Kaum ein anderer gesellschaftlicher Bereich ist bis in die Gegenwart geschlechtlich so stark binär strukturiert wie der Strafvollzug. Die prinzipielle Trennung der männlichen und weiblichen Gefangenen in gesonderten Anstalten bzw. Abteilungen, das sogenannte Trennungsprinzip, wird durch den grundrechtlichen Schutz des Intim- und Sexualbereichs gerechtfertigt. Ein Grund ist der Schutz inhaftierter Frauen vor (sexualisierter) Gewalt, womit meist cis Frauen gemeint sind. Die Unterbringung in einer Männer- oder Frauenhaftanstalt erfolgt bei cis Inhaftierten nach dem amtlichen Geschlechtseintrag im Personenstandsregister. Für trans Menschen existiert in Deutschland keine einheitliche Regelung für die Unterbringung in einem Gefängnis.
Mit dem am 12. April 2024 vom Deutschen Bundestag verabschiedeten und am 1. November 2024 in Kraft tretenden Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag (SBGG), kurz Selbstbestimmungsgesetz (BMFSFJ 2023) wird die rechtliche Änderung des Vornamens und des Geschlechts-eintrags im Personenstand durch ein einfaches Verfahren (ohne pathologisierende und medizinische Gutachten) ermöglicht. Da die Unterbringung in einer Männer- oder Frauenhaftanstalt sich am Eintrag im Personenstandsregister orientiert, hat das neue Selbstbestimmungsgesetz Auswirkungen auf den Strafvollzug.
„Die Unterbringung von Strafgefangenen muss sich nicht allein am Geschlechtseintrag orientieren, das SBGG gebietet mithin nicht, dass Personen immer entsprechend ihrem personenstandsrechtlichen Geschlechtseintrag in einer entsprechenden Anstalt untergebracht werden. Das Grundgesetz und die Fürsorgepflicht der Anstalt verlangen vielmehr; bei der Unterbringung im Strafvollzug die Sicherheitsinteressen und Persönlichkeitsrechte aller Strafgefangenen zu berücksichtigen.
Ändert ein bislang männlicher Strafgefangener seinen Geschlechtseintrag in weiblich, können Persönlichkeitsrechte und Sicherheitsinteressen anderer Strafgefangenen seiner Verlegung in ein Frauengefängnis gegebenenfalls entgegenstehen, eine Differenzierung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls bleibt nach Maßgabe der Landesgesetze mithin auch weiterhin möglich.“
S6 Abs. 2 SBGG-E
Nicht allein vom Geschlechtseintrag
Mit Vorlage des Referentenentwurfs begann eine kontroverse und öffentliche Diskussion, beispielsweise um das sogenannte Hausrecht (§ 6 Abs. 2 SBGGE), in dessen Rahmen es weiterhin möglich ist, Menschen den Zugang zu Räumlichkeiten zu verwehren, um zum Beispiel den „Schutz der Intimsphäre“ oder der „persönlichen Sicherheit“ Anderer Rechnung zu tragen. In den Verweisen zum Paragrafen im Besonderen Teil (B) geht es um den Zugang zu Toiletten, Umkleideräumen, Saunen und Frauenhäusern. Aber auch der Frauenstrafvollzug wird in der Debatte als vermeintlich bedrohter Schutzraum thematisiert. Der Deutsche JuristInnenbund (djb) weist in seiner Kritik darauf hin, dass schon bei der Gesetzesbegründung ein Narrativ von potenzieller Gefährdung durch trans Frauen reproduziert und die rechtliche Geschlechtsänderung „ohne jeden empirischen Anhaltspunkt auf die Möglichkeit eines Missbrauchs reduziert“ (djb 2023) wird. Das wird auch in der Debatte zum Strafvollzug sichtbar. Während in dem im Juni 2022 vorgestellten Eckpunktepapier der Strafvollzug nicht geregelt war, wird im Besonderen Teil (B) in den Verweisen zu S6 Abs. 2 SBGG-E des Gesetzesentwurfs konkreter auf die Unterbringung im Strafvollzug eingegangen.
Sichtbar wird, wie im Besonderen Teil des SBGG-E in Bezug auf den Strafvollzug Persönlichkeitsrechte in Bezug auf Geschlecht sowie Sicherheitsinteressen und Fürsorgepflichten des Vollzugs gegeneinander abgewogen werden. Auffällig ist, dass lediglich die Änderung des Personenstandes von männlich in weiblich thematisiert wird, was nahelegt, dass, wie bereits vom Deutschen Juristinnenbund kritisiert, vor allem trans Frauen als „gefährlich“ konstruiert werden. In der Debatte um das Selbstbestimmungsgesetz werden Unsicherheiten virulent und an Geschlechtervielfalt festgemacht, die in ihrer Tiefenstruktur jedoch auf kulturelle Zuschreibungen des Zusammenhangs von Männlichkeit und Täterschaft sowie Weiblichkeit und Opferschaft verweisen. Diese werden im Strafvollzug wie unter einem Brennglas sichtbar: Im Aufeinandertreffen der Stärkung der Persönlichkeitsrechte in Bezug auf Geschlecht einerseits und der Wahrung der Sicherheitsinteressen und der Fürsorgepflicht im Vollzug andererseits, zeigt sich eine widersprüchliche Konstellation, die sich in der binär und homosozial strukturierten Institution zuspitzt und ein stetiges Ausloten dieser Widersprüche erfordert. Vor dem Hintergrund dieser Konstellation wird im folgenden Beitrag der Frage nachgegangen, wie trans Inhaftierte ihre Erfahrungen im Strafvollzug deuten. Das qualitative Forschungsprojekt verortet sich in der geschlechtertheoretisch fundierten Gefängnissoziologie mit Bezügen zu Trans Studies, die in der Forschung zum Strafvollzug in Deutschland bisher eine Leerstelle darstellen.
Trans Personen im Strafvollzug
Im Strafvollzug ist die binäre und homosoziale Strukturierung durch einen Schutzauftrag begründet. Die Norm der Zweigeschlechtlichkeit, die den Vollzugsalltag strukturiert, ist institutionell verankert. Diese Norm wird durch geschlechtliche Vielfalt durchkreuzt, die die naturalisierten Prozesse der Geschlechtszuweisungen irritiert und Geschlecht als soziale Konstruktion in den Vordergrund treten lässt. Harold Garfinkel hat schon 1967 in der Studie der transsexuellen Person Agnes aufgezeigt, wie die Geschlechtszugehörigkeit in alltäglichen Interaktionsprozessen sozial hergestellt wird. Indem der „Geschlechtswechsel“ die Annahme durchbricht, dass biologisches Geschlecht, soziales Geschlecht und sexuelles Begehren kohärent sind, lassen sich vermeintlich naturalisierte Prozesse von Geschlechtszuweisung und Geschlechtszugehörigkeit in ihrer alltäglichen Herstellung untersuchen (Hoenes/Schirmer 2019, 1205). Dieser ethnomethodologische Zugang lenkt den Blick auf die Ko-Konstruktionsprozesse der binären Geschlechterordnung in den Interviewerzählungen von trans Inhaftierten.
Allerdings wird mittlerweile die zur damaligen Zeit zugrundeliegende Unterscheidung von sex und gender infrage gestellt und insbesondere Judith Butler (1991) hat eine poststrukturalistische Perspektive ausgearbeitet, die begründet, dass auch das biologische Geschlecht kulturell überformt und sozial konstruiert sei, zugleich habe das „biologische Geschlecht“ eine normierende und normalisierende Funktion. Wie wir Geschlecht, Körper und Begehren wahrnehmen und regulieren, fasst Butler mit dem Konzept der „heterosexuellen Matrix“: Geschlecht und Sexualität werden so organisiert, dass Heterosexualität als natürlich und unvermeidlich erscheint, indem davon ausgegangen wird, dass ausschließlich zwei Geschlechter existieren und dass Geschlecht, Geschlechtsidentität und Begehren kohärent sind. Butlers heterosexuelle Matrix als Normalisierungs- und Naturalisierungsverfahren von Geschlecht und Begehren ist eng verbunden mit dem Begriff der Heteronormativität (Warner 1993).
„Heteronormativität drängt die Menschen in die Formzweierkörperlich und sozial klar voneinander unterschiedener Geschlechter, deren sexuelles Verlangen ausschließlich auf das jeweils andere gerichtet ist“ (Wagenknecht 2007, 17). Die heterosexuelle Matrix organisiert auch das Trennungsprinzip des Strafvollzugs mit seiner Begründung, den Sexualbereich zu schützen. Die Annahme, dass der Schutz des Sexualbereichs dann gewährt wird, wenn Frauen und Männer getrennt voneinander untergebracht werden, impliziert die Vorstellung von Sexualität als Heterosexualität, die es im Gefängnis zu unterbinden gelte. Gesamter Artikel lesen… [pdf-Dokument AndersOrt 2025 I]
Anke Neuber | Lizenziert: Verlag De Gruyter Brill