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Logik des Kampfes: Der Esel und die weiße Fahne

23. März 2024

Es gab weltweite Aufregung um ein Interview mit dem Papst, das er einem lokalen italienischen Sender gab. Darin ging es um die Bedeutung der Farbe Weiß in verschiedenen Kontexten. So wurde er auch zum Hissen einer weißen Fahne im Krieg gegen die Ukraine gefragt. Franziskus sagte, dass dies ein Zeichen von Stärke sei, da damit die Waffen niedergelegt und Verhandlungen gefordert werden.

Als dieser Teil des Interviews über weltweite Kanäle verbreitet wurde, gab es viel Unverständnis und zum Teil erheblichen Widerspruch. Wie kann der Papst die Ukraine zur Kapitulation aufrufen? (was er gar nicht tat). Warum nennt er nicht den eigentlichen Aggressor, und ruft Putin nicht zum Rückzug auf? (was er tatsächlich nicht tat). Warum äußert er sich so missverständlich, sollte er nicht besser beraten werden hinsichtlich der medialen Verbreitung seiner Botschaft? Ist der Papst weltfremd? Aus dem Vatikan folgten Erklärungen zu den Papstäußerungen: der Papst setze sich für Verhandlungen ein, damit der Krieg mit dem unsinnigen Morden aufhöre. Verhandlungen aber werden von beiden gegnerischen Seiten abgelehnt. Und der Krieg geht weiter.

In der neutestamentlichen Offenbarung des Johannes tritt der Erzengel Michael im eschatologischen Kontext als Bezwinger Satans auf. Michaelskirche im baden-württembergischen Asperg bei Ludwigsburg.

Wer ohne Sünde ist werfe den ersten Stein

Mir kommt die Verwendung des Symbols der weißen Fahne im Zusammenhang des aktuellen Krieges Russlands gegen die Ukraine mit all der Verwirrung und Aufregung vor wie der Einzug Jesu auf einem Esel in Jerusalem, schon damals einer Stadt voller sozialer Gegensätze und der politischen wie religiösen Aufruhr gegen Unterdrückung und Unterwerfung. Was soll das: auf einem Esel reiten, wo doch entschlossenes Durchgreifen gefragt ist? Auf welcher Seite der Konfliktparteien will Jesus eigentlich sein? Warum geht er nicht entschieden gegen die Unterdrücker vor? Die Sehnsucht nach Frieden ist groß, und alle rufen „Hosianna“ voller Hoffnung, dass endlich der Messias da sei– doch schon wenig später rufen sie „kreuzige ihn“. Ein Hin- und Hergerissensein angesichts all der menschlichen Leiderfahrung. Mitten hindurch der Weg Jesu mit einem Esel. Das hat etwas Unpassendes, es wirkt irritierend, vielleicht sogar komisch in dieser Situation. Die Stimmung ist aufgeheizt und aggressiv – da hindurch bahnt Jesus einen Weg ohne Worte, nur im stillen und friedvollen Sein inmitten des Lärmes. Das erinnert mich an seine Begegnung mit der Frau, die von den Männern wegen Ehebruchs angezeigt und gesteinigt werden sollte. Jesus hockte sich still hin und malte irgendwelche Zeichen in den Sand. Und er sagte nur diese entwaffnenden Worte: wer von euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein.

Unterbrechung der Logik

Der Esel und die weiße Fahne wirken wie eine Unterbrechung in der Logik des Kämpfens. Beide signalisieren Gewaltverzicht, der Kampf aber braucht immer einen Gegner. Die Verhältnisse werden umgekehrt: Schwaches wird stark, Starkes wird schwach. Und das Geschehende wird nicht absolut gesetzt: das Leid ist nicht unausweichlich. Zugleich aber erscheint ein tatsächlicher Gewaltverzicht in der Wirklichkeit der Kriege als völlig abwegig. Die Gewalttäter hätten freie Bahn, Unterdrückung und Unterwerfung fänden kein Ende. Obwohl allen klar ist, dass es am Ende (was soll das für ein Ende sein?) immer Verhandlungen geben muss, werden sie für jetzt ausgeschlossen.

Gewaltloser Weg

Andererseits: es gab und gibt immer wieder Menschen, die den gewaltlosen Weg gehen. Es ist kein außerirdischer Weg. Und lehrt uns nicht jede eigene Erfahrung im Unterbrechen des Kämpfens und Loslassen von Gegnerschaft schon in kleinen Auseinandersetzungen, dass dadurch ein neuer Weg sich eröffnet? Manchmal braucht es dafür ein gehöriges Maß an Bewusstheit und Disziplin, tatsächlich aus dem eingefahrenen Denken auszusteigen – wieviel mehr braucht es dann in den großen Zusammenhängen der Weltpolitik? Alle sind wir miteinander verbunden: mit immer mehr Menschen, die bereit sind, aus den alltäglichen Gewaltkreisläufen auszusteigen, tun sich neue Wege auf. Der Esel und die weiße Fahne mögen mindestens eine Unterbrechung sein im scheinbar Unausweichlichen – dann kann alles andere bereits vor der eigenen Haustür beginnen.

Christoph Kunz

 

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