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Ist ein NEIN in belasteten und unfreien Zeiten erlaubt?

1. Mai 2021

Will man derzeit als Einzelperson und Berechtigter in der Prioritätenliste einen Impftermin in einem der Impfzentren via 116117 App bekommen, gleicht das einem Lotteriespiel. 1 zu einer Million. Keine Chance. „Derzeit stehen leider keine Termine zur Verfügung“ steht lapidar im Bildschirm. „Die Impfzentren stellen regelmäßig neue Termine ein. Bitte prüfen Sie zu einem späteren Zeitpunkt mit Hilfe Ihres Vermittlungscodes, ob wieder Termine zur Verfügung stehen.“

Es ist zum Verzweifeln. Hat man nach zwei Stunden vergeblichen Versuchen online einen Code ergattert und ist ohne Syntax Error weitergekommen, hat man nur wenige Sekunden Zeit, seine Daten einzugeben. Dann kann es geschehen, dass ein „Unerwarteter Fehler“ angezeigt wird. Wie unerwartet! ES ist wie beim Buchbinder Wanninger, der vergeblich seine Botschaft per Telefon an den Mann bringen will. Buchbinder Wanninger ist ein Sketch des Münchner Komikers Karl Valentin. In der Szene, versucht der Buchbinder Wanninger vergeblich, telefonisch bei seinem Auftraggeber (der Baufirma Meisel & Compagnie) in Erfahrung zu bringen, ob er die Rechnung für die von ihm fertiggestellten Bücher der Lieferung gleich beilegen soll. Er wird von einem zum anderen Ansprechpartner innerhalb der auftraggebenden Firma weiterverbunden, ohne die erhoffte Information zu erhalten. Die letzte Ansprechpartnerin der Firma Meisel & Compagnie ist offensichtlich die richtige Zielperson. Allerdings gibt auch sie nicht die gewünschte Information, da genau in diesem Moment eine Klingel ertönt und die Dame nur antwortet: „Aber rufen Sie doch bitte morgen wieder an, wir haben jetzt Büroschluss.“ Das Ganze endet mit der geknurrten Aussage des verzweifelten Buchbinders „Saubande, dreckade!“.

Virtueller Warteraum

So oder so ähnlich endet es auch bei mir. Ich haue auf die Tastatur ein und versuche es erneut: „Virtueller Warteraum des Impfterminservice. Aufgrund der hohen Nachfrage kommt es bei der Vergabe von Impfterminen im Moment zu Wartezeiten.“ Nur im Moment? Ich versuche es zu allen Tageszeiten. Nachts um 2 Uhr sogar. Nichts geht. „Wir bitten um etwas Geduld. Sie werden automatisch weitergeleitet und müssen nichts weiter tun.“ Danke schön. Nichts weiter tun? Ich wähle die Nummer 116117. „Wir helfen Ihnen wenn sie krank sind. Drücken Sie bitten die 1. Wollen sie einen Arzttermin vereinbaren drücken sie die 2. Oder bleiben Sie in der Leitung.“ Herrlich, all die Auswahl, die ich angeblich habe. Letztlich lande ich im Rettungsleitzentrum des betreffenden Landkreises. Ob ich medizinische Nothilfe brauche? Klar, nach all dem „Nicht-gehört-werden“ – ganz sicher. „Schicken Sie mir bitte einen Notarzt.“ Ich wollte doch nur einen Impftermin vereinbaren! Und ich besitze sogar schon einen Vermittlungscode!

Stehen endlich alle Anzeichen positiv, komme ich vielleicht online durch. Ich muss bei der Schnellprüfung angeben, ob ich berechtigt bin, die Impfung zu erhalten. Beim Angeben des Alters bin ich drin. Wie schön, ich bin weitergekommen… Doch dann erscheint wieder die „Warteschlange“ und am Ende „Es sind keine Termine zu vergeben. Oder: „Das System wird zurzeit gewartet. Bitte versuchen Sie es in einigen Minuten wieder.“ Ich mache eine Flasche Sekt auf. Grund: Ich bin nach zwei Stunden durchgekommen! Konkrete Termine stehen in der Liste. Zum Auswählen! Ich gebe meine Daten ein. Bestätigt! Verbindlich gebucht. Super! Doch ich sehe, es ist der Impfstoff Astra Zeneca. Den wollte ich nach all den Schlagzeilen nun wirklich nicht. Ich bin Allergikerin und habe bereits eine Krebserkrankung hinter mir. Ich lasse mich trotzdem darauf ein.

Wenn der Bauch spricht, geht es nicht

Am besagten und geplanten Impftermin lasse ich mich noch einmal im Impfzentrum eingehend beraten. Der Arzt ist zugewandt und preist den Impfstoff an. „Kein Problem, es sind nur Einzelfälle mit Komplikationen.“ Meine Freundin war drei Tage krank danach. Eine natürliche Reaktion? Schon am Eingang des Impfzentrums steht ein Schild, dass man den Impfstoff weder auswählen noch wechseln kann. Das, was auf dem Anmelde-Papier steht, bekommt man gespritzt. Keine Chance, dem zu entrinnen. Man ist irgendwie gezwungen, als über 60-Jährige diesen Impfstoff zu nehmen. Ich lehne ab. „Na ja, der Bauch spricht mit und wenn er NEIN sagt, geht es bei den Frauen nicht“, sagt der Arzt hinter Plexiglas süffisant. Mit lauter Stimme weist der Anweiser mir den Weg zum Ausgang: „Die Dame hat ihre Impfung abgelehnt“ tönt es durch die ganze Halle. Und unter ein paar dutzend kritisch-dreinschauender Augenpaare checke ich aus. Wie kann man nur in solchen Zeiten: das Gemeinwohl nicht schützen, das Gesundheitssystem belasten, nicht die schrecklichen Bilder von Indien und anderswo vor Augen haben und letztlich mich selber in Gefahr bringen?! Ich hatte vieles gelesen, Für und Wider und mein NEIN wird hoffentlich auch in diesen belasteten und unfreien Zeiten erlaubt sein.

Alles auf Anfang

Jetzt steht wieder alles auf Anfang. Berechtigungsprüfung, Vermittlungscode, Warteschlange, Syntax Error und unerwarteter Fehler. Wie gut, dass ich seit geraumer Zeit das Lotteriespielen aufgab. Ich kann eh nie gewinnen. Ob ich einen Impftermin mit einem anderen Impfstoff bekommen kann? Ich hoffe es sehr, doch ich glaube nicht daran. Nach langen erneuten Versuchen meine ich gewonnen zu haben. Ich erhalte neue Termine. Doch in der Impftermin-Bestätigung steht am Ende wieder Astra Zeneca. Ausgerechnet der Impfstoff, den ich persönlich, aus psychologischen und medizinischen Gründen bereits vor Ort ausgeschlagen habe. Ich bin nicht berechtigt zu wählen, niemand ist das zurzeit in Deutschland. Bei Impfberechtigten ab 60 Jahren spuckt das System, jedenfalls in meiner Region, ausschließlich Astra Zeneca aus. Der Mensch dahinter wird nicht gefragt. Und dennoch gibt es diesen Menschen, der nicht zu allem JA-sagen-kann und will.

Protokolliert von Michael King

 

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