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Eben nicht: „Ich bringe den lieben Gott, bekehrt Euch mal…“

18. Juni 2023

Das Evangelium erzählt, dass Jesus mit Zöllnern und Sündern isst und dafür Ärger mit den Rechtgläubigen bekommt. Was dieses Vorbild Jesu für uns heute bedeutet, sagt der ehemalige Gefängnisseelsorger René Pachmann. Er arbeitete von 2016 bis 2021 als Seelsorger in Berliner Gefängnis der JVA Plötzensee. Warum sollten ChristInnen auf SünderInnen zugehen? Kein Mensch ist frei von Fehlern und Schwächen. Es gibt nicht nur Gut und Böse, sondern viel mehr dazwischen…

Welche Erfahrungen haben Sie in Ihren Gesprächen gemacht?

Mir gegenüber waren die Inhaftierten immer sehr freundlich und offen. Ich habe in den fünf Jahren, in denen ich in der JVA Plötzensee gearbeitet habe, fast ausschließlich positive Erfahrungen gemacht. Allerdings hatten die Gefangenen manchmal andere als die von mir erhofften Beweggründe, mich aufzusuchen, und waren bisweilen eher an meinem Kaffee und an meinem Tabak interessiert als an einem guten Gespräch. (lacht)

Manche Seelsorger lehnen die Ausgabe von Tabak ab, weil sie damit nicht die Sucht der Gefangenen unterstützen möchten.

In der JVA Plötzensee sitzen viele sogenannte Kurzstrafer. Das sind meist Menschen, die ihre Strafmandate nicht bezahlt haben, notorische Schwarzfahrer und Menschen, die mehrfach des Ladendiebstahls überführt wurden. Viele meiner Klienten waren also arm und konnten sich oft nicht einmal das Notwendigste leisten. Für mich war es daher wichtig, dass sie mich als Seelsorger – und damit auch die Kirche – als offen, nicht als knauserig erleben. Religiös gesprochen: Der liebe Gott verschenkt seine großzügige Liebe ja auch nach überallhin.

Was darf sich die Kirche vom Gespräch mit Sündern erwarten?

Ich habe die Gespräche nicht mit Erwartungen verknüpft. So nach dem Motto: Ich bringe Euch jetzt den lieben Gott, nun bekehrt
Euch mal und hört mir zu, wenn ich von Jesus rede. Wenn ich mit einem solchen Anspruch auf die Strafgefangenen zugegangen wäre, hätte dies viele gute Gespräche erstickt. In der Seelsorge geht es darum, den Menschen entgegenzugehen. So wie sich auch Jesus den Menschen genähert hat, mit ihnen zunächst einmal gegessen und getrunken hat, einfach Zeit mit ihnen verbracht hat. Deswegen habe ich auch versucht, meinen Raum so wohnlich wie möglich einzurichten.

Warum das?

Damit es dort gemütlicher ist als in einer beengten Zelle, damit die Menschen kurz rauskommen aus ihrem Gefangenenalltag. Der Ton im Knast ist oft sehr rau. Für die Bediensteten sind die Gefangenen nur die Knackis. In der Seelsorge ist auch Platz für die anderen Dimensionen des menschlichen Lebens. Das war für mich oft sehr erfüllend, wenn die Menschen diesen Freiraum bei mir gespürt haben und etwa über ihre Hobbys, ihre Kinder oder ihre Kindheit gesprochen haben. Im Gefängnis sind die Menschen in einer Ausnahmesituation. Da kommen recht schnell existenzielle Fragen und Ängste auf.

Hatten Sie tatsächlich keine Ziele bei Ihrer Arbeit im Knast?

Natürlich möchte ich als Seelsorger alle Menschen mit der Liebe Gottes in Berührung kommen lassen. Deshalb habe ich zunächst versucht, Räume zu öffnen, in denen sich die Menschen wieder eine Weile frei fühlen können, um so eventuell eine Ahnung von Güte und Barmherzigkeit zu bekommen.

Jesus ist für seinen Umgang mit den Sündern kritisiert worden. Haben Sie so etwas auch erlebt?

Nein, nie. Meist fanden die Leute meine Arbeit eher interessant und wollten gerne mehr darüber erfahren. Gelegentlich wurden aber auch mal grundsätzliche Zweifel laut, ob denn die Knastseelsorge überhaupt etwas bringe.

Und? Bringt sie etwas?

Die meisten Strafgefangenen kommen irgendwann wieder raus. Deswegen sollte man vorher, solange sie noch in Haft sind, mit ihnen sprechen. Ganz unabhängig vom Erfolg.

Im Evangelium werden Sünder und Kranke in einem Atemzug genannt. Sind Straftäter krank?

Ich denke, das ist ein Bildwort, das Jesus hier verwendet. Man sollte das nicht religiös überdeuten. Und ob nur die Bösen im Gefängnis sind und die Guten immer draußen, das ist noch einmal eine ganz andere Frage.

Wie meinen Sie das?

Manche Menschen, zum Beispiel Wirtschaftskriminelle oder Steuerhinterzieher, können sich gute Anwälte leisten und kommen daher eher selten in den Knast.

Sie waren auch zuständig für das Haftkrankenhaus, wo auch Menschen mit schweren Verbrechen hinkommen. Gab es Delikte, die Ihnen ein Gespräch unmöglich gemacht haben?

Um den Menschen möglichst vorurteilsfrei zu begegnen, habe ich mir, obwohl das möglich gewesen wäre, nie Akteneinsicht erbeten. Doch natürlich gibt es im Knast auch viel Tratsch, so dass ich oft wusste, welche Straftaten wer begangen hatte. Auch wenn ich mit manchen Taten innerlich ringen musste, habe ich nie allzu engmaschig über diese Delikte gesprochen, sondern eher versucht, zukunftsorientiert zu sein. Bestimmte Taten wie Kindesmissbrauch habe ich mir auch einfach nicht vorgestellt. Ich wollte den Menschen so offen wie möglich begegnen, damit sie sich im Gespräch oder anschließend in der Zelle vielleicht selbst besser reflektieren können.


Das hört sich nicht einfach an.

Doch so hat Jesus es uns vorgelebt. Er ist vorurteilsfrei auf die Menschen zugegangen, nicht um sie zu richten, sondern eher, um sie aufzurichten. Und Jesus ließ auch nie nach. Für die Gefängnisseelsorge übersetzt bedeutet das, auch auf Menschen zuzugehen, die vielleicht zum fünften Mal im Knast gelandet sind. So wie ein Arzt auch immer dabeibleibt, selbst wenn die Menschen chronisch krank sind.

Interview: Andreas Kaiser
Titelbild: Zwei Gefängnisseelsorger im Gespräch: Jürgen Wiesner (JVA Attendorn) und Mirko Wiedeking (JVA Hövelhof und UfA Büren)
bei der Studientagung der GefängnisseelsorgerInnen im Erzbistum Paderborn in der Landvolkshochschule Hardehausen bei Warburg (NRW)

 

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