An diesem Freitag ist der Tagesablauf in der Justizvollzugsanstalt Herford ein anderer als sonst. Im Jugendvollzug findet das Sommerfest statt. “Das ist wie ein Dorffest hinter Mauern”, sagt ein Gefangener. Verschiedene Attraktionen werden geboten, ein DJ macht Musik und an den Essensständen gibt es Pizza und Waffeleis. Die schweren Tore in den drei Innenhöfen des Gefängnisses sind offen.
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“Eine Menge Organisation gehört dazu, dieses Fest auszurichten”, berichtet Nicole Sonnenbaum vom erziehungswissenschaftlichen Dienst. Sie kommt mit dem Justiz-Transporter und bringt sogar einen Sonnenschirm von zuhause mit. Eine Riesen Dartscheibe wird aufgeblasen, ein Boxautomat aufgestellt und der Stand mit Dosenwerfen vorbereitet. Unterstützt wird der Allgemeine Vollzugsdienst (AVD) von AnwärterInnen der JVA Bielefeld-Senne. “So ein Fest ist schon etwas besonderes”, meint die Anwärterin, die an der Dartscheibe eingeteilt ist. Früh um 9 Uhr gibt es eine Besprechung aller Beteiligten im Betriebshof. Dazu kommen die stellvertretende Leiterin Martina Schuchert und die Inhaftierten der Gefangenenmitverantwortung (GMV). Sie tragen gelbe T-Shirts mit dem Aufdruck “Member”.
Essen und trinken
Um 10 Uhr treffen die Fußballmannschaften der JVA Hövelhof (Offener Vollzug), der JVA Bielefeld-Brackwede (Erwachsenenvollzug) und der JVA Heinsberg ein. Der Fußballplatz füllt sich. Nach und nach stoßen die Gefangenen aus den Abteilungen der JVA Herford hinzu. Es dürfen nur diejenigen teilnehmen, die keine Trennungen mit anderen Mitgefangenen haben. Zu groß sei die Gefahr, dass es bei der Veranstaltung zu einer Schlägerei käme. “Doch seit Jahren ist beim Sommerfest nie etwas passiert”, erzählt eine Sozialarbeiterin am Stand der Getränke. Dort gibt es Lahmacun, eine Teigasche mit Salat und Soße. Der deutsch-türkische Kulturverein Herford spendet sie den Inhaftierten. Diese haben Wertmarken erworben, mit denen sie sich über den Tag mit Pommes, Bratwurst, Pizza und Eis versorgen können.
Gespräch und Begegnung
Einer unter den Gefangene freut sich “wieder mal in Herford zu sein”. Er kennt den Jugendvollzug gut. Jetzt gehört er zur Mannschaft der JVA Bielefeld-Brackwede im Erwachsenenvollzug. “Leider wurde ich wieder inhaftiert”, sagt er. Der Gefängnisseelsorger Michael King kennt ihn noch aus der Jugendanstalt Raßnitz in Sachsen-Anhalt. “Das müsste jetzt fast 15 Jahre her sein”, erzählt King. “Drehangelvollzug” nennen manche das Kommen und Gehen von Menschen im Vollzug. “Als ich hörte, es geht nach Herford, habe ich mich gleich gemeldet”, fügt der Inhaftierte hinzu. “Wie geht’s Ihnen denn?”, fragt er. Es finden Gespräche zwischen Bediensteten, Ehrenamtlichen und den jugendlichen Inhaftierten statt. In Klein- und Zweiergruppen ziehen sie von Stand zu Stand. Besonders der Boxautomat findet Beachtung. “Einmal draufhauen und sehen, welche Kraft man hat”, äußert sich ein schmächtiger Jugendlicher, der neben einem breiten Gefangenen mit langen Haaren steht. “Es ist irgendwie friedlich hier”, stellt der Jugendliche der Gefangenenmitverantwortung fest.
Drinnen und draußen
Mit von der Partie ist der Beiratsvorsitzende Christian Obrock (SPD). Der Anstaltsbeirat ist ein Gremium nach §§ 162 ff. des Strafvollzugsgesetzes, in dem BürgerInnen auf ehrenamtlicher Basis die institutionalisierte Öffentlichkeit vertreten sowie die Leitung einer JVA beraten. “Als Beirat wollen wir uns in Zukunft mehr einbringen und mit den jugendlichen Inhaftierten in Kontakt kommen”, erzählt der Abgeordnete im Landtag von Nordrhein-Westfalen. Er ist Diplom-Pädagoge und weiß wie das gehen kann. So steht ein Besuch im Gremium der Gefangenenmitverantwortung an sowie die Vorstellung des Beirates in der großen Dienstbesprechung aller Bediensteten.
Eine ältere Frau redet mit einem Gefangenen auf der Bank, wo ein paar Jugendliche Karten spielen. Sie hat viele Jahre Menschen hinter Gittern als ehrenamtliche Mitarbeiterin betreut. “Jetzt komme ich heute, um mich zu verabschieden. Kontakt habe ich noch zu einem, der vor drei Jahren entlassen wurde. Er hat sein Bleiberecht wieder bekommen”, erzählt sie freudig. Das Sommerfest ist ein Austausch zwischen draußen und drinnen. Die Musiklehrerin Adriana Riemann und der Musiklehrer Roland Reuter von der Musikschule Herford genießen das Waffeleis. Seit 10 Jahren begleiten sie die Musikband in der Anstaltskirche. Diejenigen, die die beiden kennen, kommen strahlend auf sie zu. “So, auch hier? Wollen Sie noch eine Wertmarke mit Pommes haben?”, bietet ein Gefangener seine selbst bezahlte Wertmarke an.
Musik und Tanz
Der DJ legt eine Musik auf, die von den Gefangenen gewünscht wird. Schnell kommt eine Gruppe Inhaftierter in Bewegung und tanzt auf kurdische Klänge. Die anderen ermuntern mitzutanzen. Ein ungewohntes Bild im Jugendvollzug. Einzelne Jugendliche zeigen ihre besondere Begabung, indem sie “Floorwork” am Boden tanzen. Wieder andere nehmen einen Mitgefangenen auf die Schulter und tanzen gemeinsam. Die Bediensteten wippen schon ein wenig mit, stehen aber abseits auf ihrem Beobachtungsposten. “Man vergisst fast, dass man im Knast ist. Hätten die Beamten keine Uniform an, dann könnte man meinen, man wäre beim Stadtfest”, bestätigt ein jugendlicher Tänzer. Am Ende gehen die Inhaftierten um 14 Uhr gestärkt und vielleicht etwas erschöpft zurück in ihre Hafträume. Einer, der im Dosenwerfen gewonnen hat, fragt, ob er seine Gewinne an Süßigkeiten mitnehmen darf. “In diesem Fall dürfte das kein Problem sein”, sagt eine Bedienstete lachend.
Michael King
1 Rückmeldung
Da war ja wieder was los! Man könnte wirklich meinen, dass die Gefangenen die harmlosesten Mitbürger aller Zeiten sind?! :)) Das ist keine Kritik, das ist nur in den Wind gesprochen. Es geht nicht darum, dass ich Strafe verherrliche oder vorziehe! Das war ehrlich gemeint, denn letztlich steckt ja wirklich in jedem Menschen die Sehnsucht nach einem friedlichen Miteinander.