählt Regina Nagel, Gemeindereferentin der Diözese Rottenburg-Stuttgart und Vorsitzende des Bundesverbandes der GemeindereferentInnen. Das benennen in der genannten Umfrage nicht nur Frauen, sondern auch Männer. Unabhängig von diesem Problem gilt für alle Seelsorgenden ohne Weihe, dass sie oft in der zuarbeitenden Rolle bleiben. Wie in der Sakramentenkatechese: Bei der eucharistischen Feier selbst ist der Priester, der den Gottesdienst leitet, maßgeblich.

Vormachtstellung

„Bei manchen Vorkommnissen muss man mit bedenken, dass das ganze System der Kirche machtmissbräuchlich ist. Wenn zum Beispiel eine Gemeindereferentin genial predigen kann und der Pfarrer verbietet es ihr in der Eucharistiefeier, weil das Kirchenrecht sagt, dass Predigen ohne Weihe nicht geht, dann ist das kein Machtmissbrauch durch diesen Pfarrer, sondern es ist gedeckt durch eine machtmissbräuchliche Regelung des Systems. Wenn hingegen ein dienstvorgesetzter Pfarrer Mitarbeitende demütigt oder sie in ihren Kompetenzen oder auch ihrer Spiritualität nicht respektiert, eventuell sogar sexuell übergriffig wird, dann missbraucht er seine Macht, denn solche Verhaltensweisen sind weder kirchen- noch arbeitsrechtlich legitimiert. Viele Befragte erzählen von solchen Erlebnissen“, führt Nagel aus. Natürlich gibt es gute Teams vor Ort mit teamfähigen Pfarrern. Doch manches Mal gibt es eben genau das Gegenteil. Der Vorgesetzte beruft sich im Konfliktfall auf seine Vormachtstellung.

Seit Jahren bekannt

Dies ist bereits seit Jahren bekannt. Seit 2010 die so genannte MHG Studie zum sexuellen Missbrauch in der Katholischen Kirche vorgestellt wurde, bröckelt es. Immer mehr „LaiInnen“ zweifeln an ihrer eignen Kirche. Daneben gibt es Menschen, die durch ihr Amt als Gemeinde- oder PastoralreferentIn klerikaler sind, als die Geweihten. Nichtsdestotrotz gibt es Erfahrungen von Machtmissbrauch mit Priestern. Ich erinnre mich wie heute an den Tag, als „mein Pfarrer“ in der ersten Gemeinde mich nicht für die 2. Dienstprüfung zuließ. Ich wäre zu progressiv und würde bei der Fronleichnamsprozession und bei der Austeilung der Kommunion nicht angemessen gekleidet sein. Diese Vorgesetzte wurde erst vor wenigen Monaten beschuldigt, 100.000 Tausend Euro der Gemeinde veruntreut zu haben. Er zahlte alles zurück und wurde nicht dafür belangt. Ich erinnere mich wie heute an den Konflikt in der Gemeinde, in der ich vier Jahre arbeite. Ich sollte vor meinen Dienst als Fachperson im Entwicklungsdienst in den Sommerferien die Pfarramt-Sekretärin vertreten. Er als Pfarrer gehe in Urlaub und es müsse „ja jemand da sein“.

Leid, das nicht erzählt wird

Konflikte gibt es genug. Doch die festgefahrenen Strukturen verhindern ein auf Augenhöhe funktionierendes Team. Alles nur ein Beklagen auf hohem Niveau? Einige der LaienInnen fühlen sich wohl, zählen zu den Kirchenmäusen,, die ihren Job nicht verlieren wollen. „Nach 40 Jahren im kirchlichen Dienst kann einen nicht mehr viel überraschen. Berührt hat mich wenn deutlich wurde, wie groß die psychische Belastung bis hin zu  körperlichen Erkrankungen war oder noch ist. In einem Bericht erzählt eine Frau, wie sie mit 19 (in der Entscheidungsphase für den Beruf der Gemeindereferentin) sexuelle Übergriffe ihres Heimatpfarrers erleiden musste. Im Beitrag „In Krisenzeiten“ erzählt eine Frau von ihren belastenden Erfahrungen mit Vorgesetzten im Sommer 2021. Sie war damals Gemeindereferentin in Orten, die heftig betroffen waren von der großen Flutkatastrophe. Erschütternd ist auch die Geschichte eines Kollegen, bei dem die Aktion #OutInChurch sehr viel aufgewühlt hat, auch wenn seine Geschichte nichts mit Queer-Sein zu tun hat“, berichtet die Herausgeberin Regina Nagel. Sie weiss wovon sie spricht. Hat sie nach einer Herztransplantation neues Leben gewonnen.

Fazit

„Warum gehen sie denn nicht?“ Diese Frage ist eine Frage, die immer wieder gestellt wird. „Wenn Sie doch so leiden, können Sie in einem anderen Beruf arbeiten“, so ein Gemeindemitglied. Stimmt, und doch ist dieser Hinweis ein Todschlagargument. Manche kämpfen für eine andere Katholische Kirche. Sie finden in diesem Kampf ihre Erfüllung. Wieder andere verbünden sich in Initiativen, die durchaus „Erfolg“ haben, wie #OutInChurch gezeigt hat. Ein kleiner Teil hat in „Nischen“ wie der Gefängnisseelsorge einen Arbeitsbereich gefunden. Hier kann man oftmals eigenständig arbeiten. Die Zahlen der Theologiestudieren wie der pastoralen Berufe gehen massiv zurück. Dieser Dienst ist zu wenig lukrativ. Zum Ende des Buches werden vertiefende Reflexionen von Fachpersonen aus Personalführung, Organisationsentwicklung, Psychiatrie, Kirchenrecht und Theologie aufgeführt. Gut, dass die Erfahrungen wissenschaftlich fundiert untermauert werden.

Michael King

 

1 Rückmeldung

  1. Anne-Marie Eising sagt:

    Anne-Marie Eising ist Pastoralreferentin in Ahaus im nordrhein-westfälischen Kreis Borken. Als sie das Buch der HerausgeberIn Regina Nagel und Hubertus Lürbke von KollegInnen über Machtmissbrauch durch Geistliche gelesen hat, schrieb sie in einem Social-Media-Post, davon könne auch sie Klagelieder singen. Was sie damit meint, sagt sie im Interview bei Kirche + Leben im Bistum Münster.

Feedback 💬

Ihre E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert