Ostern, das Fest der Auferstehung. Im Knast wird das christliche Hochfest ebenfalls gefeiert. Etwas anders als draußen. Die Menschen, die im Gottesdienst am Ostersonntag um 9.15 Uhr im Jugendvollzug der JVA Herford versammelt sind, kennen die Liturgie nicht. Sie sind weder kirchlich sozialisiert noch dass sie das Osterfest in irgendeiner Weise draußen gottesdienstlich gefeiert hätten. Trotzdem kommen sie wie jeden Sonntagmorgen freiwillig: Muslime, Bekenntisfreie, Jeziden und der eine oder andere mit orthodoxem Hintergrund.
Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter von 14 bis ca. 24 Jahren kennen “Karfreitage” in ihrer Lebenserfahrung von Dunkelheit und Abgründen. Sie sind ihren kulturellen- und religiösen Verbindungen entwurzelt worden. Sie erinnern sich wenig oder nur durch Erzählungen anderer an ihre Wurzeln oder besinnen sich wieder neu durch ihre Inhaftierung auf ihre Herkunft. Manche haben in ihrer Kindheit ein Wechselspiel zwischen Oma, Stiefvater, der leiblichen Mutter, Aufenthalte in Kinderheimen oder Kinder- und Jugendpsychiatrien hinter sich.
Steh auf, geh Deinen Weg
Aus den Biographien der Jugendlichen und deren Delinquenzen wird deutlich, dass sie eine Unzahl an Entbehrungen und Benachteiligungen, Naivität und Sorglosigkeit, Aggressionen und Beeinflussungen ausgesetzt waren und sind. Mangelnde Zuwendung, zerrüttete Familien, Kulturschock, keine oder nur eine bruchstückhafte Schulbildung haben sie gelehrt, ihren Mangel durch zweifelhafte und schließlich kriminelle Strategien zu kompensieren. In dieser Situation von Auferstehung erzählen? Und das am dunklen Ort wie dem des Knastes? Etwas unbeholfen hält ein Inhaftierter bei der Segnung die Osterkerze. Plötzlich hebt er sie hoch und brüstet sich damit als wenn er im Ringkampf gesiegt hätte. Klarer könnte die Auferstehung nicht ausgedrückt werden: “Steh auf, geh Deinen Weg” – das ist eine Hoffnungsbotschaft.
Vermeidliche Nähe herstellen
Jugendliche Inhaftierte bezeichnen sich untereinander umgangssprachlich mit “bruddr” oder Cousin. “Hey, das ist doch mein bruddr”, wenn sich jemand für einen einsetzen will. Verwandtschaftliche Verhältnisse sind durchaus eine Realität. Da ist der Cousin mit inhaftiert oder ein Brüderpaar ist gemeinsam in Untersuchungshaft. Wenn dem so ist, dann kann es Familienumschluss geben. Das heißt, die beiden Verwandten können für eine gewisse Zeit in einem Haftraum verbringen. Aber eher werden die Ausdrücke gebraucht, um eine vermeintliche Nähe herzustellen. “Sie sind doch mein ´bruddr´, warum kann ich denn nicht meine Freundin anrufen”, so oder so ähnlich höre ich das oft…
Glaube geht unter die Haut
Als ich noch Tabak in meinem Seelsorgebüro hatte, war ich permanent der Cousin. “Hey, Sie sind doch mein Cousin” war die Einleitung, etwas Tabak abzubekommen. Tabak verteile ich schon lange nicht mehr. Eine Nähe kann ohne irgendwelche Stoffe oder Geschenke entstehen. Eine Zigarette könnte ein Türöffner sein, aber als Gefängnisseelsorger möchte ich das Abhängigkeitsverhältnis nicht fördern. Ein Gefangener der Untersuchungshaft war zum Zugangs-Café mitgekommen. Er zeigte sich auffällig offen für unsere Arbeit und der Anstaltskirche. Um dies zu betonen, krempelte der den linken Pullover-Ärmel hoch und zeigte seinen “Glauben”: Sehr professionell gemacht ist das Christusbild mit Dornenkrone, den betenden Händen und einem Rosenkranz tätowiert.
Geschichten stecken dahinter
Als Gefängnisseelsorger begegnen wir Inhaftierten und ihren Tätowierungen nicht zum ersten Mal. Doch manchmal, wie hier, ist es überraschend, wie eindrücklich diese Tätowierungen sein können und lassen uns staunen. Der Gefangene erzählt, dass er orthodox aufwuchs und deshalb diese Tätowierung anfertigen ließ. Teuer sei es gewesen, doch für seinen Glauben sei das gerechtfertigt, meint er. Was wohl noch so alles dahinter steckt? In einem der nächsten Gespräche wird er weiter davon erzählen. Es sind diese Erzählungen hinter den sichtbaren Zeichen, die hinter den Menschen schauen lassen.
Michael King | Zeichnung: Petri JVA Augsburg-Gablingen