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Erfahrungen des Vaters eines Straffälligen mit Vollzug und Entlassung

31. Oktober 2022

Nicht jedes Kind läuft so, wie sich Eltern gemeinhin dessen Erwachsenwerden und Erwachsenensein vorstellen. Manchmal biegt das Kind im Jugendalter von den normalen Wegen in die Kriminalität ab. Mehrere Gerichtsverfahren, Sozialstunden, Jugendarrest, Jugendstrafe haben meinen Sohn nicht gebessert. Als er 2013 das erste Mal aus dem Knast entlassen wurde, gelobte er Besserung, wollte ein neues Leben anfangen, wollte eine Berufsausbildung machen. Wir Eltern sollten ihm eine Chance geben. Das haben wir getan, wir haben ihn unterstützt, auch finanziell.

Wir haben für ihn eine Wohnung angemietet und die Miete bezahlt. Nach der Haftentlassung hatte er ja noch keine Arbeit und somit auch kein Geld. Stattdessen aber Schulden und Lücken im Lebenslauf. Welcher Ausbilder oder Arbeitsgeber nimmt so einen? Welcher Vermieter hätte ihm eine Wohnung vermietet? Aber mein Sohn hat kein neues Leben angefangen. Er hat verschiedene Jobs begonnen, aber keine Arbeit durchgehalten. Zwei Ausbildungen hat er nach wenigen Wochen oder Monaten abgebrochen. Wieder waren Drogen im Spiel. Also war Dealen angesagt. Um sich etwas leisten zu können, um vor anderen gut dazustehen, brauchte er Geld. Weitere Straftaten folgten. Weitere Schulden häuften sich an. Im März 2017 wurde er Vater, doch das Zusammenleben mit der Mutter seines Sohnes gelang nicht.

Nach kleinem Vorfall erneut inhaftiert

Im November 2017 wurde mein Sohn wieder inhaftiert, zunächst geschlossener Vollzug, dann offener. 2020 wurde er auf Bewährung entlassen. Wieder bat er uns Eltern, ihm eine Chance zu geben. Wir haben ihn vorübergehend wieder in unser Haus aufgenommen. Er gelobte, ein neues Leben zu beginnen. Im Oktober 2021 wurde er das zweite Mal Vater, wieder mit derselben Frau. Das Zusammenleben gestaltete sich schwierig. Mal wohnte er bei seiner Familie, mal bei uns. Da mein Sohn die Bewährungsauflagen nicht alle erfüllt hatte, ging er im Dezember 2021 wieder in Haft, direkt in den offenen Vollzug nach Castrop-Rauxel. Doch diesmal bekam er außer Besuchsausgängen keine weiteren Lockerungen. Fast jedes Wochenende durften nur wir Eltern ihn abholen und pünktlich nach fünf Stunden zurückbringen. Wegen eines lächerlichen kleinen Vorfalls wurde er im Juli 2022 nach Siegburg in den geschlossenen Vollzug verlegt. Am 19. Oktober 2022 wurde er entlassen, mit 41 Euro in der Tasche. Im offenen Vollzug hatte er gearbeitet, aber der Lohn wurde wegen der vielen Schulden weggepfändet.

Mühsamer Wiedereinstieg

Sein Zimmer in einer Wohngemeinschaft in Wuppertal, in das er im Oktober 2021 eingezogen war, hatte mein Sohn behalten. Zwei Monatsmieten hat er selbst bezahlt, die restlichen Mieten wir Eltern. Im offenen Vollzug erhielt er keinerlei sozialarbeiterische oder psychologische Unterstützung. Erst die letzten vier Monate im geschlossenen Vollzug wurde er auf die Entlassung in die Freiheit, in das normale Leben vorbereitet. Mit Hilfe der Sozialarbeiterin konnte er in eine Zeitarbeitsfirma angestellt werden, die ihm ab November eine Stelle in Solingen vermittelt hat. Mit der Schuldnerberatung hat er einen Termin vereinbaren können. Wegen seiner Kontakte zu einer kriminellen Rockerbande nimmt er zurzeit an einem Aussteigerprogramm teil.

Alles gut. Wirklich alles gut? Wie soll ein erwachsener Mann im Alter von 31 Jahren mit 41 Euro Entlassungsgeld ein neues Leben anfangen? Im Sozialamt sagte man ihm, er bekomme frühestens Mitte November einen Termin; der Termin werde ihm zugeschickt. Inzwischen hat er einen Termin Anfang November. An seiner Arbeitsstelle muss er jeden Tag frische Arbeitskleidung tragen, Kosten: 150 Euro. Die sollte er im Voraus kaufen und selbst bezahlen. Darauf hat der Arbeitgeber dann aber verzichtet. Die Kosten werden ihm von seinem ersten Lohn einbehalten. Für den Weg zur Arbeitsstelle benötigt er ein Monatsticket; das kostet 120 Euro. Der Vermieter will am 1. November die Miete in Höhe von 400 Euro auf seinem Konto vorfinden. Und – zu guter Letzt – muss er ja auch etwas essen und trinken. Das legen ihm die Mitbewohner seiner Wohngemeinschaft erst einmal vor.

Keine Ausgänge und Ausführungen

Was ist, wenn der in die Freiheit Entlassene keine Eltern, keine Familie, keinen Ehepartner hat, der oder die die finanziellen Aufwendungen, die unmittelbar am Tag der Haftentlassung anfallen, übernehmen bzw. übernimmt? Warum kümmert sich der Sozialdienst der JVA, in welcher der Inhaftierte einsitzt, nicht um die Sicherung der Wohnung, d. h. um den Papierkram mit dem Sozialamt des Wohnortes des Inhaftierten zu erledigen. Oder – wenn der Inhaftierte das selbst regeln soll – warum gewährt man ihm nicht Ausgänge oder Ausführungen, um die Dinge mit den Ämtern zu regeln? Normalerweise gehen diejenigen Inhaftierten, die im offenen Vollzug untergebracht sind, draußen einer Beschäftigung nach. Dazu benötigen sie die Unterstützung des Sozialdienstes der JVA. Denn mein Sohn war vor seiner Wiederinhaftierung nicht in einem Arbeitsverhältnis und der offene Vollzug erfolgte nicht heimatnah. Während der Corona-Pandemie war das Leben der Inhaftierten sehr eingeschränkt, sie durften nicht draußen arbeiten. Besuchskontakte waren sehr begrenzt, Ausgänge stark eingeschränkt.

Justiz und Gesellschaft machen es sich zu leicht

Da hätte der Staat einen Ausgleich schaffen müssen, nicht nur wegen Corona. Vor der Haftentlassung müsste die Wohnungsfrage geklärt sein, die Arbeitsstelle müsste gefunden sein. Dies lag bei meinem Sohn vor. Immerhin. Darum hatte sich der Sozialdienst in Siegburg gekümmert. Aber das reicht m. E. nicht. Der Staat hätte viel mehr tun müssen bzw. dem Inhaftierten anbieten müssen: psychologische Begleitung, ggf. eine Therapie und er hätte – ich sage es noch einmal – verhindern müssen, dass die Gläubiger dem Inhaftierten das bisschen Geld vom Konto wegpfänden. Der Staat, die Justiz, die Gesellschaft machen es sich zu leicht. Wahre Resozialisierung, die ihrem Anspruch gerecht werden möchte, müsste all dies, was ich hier dargelegt habe, im Blick haben. Wenn der Start in ein Leben in Freiheit und ohne Straftaten auch nur eine Chance haben soll, darf nicht passieren, was vielen Strafentlassenen passiert: Sie sind ohne Geld, ohne Wohnung und ohne Arbeitsstelle auf sich selbst gestellt.

Knast hilft nicht

Ich habe den Eindruck, dass das Schicksal der Inhaftierten und der aus der Haft entlassenden niemanden wirklich interessiert. Die Bediensteten in den Gefängnissen, die MitarbeiterInnen in den Justizbehörden, die Politiker in allen Parteien im Bund, auf Länderebene und in den Kommunen, die MitarbeiterInnen in den Sozialämtern und viele MitbürgerInnen sind offensichtlich der Ansicht, dass Strafe sein muss, damit die Schuld des Verurteilten gesühnt wird. Es fühlt sich so an, als ob der Staat (bzw. die Staatdiener) persönlich beleidigt ist, weil ein Bürger seine Gesetze übertreten hat, und sich dafür an ihm/ihr rächen müsse. Immer wird gesagt, die Inhaftierten seien an ihrem Schicksal selbst schuld, wer Straftaten verübe, müsse dafür büßen.

Ich frage mich: Wie sinnvoll sind Haftstrafen in einem immer noch als Verwahrvollzug gestalteten Haftalltag? Der Radiosender Deutschlandfunk Kultur hat am 24. August 2020 eine Sendung zum Ziel der Resozialisierung ausgestrahlt unter dem Thema „Knast hat noch keinem geholfen, oder doch?“ Wenn der Strafvollzug die Resozialisierung des Straffälligen erreichen will, muss die Strafhaft ganz anders gestaltet werden, müssen die Inhaftierten auf das Leben in Freiheit wirklich vorbereitet werden. Die Frage nach Arbeit, nach Wohnung muss geklärt sein und ein ausreichendes Startgeld muss zur Verfügung stehen.

Ich behaupte, ich weiß, wovon ich rede bzw. schreibe; ich habe immerhin sieben Jahre und fünf Monate im Justizvollzug als Gefängnisseelsorger gearbeitet. Und als Vater zweier als Kind angenommener Söhne, die straffällig geworden sind. Der eine ist nach fünfzehnjähriger Karriere in der Kriminalität jetzt in Freiheit, der andere steht möglicherweise vor seiner ersten Inhaftierung. Dennoch bleiben diese Söhne meine Kinder und ich bleibe ihr Vater. Und als Vater sehe ich mich in der Pflicht, diese Söhne nicht aufzugeben, zu ihnen in Beziehung zu bleiben. Vielleicht ist meine Haltung ein wesentlicher Schritt zur Wiedereingliederung meines Sohnes in der Gesellschaft.

Robert Eiteneuer

 

1 Rückmeldung

  1. Dennis Riehle sagt:

    Gott schenkt Freiheit, indem er uns zu Friedensstiftern macht.

    Wenn Menschen zu Haftstrafen verurteilt werden, ändert sich für sie ihr Leben. Ihnen wird die Freiheit genommen, sie müssen nicht selten über viele Jahre hinter Gittern verbringen und tauchen in eine neue Welt ein, die herausfordert und anspruchsvoll ist, die leiden lässt und bedrückt. Der Strafvollzug ist ein Mittel einer demokratischen Gesellschaft, Fehlverhalten zu ahnden und zu versuchen, Täter wieder auf den rechten Weg zurückzubringen. Wenngleich sich der moderne Rechtsstaat den Anspruch der Resozialisierung gegeben hat, wird dieser nur in Ausnahmen erfüllt werden können. Denn durch das Wegsperren von Menschen wird kein hinreichender Beitrag zum eigentlich Nötigen geleistet: Verständigung zwischen dem Straffälligen – und seinem Opfer und dessen Angehörigen. Bis heute hat es die Zivilisation nicht geschafft, alternative Formen der Strafe zu finden, um den Gedanken der Versöhnung zu stärken. Stattdessen sperren wir Menschen nach einem Verbrechen für einen langen Zeitraum ein, und kappen damit ihren jeglichen Bezug zur Wirklichkeit. Wie in Gefängnissen Wiedereingliederung gelingen soll, bleibt bis heute eine unbeantwortete Frage. Der Ansatz, Täter durch Zwang zur Läuterung zu bewegen, zieht nur dann, wenn ihm gleichsam Perspektive gegeben wird. Dies geschieht in Justizvollzugsanstalten kaum, viel eher sind sie zur Orten von Gewalt und eigenen Regeln geworden, die mit der Realität nichts mehr gemein haben. Dass so viele Straffällige nach ihrer Entlassung keinen Fuß in die Gemeinschaft setzen wollen und können, liegt vor allem an unseren Versäumnis, dass sie keine Einsicht gewinnen konnten, sondern in Zellen weiter abgestumpft werden. Und auch die Bevölkerung verunmöglicht die Rückkehr ins Leben durch ihre Vorurteile.

    Es geht nicht um Verharmlosung
    Seitdem ich Menschen kurz vor und nach ihrer Entlassung in der Psychosozialen Beratung und Seelsorge betreue, weiß ich um viele Beweggründe für Straftaten, die meist im Verborgenen bleiben. Denn wir machen es uns oft zu einfach, brandmarken Täter für ihr Verhalten, ohne die Ursachen für ihr Handeln zu hinterfragen. Klar ist: Es gibt wenige Menschen, die sich auch durch härteste Strafmaßnahmen und lebenslanges Einsperren nicht beeindrucken lassen, weil sie durch bestimmte Krankheiten oder Persönlichkeitseigenschaften eine dauerhafte Gefahr für die Außenwelt sind. Gleichwohl müssen wir auch sie würdig behandeln und auch für sie etwas Anderes als die Sicherungsverwahrung schaffen. Und für all diejenigen, die Therapie und Begleitung zugänglich erscheinen, braucht es mehr Zuwendung, Beschäftigung mit ihren Motiven, Aufarbeitung von Vergangenem und das Gefühl, sie nicht aufzugeben. Für Opfer von Straftaten mag diese Form der Herangehensweise unverständlich, ungerecht und unangemessen sein. Sie fordern viel eher Rache, mehr Gefängnis und weniger Nachsichtigkeit. Dabei geht es in der Arbeit mit aktuellen oder ehemals Strafgefangenen nicht um die Verharmlosung dessen, was sie getan haben. Viel eher sollte der Anspruch sein, Nachvollziehbarkeit für dass Geschehene zu erlangen, Buße und Reue zu fördern und den Weg einer ehrlichen Sühne und Vergebung zu ebnen. Denn wer Menschen aufgibt, wird Hass säen. Deshalb ist es so notwendig und wichtig, dass der Glaube auch an sie aufrechterhalten und bestärkt wird.

    Während die weltlichen Richter Strafen verhängen, um damit ein Zeichen der Staatsgewalt zu setzen, das eher auf dem Prinzip „Aus dem Augen, aus dem Sinn“ fußt und Erkenntnis beim Täter durch Wegnahme seiner Freizügigkeit forcieren will, hat Gott einen anderen Plan – für jeden von uns, eben auch für diejenigen, die sich eines Verbrechens schuldig gemacht haben. Denn er weiß sehr wohl, dass Frieden unter den Menschen nur möglich ist, wenn wir einander verzeihen können. Wir können Opfern nicht abverlangen, dass sie Gnade mit dem Täter üben. Aber wir können sie doch befähigen, im „Kriminellen“ nicht das „Tier“ zu sehen, sondern eine gebrochene Seele, die in vielen Fällen aus Aspekten gehandelt hat, die menschlich sind. Jürgen Werth dichtete 1988 in einem seiner Lieder: „Wie ein Regen in der Wüste, Frischer Tau auf dürrem Land. Heimatklänge für Vermisste, Alte Feinde Hand in Hand. Wie ein Schlüssel im Gefängnis, Wie in Seenot – Land in Sicht. Wie ein Weg aus der Bedrängnis, Wie ein strahlendes Gesicht. So ist Versöhnung, so muss der wahre Friede sein. So ist Versöhnung, so ist vergeben und verzeih’n“ (EG 660). Dieser Schlüssel im Gefängnis, der frei macht, kann nicht aufoktroyiert werden. Er ist Ausdruck des Zugehens aufeinander. Nicht jedem Opfer kann das zugemutet werden. Und doch zeigen die Zeilen, dass Versöhnen auch ihre Wunden heilen kann. Immerhin sind das ständige Hadern mit dem Schicksal, das ein straffälliger Mensch durch seine Tat herbeigeführt hat, und der Frust und die Aggression gegen ihn kein Mittel, Narben zu schließen.

    Biblischer Bezug
    Wie können wir angesichts dessen Bibelverse wie Jesaja 49,9 (LUT – 1912) verstehen? Dort heißt es: „So spricht der HERR: Ich habe dich erhöret zur gnädigen Zeit und habe dir am Tage des Heils geholfen; und habe dich behütet und zum Bund unter das Volk gestellet, daß du das Land aufrichtest und die verstörten Erbe einnehmest, zu sagen den Gefangenen: Gehet heraus! und zu denen in Finsternis: Kommt hervor! daß sie am Wege sich weiden und auf allen Hügeln ihre Weide haben. Sie werden weder hungern noch dürsten, sie wird keine Hitze noch Sonne stechen; denn ihr Erbarmer wird sie führen und wird sie an die Wasserquellen leiten“. Und wie ist Psalm 146,7 zu sehen: „Der HERR löset die Gefangenen“ (LUT – 1912)? Hat Gott kein Verständnis für die Opfer der Verbrecher, welche Gott aus dem Gefängnis führt? Ist er Anwalt der Täter, statt Richter des Jenseitigen?

    Eine Antwort gibt Psalm 107,14: „Er führte sie heraus aus der Finsternis und Umnachtung und zerriß ihre Bande“ (Textbibel – 1899). Das Herausführen aus der Dunkelheit und ihr Befreien aus der Verwirrung sind seine Antwort. Übersetzt bedeutet das: Er will Täter zurück auf den Pfad des Rechts und der Ordnung bringen, er will nicht nachkarren, sondern seinen Blick auf die Zukunft richten. Menschen sind nicht dafür gedacht, im Kerker zu bleiben, sondern selbst als Straffällige das Licht zu sehen. Insofern sollen jene, die nach seinen Gesetzen leben und handeln wollen, diese Chance auch bekommen. Sie sollen Zeugen der Bußfertigkeit und des Wandels sein, der Vergebung und der Katharsis.

    „Aber der Engel des HERRN tat in der Nacht die Tür des Gefängnisses auf und führete sie heraus und sprach: Gehet hin und tretet auf und redet im Tempel zum Volk alle Worte dieses Lebens“, schreibt die Apostelgeschichte 5,19 (LUT – 1912). Voraussetzung für diese Aussicht auf eine Rückkehr in die Gesellschaft ist Umkehr. Dies machen Prediger 4,14: „Es kommt einer aus dem Gefängnis zum Königreich; und einer, der in seinem Königreich geboren ist, verarmet“ und Matthäus 11,2: „Da aber Johannes im Gefängnis die Werke Christi hörete, sandte er seiner Jünger zwei“ (beide LUT – 1912) mit ihren Worten klar. In Kapitel 3,2 heißt es entsprechend: „Tut Buße; das Himmelreich ist nahe herbeikommen!“. Wer glaubwürdig bereut und sich durch den Glauben an das Gute zu einem besseren und neuen Geschöpf Gottes formen lässt, hat seinen Zuspruch verdient: „Bekehret euch, daß eure Sünden vertilget werden“ (Apostelgeschichte 3,19 – LUT 1912). Doch nicht nur das Wegwischen der Taten ist möglich, wenn wir das Evangelium verinnerlicht haben. Es ist vielmehr Grundlage, Versöhnung zu schaffen – nicht nur zwischen Opfer und Täter, sondern zwischen den Menschen allgemein:
    „Und er selbst ist die Versöhnung für unsre Sünden, nicht allein aber für die unseren, sondern auch für die der ganzen Welt“ (1. Johannes 2,2 – LUT 1912). Wir können das Verständigen niemandem vorschreiben oder diktieren, doch wir sind ermutigt: „Seid aber untereinander freundlich und herzlich und vergebt einer dem andern, wie auch Gott euch vergeben hat in Christus“ (Epheser 4,32, ebd.).

    Barmherzigkeit
    Ja, Frieden zu stiften, das ist nicht selten eine Anmaßung und Zumutung gleichermaßen. Das weiß auch Gott: „Er aber war barmherzig und vergab die Missetat und vertilgte sie nicht; und wendete oft seinen Zorn ab und ließ nicht seinen ganzen Zorn gehen“ (Psalm 78,38 – LUT 1912). Wir müssen nicht vergessen, wenn wir vergeben. Doch wir können versuchen, auch für den Verbrecher unser Herz zu öffnen und ihn als Mensch anzunehmen. Das ist ein Prozess, dessen Gelingen nicht garantiert wird. Doch wir sollten viel mehr Versuche des Verständigens unternehmen, statt Täter nur zu isolieren. Wenn uns dieser Schritt nicht selbst gelingt, können wir zumindest gewiss sein: „Und euch, die ihr weiland Fremde und Feinde waret durch die Vernunft in bösen Werken, nun aber hat er euch versöhnet mit dem Leibe seines Fleisches durch den Tod, auf daß er euch darstellete heilig und unsträflich und ohne Tadel vor ihm selbst“ (Kolosser 1,21-22 – LUT 1912). Durch Jesu Passion ist der Weg für die irdische Aussöhnung geebnet und sein Beschreiten vereinfacht. Wir müssen unsere Ratio für einen Moment ausschalten und unser Vertrauen in die friedenstiftende Wirkung Gottes legen: „Barmherzig und gnädig ist der HERR, geduldig und von großer Güte. Er wird nicht immer hadern, noch ewiglich Zorn halten. Er handelt nicht mit uns nach unsern Sünden und vergilt uns nicht nach unserer Missetat. Denn so hoch der Himmel über der Erde ist, läßt er seine Gnade walten über die, so ihn fürchten. So ferne der Morgen ist vom Abend, lässet er unsere Übertretung von uns sein“ (Psalm 103,8-12 – LUT 1912). Er springt uns bei, wenn unsere eigene Kraft zur Vergebung nicht genug ist – und wenn wir unseren Schatten zu Reue und Buße nicht selbst überspringen können.

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