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Ein König der anderen Art wird geboren

25. Dezember 2023

Die Heiligen Dreikönige sind noch gar nicht an der Krippe angekommen. Trotzdem ist eine königliche Atmosphäre in der Anstaltskirche der JVA Herford spürbar. Etwa 70 jugendliche Inhaftierte feiern hier das Weihnachtsfest. Jugendliche und junge Erwachsene im Alter zwischen 14 und 24 Jahren mit jesidischen, muslimischen, christlichen oder bekenntnisfreien Überzeugungen. Sie kommen aus verschiedenen kulturellen Kontexten.

Die Knast-Krippe mit dem König als Justizvollzugs-Bediensteten.

„Wie in der Weihnachtsgeschichte“, erzählt der Gefängnisseelsorger. Da sind die Hirten in Dreck und Speck. Maria, die mit Josef keine Herberge findet. Der Vater, der angeblich nicht der Vater ist. Maria erschrickt bei der Anrede des Engels Gabriel. Szenen, die ganz und gar nicht königlich sind. Kaiser Augustus und der König Herodes sind mächtige Herrscher. Herodes wittert gar Konkurrenz als er erfährt, dass ein neuer König geboren werden soll. Deshalb kehren die Sterndeuter nicht zu ihm zurück, um ihm Bericht zu erstatten. Caspar, Melchior und Balthasar, sie sind andere Könige, aus drei Kontinenten. Ob es sie wohl gegeben hat? Die Dreikönige sind besondere Könige, die Geschenke bringen, die gut mit ihrem Wissen und ihrer Macht umgehen.

Göttliche Würde

Gott kommt mit der Geburt Jesu in diese Welt, er/sie* wird Mensch. Das hat er/sie* doch gar nicht nötig als „König und Herrscher über Himmel und Erde“. Das Geschenk der Göttlichkeit wird durch dieses Ereignis allen Menschen verliehen. Jesus in der Knast-Krippe wird als jugendlicher Gefangener dargestellt. Wer immer Gott sein mag, klein und unscheinbar wird er geboren, wenig königlich, und doch ein König der anderen Art. Diese göttliche Würde lebt in jedem Menschen, so wird es uns zugesagt. Ein kostbares Geschenk, mit dem wir lernen sollten, sehr gut umzugehen. Nicht so wie manche Könige und Herrschende der Vergangenheit und Gegenwart ihre Macht missbrauchen.

Die Jugendlichen hören gespannt zu, wollen schon klatschen als ein Gefangener die 4. Kerze am Adventskranz entzündet. Stille sind die Straffälligen nicht gewohnt. Trotz ihrer Geschichten wird ihnen ihre Würde nicht genommen. Diese kann Niemandem genommen werden. Egal welche Schuld er auf sich geladen hat. Manche der Gefangenen haben Menschen entwürdigt, ihnen Schmerzen und Leid zugefügt. Sie haben ihre Macht missbraucht und egoistisch eingesetzt. Abgründe und Dunkelheiten stehen dem hellen Stern gegenüber, der Stern, der ein gelingendes und liebevolles Miteinander verspricht.

Eine andere Autorität

Die drei neuen Figuren der sozialkritischen Knast-Krippe zeigen drei Könige. Mit der Freundin oder einer Sozialarbeiterin, die eine Krone auf einem Kissen trägt, können die Jugendlichen gut umgehen. Eine Freundin ist für viele die Königin. Mit der Rechtsanwältin in schwarzer Robe und Aktenordner geht dies ebenso. Mit einer Richterin haben die Inhaftierten ihre Probleme. Mit dem dritten König, einem Bediensteten in Uniform und dem Schriftzug „Justiz“, haben die meisten negative Erfahrungen gemacht. Die Letztgenannten werden der strafenden Instanz zugeordnet. Aber bei näherem Hinhören gibt es von den Gefangenen die Aussage, dass es auch „gute“ Beamte und RichterInnen gibt. Sie haben eine andere Autorität, die menschennah und klar ist. Sie geben eine ehrliche Rückmeldung, so dass die jungen Leute daraus lernen können. Wenn sie denn wollen.

Selbst ernannte Könige

Mit etwas Tabak und entsprechender Körpersprache kann ein Gefangener anderen „Respekt“ einflössen. Er macht Mitgefangene von sich abhängig, um Schulden zwei- oder dreifach einzufordern. Einzelne spielen sich im Knast informell zu einem selbst ernannten König auf. Doch ist es eine zerstörerische Macht, die mit der Königsmacht nichts zu tun hat. Als Symbol der je eigenen Würde hängen die Jugendlichen im Gottesdienst eine rote Christbaumkugel mit zwei Kronen an den Christbaum. Diese Handlung wird von den Gefangenen in respektvoller Weise wie ein Ritual ausgeführt. Als zwei Kugeln zu Bruch gehen, sind andere zur Stelle und holen eine Neue. Am Ende der Feier nimmt jeder eine Kerze als Geschenk mit in seinen Haftraum. „Dies ist ausnahmsweise an Weihnachten bis Dreikönig erlaubt“, sagt einer der Gefängnisseelsorger.

Michael King

 

1 Rückmeldung

  1. Frank Kribber sagt:

    Da sind sie alle versammelt an der Krippe. Maria und Josef, Ochs und Esel, Schafe, Engel, Hirten und Könige. Und Häftlinge. Die gottesdienstliche Gemeinde im Gefängnis singt dieselben Lieder, die auch in fast jeder Pfarrkirche, in jedem Dom gesungen werden. „Stille Nacht“ – auch wenn es gar nicht Nacht und manchmal auch nicht still ist. „O du fröhliche“ – obwohl der Knast kein Ort der Fröhlichkeit ist. Weihnachten im Knast ist spröde, sperrig, schnörkellos, sachlich. Die gewohnten Äußerlichkeiten fehlen. Keine Bescherung, keine leuchtenden Kinderaugen, keine Familie, kein Festessen. Es bleibt nur dieser Gottesdienst. Gemeinsam wird diese Gemeinde einige hundert Jahre Haftzeit – unzählige Straftaten und Verbrechen – mit an die Krippe bringen.

    Aber kommt es nicht gerade darauf an: Sich auf den Weg zur Krippe zu machen? Jesus zu begegnen? Dem Kind in der Krippe Herz und Verstand zu öffnen und mit der Botschaft der Menschlichkeit und des Friedens zurückzukehren? Zurückzukehren in die Zellen im Knast, in die Häuser der Stadt und dort das Erlebte zu leben? Weihnachten im Knast ist gar nicht so viel anders als draußen in der Pfarrkirche oder im Dom: Es ist eine persönliche Herausforderung, das persönliche Bekenntnis:

    Ich steh an deiner Krippe hier,
    o Jesu, du mein Leben.
    Ich komme, bring und schenke dir, was du mir hast gegeben.
    Nimm hin, es ist mein Geist und Sinn.
    Herz, Seel und Mut, nimm alles hin
    Und lass dir’s wohl gefallen.

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