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Eheseminar im Knast ist (k)eine Einfuhrschleuse für Drogen

7. Februar 2021

Dass ich mit dem Vorhaben eines Eheseminares in der Justizvollzugsanstalt Werl als Gefängnisseelsorger zuerst abgeblitzt war, sickerte schnell durch und wurde mir von einigen Wohlgesonnenen der Bediensteten zugetragen. Sollte sich dennoch je eine Chance bieten, musste ich mir über einige Punkte klar sein. Geld gab es von der Justiz nicht. Wenn auch nur eine Überstunde anfiel. Ferner: allein konnte und wollte ich das Seminar nicht durchführen; ich war auf ein Team angewiesen. Doch sollte es nicht nur weitere Besuchszeit, sondern inhaltlich gefüllt sein. Die Sicherheit musste gewährleistet bleiben, ohne dass Bedienstete abgestellt wurden.

Der neue Anstaltsleiter sei ‚aufgeschlossen’ und an Veränderungen ‚interessiert’, hieß es. Er galt eher als ‚unberechenbar bis chaotisch’, als bereit, Aufgaben und Projekte sowie Verantwortung anderen zu überlassen, wenn nur er nicht gefährdet würde. Er sei ‚karrieregeil’. Bei mir kam an: dann wird er dafür auch einiges riskieren, womit der glänzen kann. In einem der ersten Gespräche trug ich meine ‚Schnapsideen’ vor. Froh und erstaunt war ich, dass ich bald grünes Licht wenigstens für die Vorbereitungen für solch ein „Eheseminar“ bekam. Eine hohe Klippe war, die Genehmigung der vorgesetzten Behörde, wenn nicht gar des Ministers, zu erhalten. Über Bekannte aus früherer Jugendarbeit nahm ich Kontakt zu einem Referenten im Generalvikariat des Erzbistums Paderborn auf. Nach zaghaften, doch auch zupackenden Gesprächen fand ich Zustimmung, Bereitschaft und Unterstützung: persönlich und finanziell.

An ein solch kühnes Projekt hatte noch nie jemand zu denken gewagt; erst recht nicht an seine Verwirklichung. Innerhalb weniger Wochen stand ein Team von sechs interessierten Frauen und Männern: zwei Ehepaare sowie außer mir ein weiterer Mann, der für den Anschub viel schaffte, doch bald ausschied. Vom Konzept her waren wir uns schnell einig: Ziel des Eheseminars im Knast sollte sein, soviel Klarheit wie möglich in den Beziehungen herbeizuführen; und nicht: die Paare um jeden Preis beisammen zu halten. Als Team wollten wir Anstöße geben und die Paare soviel wie möglich selbst erarbeiten lassen. Für die Seminarnachmittage ein mal im Monat an einem Samstag wollten wir thematische Anstöße geben und in Kleingruppen mit den Teilnehmenden bearbeiten. Die Obergrenze der Gruppengröße sahen wir bei zwölf Paaren. Die Paare sollten ein Jahr im Seminar bleiben, damit ein Mindestmaß an Kontinuität gewahrt wurde.

Ungeklärte Zuständigkeiten?

Schwieriger waren die Gespräche in der JVA zu Fragen von Sicherheit und Ordnung (S + O) und wer über eine Teilnahme entschied. Letztere behielten sich die Abteilungsleiter vor. Damit waren die in die Verantwortung eingebunden. Mit einem waghalsigen Argument überzeugte ich den Chef von S + O: Wer zum Eheseminar zugelassen wurde, erhielt 3 ½ Stunden zusätzliche Besuchszeit, die er schwerlich aufs Spiel setzen würde. Eine befürchtete Geiselnahme würden die Teilnehmer und ihre Frauen selbst unterbinden oder beenden. Die Auswirkungen für den oder die Täter wären unausdenkbar schwerwiegend; der oder die wären tot, egal in welchem Knast. Mehrere Angehörige des Sozialdienstes sprachen mich in Konferenzen oder persönlich an und äußerten ihre Verärgerung darüber, dass ich eigenmächtig und „über sie hinweg“ das Seminar betrieben und mich in ihre Zuständigkeit eingemischt hätte. Als Erstes erklärte ich mich bereit, das Terrain sofort dem Sozialdienst zu überlassen. Sodann berichtete ich, wie ich beim Vorsitzenden der Konferenz der Sozialarbeiter abgeblitzt war. Doch wenn sie wollten, träte ich sofort ab, damit sie das Seminar in ihre Regie und Verantwortung nähmen. Soviel Entgegenkommen war offenbar zu viel. Die Aufgabe übernehmen wollte keiner. Der Gedanke, einen Samstagnachmittag zur Stelle zu sein und dafür Freizeitausgleich zu nehmen, schien undenkbar. Wichtig war, so mein Eindruck, dass die ungeklärte Zuständigkeit gewahrt blieb. Das gab den Ausschlag; nicht die Frage, was nötig, sinnvoll, Leben fördernd oder stabilisierend ist. Wer, wieso auch immer, als ‚nicht zuständig’ galt, der durfte nicht aktiv werden. Unerheblich war, welche Erkenntnisse über Einzelne, deren Sozialverhalten und soziale Bindungen geradezu geschenkt wurden, die in Einzelgesprächen nicht zu gewinnen waren.

Im Laufe von Monaten zeichnete sich der Entscheidungsweg ab, wobei es an mir war, den Prozess voran zu treiben; sonst wäre alles liegen geblieben. Von der Teilnahme ausgeschlossen waren Inhaftierte mit Sicherungsmaßnahmen in Folge gravierender Vorkommnisse. Neuzugänge sollten erst kennengelernt und eingeschätzt werden, d.h. wenigstens zwei Monate in der JVA Werl sein. Der Antrag eines Inhaftierten auf Teilnahme sollte durch den zuständigen Sozialarbeiter mit Stellungnahme der Abteilungskonferenz vorgelegt werden. Die Entscheidung lag beim Abteilungsleiter. Bald zeigte sich, dass Anträge, die an bestimmte Sozialarbeiter gingen, verschwunden waren und blieben; nie bei ihnen gelandet seien. Daher änderte ich den Modus: die Anträge gingen an mich; ich führte mit den Interessenten und deren Frauen/Partnerinnen ein Vorgespräch und gab den Antrag dem zuständigen Betreuer, bei dem ich den Antrag nach Vorlage auf der Konferenz wieder abholte. Um den Überblick zu behalten, notierte ich, wann ich Anträge erhalten und an wen weitergegeben hatte. Seitdem lief das Verfahren störungsfrei.

Hängt davon ab, wer gerade Dienst hat

Im Frühjahr 1985 wurde das erste anstaltsinterne Eheseminar der Bundesrepublik, wenn nicht der Welt, zumal in einer „JVA dritten Grades“, mit „ganz schweren Jungs“ genehmigt. Überstunden durften, wie erwartet, nicht anfallen. Geld vom Land stand nicht zur Verfügung. Sollte etwas danebengehen oder misslingen, hatte ich den Brassel am Hals und musste den Kopf hinhalten. Mit Federn würden sich andere schmücken. Das taten mehrere; auch solche, die das Seminar mit Macht und Einfluss zu verhindern versucht hatten. Auf überregionalen Konferenzen taten die so, als wären sie ‚die’ Träger und Förderer des Unternehmens. Tatsächlich hatten sie sich nicht ein einziges Mal blicken lassen oder auch nur informiert; ganz zu schweigen, dass sie nur eine Minute mitgearbeitet hätten. Als ich hier und dort die Lobgesänge auf die sozialen Unternehmen der JVA hörte und neugierig fragte, um was es da geht und woher die Information stamme, war ich überrascht, wer da so schön und ahnungslos gesungen hatte, und konnte mir nicht verkneifen, schmunzelnd darauf hinzuweisen, dass dies Werke des Seelsorgedienstes der JVA waren und von niemand sonst, was wiederum mit ungläubigem Staunen quittiert wurde.

Wichtiger war: das Eheseminar fand statt. Zum Leidwesen etlicher Kollegen. Was die davon hielten, offenbarte sich etwa darin, dass sie keine Zeit hatten, die Teilnehmer rechtzeitig zum Seminar aus den Zellen zu lassen und zur Kirche zu bringen, wo das Seminar stattfand. Da konnte ich so viele schriftliche Informationen gezielt weitergeben, wie ich wollte, und noch vorher anrufen. Fast zwei Jahre bin ich an diesen Samstagen durch die JVA gehechtet, um die Männer zusammen zu holen. Ähnlich kostete es schier unendlich viel Zeit, bis die Frauen, an einigen Samstagen auch Kinder, durch den Besuch kontrolliert waren und in die Anstaltskirche kamen. Die angegebenen Gründe zeugten von viel Phantasie. Stets hing das davon ab, wer gerade Dienst hatte. Manche waren bereitwillig und wohlgesonnen. Mit denen ging es flott und zügig. Anders wurde das, nachdem ein Kollege feststellte: „Wir haben ja den größten Vorteil von Ihrem Seminar. Die kommen froh und gelöst zurück, sind ansprechbar und friedlich. Das habe ich nicht für möglich gehalten.“ Von einem Teilnehmer, mit dem er viele Jahre zu tun hatte, sagte er: „Seit der bei Ihnen im Seminar ist, kann man mit dem reden. Bisher hat er nur gemotzt und gestänkert.“ Was dieser Kollege unternommen hat, weiß ich nicht. Möglicherweise wurde das Thema in der Kantine, der Gerüchteküche der JVA, nach allen Regeln anstaltsinterner Kunst durchgehächelt. Innerhalb kurzer Zeit boten sich Bedienstete an, die Männer zeitig zusammen zu holen und zu bringen. Einer sagte: „Das ist doch keine Arbeit für Sie! Das können wir schneller und leichter.“ Ich war eine schweißtreibende Arbeit los. Nur wenige blieben obstruktiv, die ich bald kannte. Soviel für Verbrecher zu tun, war ihnen zu viel. Denen musste die Schwarte knacken. Türe zu und Schlüssel weg!

Die Problematiken

Um die Nachmittage vorzubereiten, brauchten wir in den ersten Monaten mehr Zeit, als ein Seminar dauerte. Einmal mussten wir uns kennen lernen, Meinungen und Standpunkte austauschen und abklären sowie auf eine tragende Basis einigen, womit wir beschäftigt blieben. In den ersten Monaten sollten die Frauen reden können, die bei Besuchen meist in der Rolle von Hörerinnen waren. Wie es den Männern im Knast ging, was es da alles zu bejammern und zu beklagen gab, wussten die Frauen. Kaum eine Ahnung hatten die Männer davon, wie es den Frauen und Kindern ging. Und sie wollten es auch kaum wissen. Was den täglichen und normalen Grundbedarf anging, waren die Frauen und Kinder oft schlechter dran als die Männer. Die fast total beschnittene Freiheit durch Gitter, Mauern, verschlossene Türen und ungezählte Verordnungen und Verfügungen legte sich quälend und erdrückend auf Herz, Geist, Sinne und Gemüt. Keine Frage. Die eingeschränkten Möglichkeiten draußen, die Abhängigkeiten von allen möglichen Ämtern, Stellen und Instanzen, gepaart mit Unverständnis und Ablehnung in Großfamilie, Freundeskreis und Nachbarschaft, die Zurückweisung der Kinder in Kindergärten und Schulen usw. usw. wurden zu untragbaren Belastungen. Eine Frau ist mit ihren Kindern innerhalb weniger Jahre vier- oder fünfmal umgezogen, um den neugierig bohrenden Fragen der Umgebung zu entkommen. Drohten die Männer in einer asozial geprägten Masse verloren zu gehen, gingen viele Frauen samt Kindern in der manchmal selbst gewählten Isolation und Anonymität verloren.

Diese und ähnliche Themen regten wir an, stellten Situationen nach, auch szenisch in Rollenspielen, schafften es jedoch kaum, den Frauen Raum und Zeit zu verschaffen. Von Elend, Not und Leid der Frauen und Familien wollten die Männer so wenig hören. Solche Missklänge, die für sie weitere Belastung bedeutete, lehnten sie ab. Die Probleme der Frauen und Familien waren deren Problem und Sache und sollten es bleiben. Für einige Männer war das, was sie zu hören bekamen, so unerträglich, dass sie das Seminar verließen. Dieses Recht stand allen zu; wer wollte, der konnte; niemand sollte oder musste. Nach wenigen Monaten war ‚uns im Team’ klar: die Nachmittage rissen mehr Themen an und Wunden auf, legten eher Leid und unaufgearbeitete Vergangenheit frei, als dass auch nur ein Bereich oder Problem bereinigt oder aufgearbeitet werden konnte. Auf beiden Seiten war ein gewaltiger Stau. Das Redebedürfnis wuchs. Die Paare wurden sich ihrer Probleme und Ausweglosigkeit bewusster. Das lange Beisammensein in relativ offener und geschützter Atmosphäre wurde eine Belastung. Die Abschiede bitterer. Am Ende war mehr offen, als geklärt. Das, was zu Tage trat, nahm zu. Der Wust, vor dem wir standen undurchdringlicher.

Schutzfunktion von Mauern

Am Tag nach dem Fall der Mauer in Berlin 1989 ergab sich im Team wie von selbst als Thema für das Eheseminar: „Da werden Mauern verrückt“. So etwa lautete vor Jahrzehnten, wenn ich mich recht entsinne, die Schlagzeile einer Zeitschrift. Dazu fiel uns die Geschichte im erstenTestament ein, die erzählt, dass die Israeliten siebenmal um die Stadt Jericho gezogen waren und deren Mauern dann durch lautes Getöse ihrer Tuben und Trompeten zum Einsturz gebracht hatten. Aktuell kam hinzu, dass während der sieben Wochen zuvor in Leipzig vor den Protestdemonstrationen jeweils ein Gottesdienst gehalten wurde, dem diese Geschichte von Jericho zu Grunde lag. Für die Umsetzung schlugen wir den Paaren vor, aus Kartons, die die Paketstelle der JVA auf meine Bitte hin seit Monaten aufgehoben hatte, Mauern zu bauen. Die konnten mit verschiedenen Farben bemalt werden. Prächtige Gebilde standen rund herum in der Kirche. Die Paare richteten sich einigermaßen häuslich ein. Es war recht schwierig, sie zu Aktivitäten in Kleingruppen und Plenum zu motivieren. Höhepunkt sollte zum Abschluss sein: wir brechen die Mauern ab. Wir rechneten mit Freude oder gar Begeisterung. Doch selten haben wir uns so vertan wie mit diesem Ansinnen. Die Paare waren empört und wehrten sich: alles, nur das nicht. Sie drehten die Mauergebilde so, dass sie drohend abwehrend im Raum standen, wo hinter sie sich „verbarrikadierten“. Hervorkommen wollten sie erst und nur, wenn der Bestand der zu Schutzburgen gewordenen Mauern gesichert sei. Damit hatten wir kein Problem. Wir stellten das Programm um und sammelten, was es so schwer machte, die verhassten, quälenden, einengenden, trennenden und Leben verhindernden Mauern einzureißen. Erstaunlich war, wie „Wert“ und „Schutzfunktion“ von Mauern benannt wurden. Jemand sagte: „Im Grunde brauchen wir Schutz. So haben wir die Mauern in dieser Woche erlebt. Und den Schutz, wo wir uns so wohl gefühlt haben, wollen wir bewahren, nicht zerstören!“ Wohl nicht der letzte und einzige Grund, weshalb der Großteil der Männer in den Knast zurückkehrte.

Eheseminar sei Einfuhrschleuse für Drogen

Um dem abzuhelfen sowie mehr Raum, Zeit und Möglichkeiten für die Einzelnen, die Paare und die Bearbeitung anstehender Fragen zu gewinnen, kam im Team nach wenigen Monaten die Idee auf, ein Mal im Jahr eine „Arbeitswoche im Eheseminar“ anzubieten, zumal es bislang nicht einen Vorfall gegeben hatte, der S + O auf den Plan gerufen hatte. Fast ständig wurde behauptet, das Seminar sei die „Einfuhrschleuse“ für Drogen. Doch in nicht einem Fall wurde ein Beweis erbracht. Vielleicht war der Ärger darüber so groß, dass eine Aktion durchgeführt werden sollte, die das Aus bedeutet hätte. Durch Zufall und auf seltsamen Wegen erfuhr ich, dass jemand eine Fete absagte, weil in der JVA Werl „ein großes Ding mit Drogen“ liefe, weshalb „Wochenendfrei“ gestrichen sei. Ich schaltete schnell. Mir war sofort klar: die Frauen sollten auf Drogen hin „gefilzt“ werden. Mir war auch klar: das ließen die nur ein mal über sich ergehen. So rief ich alle Frauen an und sagte ihnen, was bevorstehen könnte. Wie die Information darüber wiederum an die JVA gelangt ist, weiß ich nicht. Die Aktion wurde abgeblasen. Die Anstaltsleitung war empört und entsetzt über meine Handlungsweise. Meine Antwort war, ich würde mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln für den Erhalt des Eheseminars kämpfen. Wenn es auch nur einen Hinweis für die Behauptung des „Drogenschmuggels“ gegeben hätte, wäre das was anderes gewesen.

Seminar hat „Wunder vollbracht“

Aus den „erst mal zwei Jahren“, die wir im Leitungsteam zusammen bleiben und arbeiten wollten, wurden mit der Vorbereitung fast zwölf. Mit meinem Ausscheiden aus dem Dienst wollten auch die anderen aufhören. Wir gestanden uns ein: nach so langer Zeit hatten wir unser „Pulver verschossen“, gingen die Ideen aus sowohl, was Themen betraf, als auch, wie die methodisch erarbeitet werden konnten. Insgesamt waren es gute, gegenseitig bereichernde, erfreuliche und lehrreiche Jahre, die ich nicht missen möchte. Die Erinnerungen sind unverändert gut und lebendig. Und: von keinem Miesmacher lasse ich mir davon etwas nehmen oder zerstören. Für deren Beschränktheit und kleines Karo trage ich keine Verantwortung; setze mich damit auch nicht mehr auseinander. Die Zeit ist mir zu kostbar. Von Bedeutung sind für mich die, die mitgewirkt und Nutzen gezogen haben – und zwar auf allen Seiten und Ebenen! Das Eheseminar – wie andere Wagnisse – nach meinem Abgang kurzer Hand abzuschalten, wurde wahrscheinlich „von oben“ verhindert. Wir hatten vorgesorgt, ein neues Team gesucht und eingearbeitet, so dass das Werk weitergeführt werden konnte mit meinem Nachfolger als neuem verantwortlichen Leiter.

Wie wir meist später erfuhren, haben sich etwa 20 % der Frauen scheiden lassen oder von ihrem Partner getrennt. In hochdramatischen Situationen wurden mehrmals Männer von ihren herangewachsenen Söhnen zur Raison gebracht und massiv bedroht: sie ließen nicht mehr zu, dass der Vater künftig auch nur einen in der Familie schlage; im hohen Bogen würde er durch die Tür oder das Fenster fliegen. Die Väter glaubten und verstanden: das war kein Spaß. Einer von ihnen, der über viele Jahre hin in der Familie eine Schreckensherrschaft ausgeübt hat, saß nach seiner Entlassung „abends brav in Filzpantoffeln vor der Glotze“, wie mir seine Frau in einem Anruf erzählte. Das Seminar habe „ein Wunder vollbracht“. Ich sagte: „Das war eher Ihr Sohn.“ – Eine längere hitzige und schmerzhafte Diskussion darüber, ob und wie treu die Frauen draußen ihren Männern seien, wurde aus dem Stand durch die in heller Erregung gestellte Frage einer der Frauen ein für alle Mal beendet: „Und wie steht es hier um eure Treue zu uns?“ – Anstrengend für alle, besonders für die Väter, waren die vier Nachmittage, an denen auch die Kinder und Enkel teilnahmen. Außer der Vorweihnachtsfeier mit Bescherung durch die Väter blieben diese Nachmittage programmfrei. Rührend waren Situationen, wenn Väter ihre neugeborenen Kinder erstmals auf den Arm nahmen, nicht wussten, wie sie sie halten sollten, und vor Angst, den Kleinen etwas anzutun, klatschnass geschwitzt waren. Das anstaltsinterne Eheseminar war ein gutes Werk, das besser gelungen ist, als je einer geahnt, vorhergesagt und mancher auch gegönnt hat. Die kleinste Panne, die sofort den Abbruch herbeigeführt hätte, ist ausgeblieben. Das ist, denke ich, ein Zeichen für die Qualität der Teamer, deren Arbeit und der Teilnehmenden am Seminar.

 Ein Kapitel aus: Erinnerungen eines Gefängnispfarrers. (K)eine Satire

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