Die Justiz in Nordrhein-Westfalen veranstaltet ein Thementag in der Justizakademie Recklinghausen zum Thema “Wie vielfältig sind wir?” Die Dimensionen von Diversität werden dazu in einer Keynote von dem wissenschaftlichem Leiter des Kölner Instituts für Diversity- und Antidiskriminierungsforschung (IDA), Prof. Dr. Dominic Frohn, im Kontext von Arbeit beleuchtet. Etwa 100 TeilnehmerInnen* aus der Gerichtsbarkeit von Generalstaatsanwaltschaft, RichterInnen*, der Sozialarbeit und dem Justizvollzug nehmen sich dem Thema in verschiedenen Workshops an.
Der “diverse” Thementag wird gestartet von Lars Theissen, Justizakademie Recklinghausen. Er zeigt einen Film aus Baden-Württemberg, der die Justiz im Jahr 2040 mit verschiedenen Visionen zeigt. “Diversität ist vorausgesetzt und findet Widerhall in der Justiz. Sie spiegelt die Vielfalt der Gesellschaft wieder”, so im Video. Das Grußwort und die Projektvorstellung der derzeitigen Vielfaltsförderung in der Justiz NRW gestaltet die Staatssekretärin Dr. Daniela Brückner. Die Dimensionen umfassen nicht alleine die Geschlechtsidentität oder die sexuelle Orientierung. Ebenso geht es um die soziale und kulturelle Herkunft, das Lebensalter, um Befähigung und Behinderung, Religion und Weltanschauung oder einfach um ein “Anders-sein-können” ohne im Fokus zu stehen. Wie kann diese Vielfalt von Menschen in einer gegenseitig sich bereichernden Weise “genutzt” und gewürdigt werden?
Auswirkungen von Diskriminierung
Prof. Dr. Dominic Frohn widmet sich in seinem wissenschaftlich fundierten Vortrag der Frage, welche Bedeutung ein Bewusstsein für Diversität für die Arbeitstätigkeit hat. Die Präsentation startet beim Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und erörtert anhand von wissenschaftlichen Studien die Auswirkungen von Ausgrenzung und Diskriminierung entlang der sechs Kerndimensionen von Diversität. Frohn regt eine Reflexion zu den Chancen der Inklusion von Vielfalt an. Dabei berücksichtigt er sowohl neurowissenschaftliche Erkenntnisse als auch augenöffnende Ergebnisse aus der Antidiskriminierungsforschung. Die TeilnehmerInnen* lädt er ein, sich in einem inneren Gedankengang vorzustellen: “Sie gehen am Bahnsteig hin und her und warten auf den Zug. Es kommt das Personal, das den ICE führt. Sie steigen ein. Im Abteil sitzen Sie einem Pärchen gegenüber. Im Zug begegnet Ihnen das Reinigungspersonal. Am Ziel angekommen, steigen sie in ein Taxi und unterhalten sich mit dem Menschen, der das Taxi fährt…”
Vielfalt als Chance nutzen
“Was haben Sie sich innerlich vorgestellt? Welche Bilder kamen Ihnen bei den Schilderungen?”, fragt Prof. Dr. Frohn. Es kommen Antworten wie, dass der Lokführer männlich und das Pärchen heteronormativ sein müssten. Die Reinigungskraft ist sicher aus einem anderen Kulturkreis und der Taximensch ein Türke…“ 24 % geben an, dass die soziale Herkunft das größte Hindernis sei”, so Frohn in seinen Ausführungen. Wissenschaftliche Untersuchungen geben an, dass “People of color” in den Medien häufiger als Kriminelle dargestellt werden. Stereotype sind tief in uns verankert und haben Auswirkungen. “Wie hat ein Mädchen zu gehen?” fragt eine amerikanische Studie Kinder. Das Ergebnis zeigt, dass Kinder noch keine bestimmte Bilder im Kopf haben und “einfach gehen”. Es geht darum, die Vielfalt als Chance zu nutzen. Besonders in der Arbeitswelt. Neuro-Diversität wird als Beispiel angeführt, wie ein autistischer Mensch in einer Immobilie all die Schäden scannt, die sonst keiner in der Weise wahrnehmen kann. Dazu kann ein Arbeitgeber beitragen: Ein gutes Klima der Anerkennung von anderen Geschlechtsidentitäten zu fördern und Menschen zu befähigen, einen guten Arbeitsplatz trotz “Behinderung“ zu halten.
Gendern nicht so kompliziert
“Malen Sie bitte auf die ausgelegten Zetteln einen Baum”, fordert der Workshopleiter und Kommunikationsexperte Christoph Hofbauer in seinem Workshop die TeilnehmerInnen* auf. Die Gruppe von 12 Menschen zeigt ihre gezeichneten Kunstwerke. Einer der Teilnehmenden malt einen Christbaum. Zumindest wird er als solcher erkannt. “Die Zeichnung gibt nur bedingt wieder, wie ein richtiger Baum wirklich aussieht”, erläutert Hofbauer. Es wird fokussiert und in Strichen dargestellt, was als Baum gelesen werden kann. Genauso ist es in der geschlechtergerechten Sprache. Als polarisierendes Thema be-wegt dies seit Jahren die Öffentlichkeit. Sprache verändert sich ständig. “Wir sprechen alle nicht mehr althochdeutsch. Die Wörter wie I-Phone oder BahnCard haben es in den Duden geschafft”, meint Hofbauer. Anhand vieler Beispiele wird in den unterschiedlichen Diversitätsdimensionen skizziert, wie Vielfalt sprachlich zum Ausdruck gebracht und wie in-klusiv(er) gesprochen werden kann. Dabei geht es nicht nur um Text, sondern ebenso um die Bildsprache. Die Deutsche Bahn hat eine Werbekampagne entwickelt, die die Fahrgäste zeigen soll. Natürlich in all der Vielfalt. Doch dies zeigt nur bedingt die Wirklichkeit, so die Kritik daran. Gendern müsste nicht so kompliziert sein, wie es aktuell noch geschieht.
Es gibt keine Kästchen
Eine Staatsanwaltschaft gibt zu bedenken, dass ein Gendern in den Anklageschriften gar nicht möglich sei. Der Hinweis, dass man einfach den Vornamen und den Nachnamen nennen kann, stößt auf Zustimmung. Wie gendert man? Dazu gibt es keine klare Richtlinie. Mit Sternchen, Unterstrich, groß I oder einfach neutral formulieren ohne das Pronomen zu verwenden. “Wichtig ist, dass Sprache im Fluss ist. Es gilt der Vielfalt Raum zu geben und zu zeigen, dass sich viele angesprochen fühlen können”, so Hofbauer. Ein Appell, sich mit der Sache auseinanderzusetzen und sich kein vorschnelles Urteil zu bilden. Ein viel komplexeres Thema ist, wenn sich beispielsweise RichterInnen* zu bestimmten persönlichen Identitäten bekennen und damit ihre Autoritäten verlieren könnten. Sie würden ausschließlich “darauf festgenagelt” werden. Genau das widerholt sich in den Kirchenstrukturen.. Es sollte keine Kästchen und Schubladen geben, die man Menschen zuweist. Zu vielfältig und bunt sind die Biografien und Lebenserfahrungen. Jeder Mensch sollte selbstbewusst leben können und dürfen, ohne den alltäglichen Diskriminierungen und Zuweisungen ausgesetzt zu sein.
Michael King