Das Statut des ‚Synodalen Weges’ wird gegenwärtig heftig diskutiert, ein minoritärer Gegenentwurf wurde von den Bischöfen mehrheitlich abgelehnt. Erste inhaltliche Texte zu den Themenforen liegen vor. Der extrem konservative Kirchenflügel weltweit ist alarmiert (auch angesichts der Amazonas-Synode), ihr Mainstream jedoch wartet skeptisch ab. In dieser zum Teil recht aufgeheizten Diskussionslage lohnt sich eine Verlangsamung der Debatte und ein näherer Blick in ihre spirituellen und theologischen Hintergründe.
Scheinheilige Kritik
Die Kritik mancher bischöflicher Gegner des ‚Synodalen Weges’ wirkt scheinheilig. Denn auch auf ihrer Seite wird, allerdings unter dem tarnenden Mantel des Spirituellen, durchaus auch in versierter Weise Kirchenpolitik betrieben: Kirchenpolitik des Status quo – inklusive römischer Winkelzüge. Von kurialer Seite ein Schreiben zu veröffentlichen, das sich auf einen längst modifizierten Statutenentwurf bezieht und den ‚Synodalen Weg’ (Kardinal Marx: „ein Prozess sui generis“) entgegen der erklärten Intention der Bischofskonferenz als eine formelles Partikularkonzil behandelt, ist blanker kirchenpolitischer Machiavellismus: Aliquid haeret, irgendetwas bleibt immer hängen.
Evangelisierungshindernis
Wenn einige deutsche (Erz-)Bischöfe den Brief an das Volk Gottes in Deutschland von Papst Franziskus zitieren, um mit Blick auf den ‚Synodalen Weg’ lautstark einen „Primat der Evangelisierung“ einzufordern, dann erweist sich dieses Zitat als ein ‚Trojanisches Pferd’ in den Festungsmauern der eigenen Position. Wer ‚Evangelisierung’ sagt, muss nämlich auch ‚Selbstevangelisierung’ sagen.
Da die Kirche selbst dem Evangelium immer wieder im Wege steht und aufgrund von sexuellem und geistlichem Machtmissbrauch in ihrer gegenwärtigen Erscheinungsform das wohl größte Evangelisierungshindernis darstellt, muss sie – angesichts ihrer missbrauchsbedingten Glaubwürdigkeitskrise – zunächst mit der eigenen Evangelisierung beginnen. Denn Evangelisierung ist keine Einbahnstraße: „Evangelisiert werden immer beide oder niemand: die Welt und die Kirche, die Hörer und die Prediger, die Kranken und die Gesunden, die Laien und die Bischöfe, die Zweifelnden und die Glaubenden.“
Selbstevangelisierung der Kirche
Bereits auf der Bischofssynode 1974 („Evangelisierung in der Welt von heute“) hieß es von der Kirche: „Vor allem muss sie sich selbst den Vorgaben des Evangeliums konform umgestalten und sich unablässig so erneuern und reformieren, dass sie wirksames Werkzeug der Evangelisierung von anderen wird. Dieser Vorgang der Selbstevangelisierung und der Selbsterneuerung ist ein dauerhafter Prozess, der eine ständige Selbsterforschung erfordert und zu einer tiefgreifenden Umkehr drängt.“
Papst Paul VI. übernahm dieses Motiv in seinem noch immer wichtigen nachsynodalen Schreiben Evangelii nuntiandi: „Die Kirche, Trägerin der Evangelisierung, beginnt damit, sich selbst zu evangelisieren. […] Das Zweite Vatikanische Konzil hat daran erinnert, und auch die Synode von 1974 hat dieses Thema von der Kirche, die sich durch eine beständige Bekehrung und Erneuerung selbst evangelisiert, um die Welt glaubwürdig zu evangelisieren, mit Nachdruck aufgegriffen.“
Künstlicher Gegensatz
Wenn Papst Franziskus in seinem Brief an das Volk Gottes in Deutschland nicht nur die Evangelisierung als das Hauptziel des ‚Synodalen Weges’ herausstreicht, sondern dabei auch genau diese Worte Pauls VI. zitiert, dann ist der entsprechende ‚Primat der Evangelisierung’ auch im Sinne einer conversión pastoral zu verstehen, die zunächst die Kirche selbst evangeliumsgemäßer gestaltet.
Diese päpstliche Zielbestimmung wird jedoch seither immer wieder in einen künstlichen Gegensatz zu den vier Themenforen des ‚Synodalen Weges’ gesetzt: Macht und Gewaltenteilung, Sexualmoral, Priesterliche Lebensform, Frauen in Diensten und Ämtern. Eine altbekannte Beschwichtigungsformel: Viel wichtiger als innerkirchliche Strukturfragen seien die ‚eigentlichen’ Glaubensinhalte. Es sei keine Zeit für binnenkirchliche Nabelschau, man müsse jetzt alles an die Missionsfront werfen.
Kirchliche Verdunklungsgefahr
Darauf kann man eigentlich nur antworten: Strukturfragen reflektieren Glaubensinhalte – oder sie sind nicht evangeliumsgemäß. Das größte Missionshindernis überhaupt ist eine Kirche, deren äußere Gestalt permanent ein Zeugnis wider das Evangelium darstellt, weil sie der jesuanischen Frohbotschaft von der anbrechenden Gottesherrschaft (und eben nicht: Männer- oder Klerikerherrschaft) widerspricht.
Eine solche Kirche verdunkelt die Botschaft des Evangeliums bereits in ihrem äußeren Erscheinungsbild. Das Zweite Vatikanische Konzil hat diese kirchliche ‚Verdunklungsgefahr’ in seiner Pastoralkonstitution klar benannt: „Die Gläubigen können […] durch […] die […] Mängel ihres eigenen religiösen Lebens das wahre Antlitz Gottes […] eher verhüllen als offenbaren [potius velare quam revelare].“ (GS 9).
Wer sich dem ‚Eigentlichen’, also dem Evangelium Jesu, aussetzt, landet daher unweigerlich auch bei kirchlichen Strukturfragen. Sie sind keine nachrangigen Binnenprobleme – wer nicht nur ‚drinnen daheim’, sondern auch ‚draußen zuhause’ ist und sich im kirchlichen Außen entsprechenden Fragen stellt, weiß das. Kirchenkrise und Gotteskrise dürfen daher auch nicht gegeneinander ausgespielt werden. Denn, kurz und knapp gesagt: Klerikaler Machtmissbrauch ist strukturelle Sünde. Oder positiv formuliert: Kirchenreform ist Gotteszeugnis.
Klerikalismus vs. Synodalität
Kaum ein Papst bisher hat den innerkirchlichen Klerikalismus derart vehement kritisiert wie Franziskus. Und selten zuvor hat sich ein Papst so entschieden für einen synodalen Kirchenumbau ausgesprochen. Mit seinem vehementen Eintreten gegen Klerikalismus bzw. für mehr Synodalität kratzt er dabei nicht nur an der institutionellen Oberfläche von Kirche, sondern geht vielmehr an ihre Wurzel: zurück zum Evangelium. Die synodale Kirche, die ihm dabei vorzuschweben scheint, erinnert an seine eigene Ordensgemeinschaft: die Gesellschaft Jesu.
Für den Jesuiten Franziskus ist die ganze Kirche nämlich eine Societas Jesu – eine im Wortsinn ‚synodale’ Weggemeinschaft, in der alle Beteiligten vor allem anderen sociae und socii Jesu sind: Gefährtinnen und Gefährten, die in der einen Nachfolge ihres Herrn die solidarische Weggemeinschaft mit allen Menschen guten Willens suchen (IHS: Iesum habemus socium). Es geht dem Papst um eine postklerikale Kirche, die auf gemeinsamem Weg („synodos“) zurückfindet in die jesuanische Spur des Evangeliums. Synodalität, das „gemeinsame Vorangehen“ aller auf dem Weg der Nachfolge Jesu, ist das Gegenteil von Klerikalismus.
Keine Tautologie
Synodaler Weg – dieser Begriff ist daher, anders als so mancher bischöflicher Kritiker meint, auch keine Tautologie. Er sagt also nicht mit verschieden Worten zweimal dasselbe. Denn nur das griechische Wort odos ist ‚der Weg’ – ein synodos jedoch, ein ‚gemeinsam beschrittener bzw. miteinander geteilter Weg’, ist in einer Kirche wie der katholischen alles andere als selbstverständlich. Das ‚Normale’ wäre in diesem Zusammenhang ein hierarchischer, nichtsynodaler Weg.
Bereits das Zweite Vatikanum jedoch hatte die kirchlichen Dinge wieder vom Kopf auf die Füße gestellt, indem es in Lumen gentium, seiner ersten Kirchenkonstitution, das zweite Kapitel („Das Volk Gottes“) – nach langer Diskussion und in einem bewussten lehrmäßigen Akt – vor das ursprünglich vorangestellte dritte Kapitel („Die hierarchische Verfassung der Kirche“) gezogen hat. Das heißt: Die Hierarchie ist von nun an vom übrigen Volk Gottes her zu verstehen und nicht umgekehrt. Mehr lesen…
Christian Bauer | Professor für Pastoraltheologie und Homiletik in Innsbruck