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Dass etwas anfängt: Wo Mauern fallen, werden Zugänge freigelegt

7. Oktober 2023

In Wien wurde die „Trompete von Jericho“ als Auszeichnung für die Initiative #OutInChurch entgegengenommen. Dieser Preis wird von verschiedenen österreichischen Kirchenreformorganisationen für „außerordentliche Verdienste um Reformen in der Katholischen Kirche hin zu einer Kirche mit Zukunft“ verliehen. Die Feier fand im Rahmen einer Preisverleihung statt, bei der u.a. Jens Ehebrecht-Zumsande aus Hamburg zum Thema: „Der Traum und die Lüge von einer Kirche für alle“ spricht.

„Die Kirche ist eine Kirche für alle“ so hat es Papst Franziskus vor 500.000 Jugendlichen beim Weltjugendtag 2023 in Lissabon gesagt. Und wie ein Mantra wiederholen die Jugendlichen nach Aufforderung des Papstes: „Alle! Alle! Alle!“ Das klingt einladend und nach Aufbruch. Doch wie wenig belastbar dieses Mantra „Kirche ist für alle!“ wirklich ist, zeigte sich spätestens am Tag darauf. Bei der fliegenden Pressekonferenz während des Rückflugs nach Rom spricht eine Journalistin den Papst auf diese Aussage hin an. Sie weist ihn auf den offensichtlichen Widerspruch hin. Gilt das „Kirche ist für alle“ denn auch tatsächlich für Frauen* und queere Menschen? Der Papst erklärt daraufhin: Natürlich ist die Kirche offen für alle. Aber wer einmal darin ist, muss sich anschließend an die Regeln halten, die darin gelten. So einfach geht das also!

Jens Ehebrecht-Zumsande aus Hamburg mit dem Preis „Trompete von Jericho“

Willkommen, aber an die Regeln halten!

Dieser Papst Franziskus ist bekannt für seine bildreiche Sprache. Viele Äußerungen wirken spontan, freundlich und zugewandt. Wer aber in den vergangenen Jahren neben dieser Rhetorik nüchtern auf die tatsächlichen Handlungen von Papst Franziskus geschaut hat, konnte über diese Wendung „Alle sind willkommen, aber sie müssen sich an die Regeln halten!“ eigentlich nicht überrascht oder gar enttäuscht sein. Im Gegenteil. Der Papst ist ein Meister darin schöne Worte zu machen, die Hoffnung wecken. Aber dann bleibt in der Regel doch alles beim Alten. Verschiedentlich hat der Papst zum Beispiel von der Kirche als „Feldlazarett“ gesprochen. Demnach ist es Aufgabe der Kirche „Wunden zu heilen und die Herzen der Menschen zu wärmen“. Die Kirche soll „Nähe und Verbundenheit“ zwischen Menschen und Gott fördern. Das ist ein Kirchenbild, mit dem ich durchaus viel anfangen kann. Kirche wird zu einem „Heils-Ort“, wenn sie zuerst ein wahrhafter “Heil-Ort“ ist. Nur die Realität ist leider vielfach eine andere!

Kirche oft kein heilsamer Ort

In erster Linie denke ich an die Menschen, die als Kinder, Jugendliche oder Erwachsene sexualisierte Gewalt und/oder den Missbrauch spiritueller Macht erfahren und erlitten haben. Und mit ihnen kommen dann auch viele andere in den Blick, für die die Kirche wahrlich kein heilsamer Ort war oder ist. Zum Beispiel queere Menschen, die auf Grund ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer geschlechtlichen Identität diskriminiert wurden und werden. Das romantische Kirchenbild eines Feldlazaretts und der Ruf „Alle! Alle! Alle! Sind willkommen“, können nicht einhalten, was sie so vollmundig versprechen. Was ist, wenn wir erkennen, dass Menschen, die in dieser Kirche ein Amt oder einen Dienst ausüben, anderen schwere Verletzungen zufügen, statt Wunden zu verbinden? Was ist, wenn uns bewusst wird, dass „die Kirche“ durch ihre Lehre, ihre Strukturen, ihr Recht und ihre Praxis Menschen schwer verwundet und Unrecht schafft oder stabilisiert, statt für Gerechtigkeit und Gleichberechtigung einzutreten? Dann sind wir in der Realität angekommen! Und wir sind bei der Ausgangssituation, in der die Kampagne #OutInChurch entstand.

Neue Hausordnung? Würde, aber keine gleichen Rechte

In diesem angeblich „offenen Haus für alle“ gelten bestimmte Regeln. So sagt es der Papst. Zu diesen Regeln gehört zum Beispiel, dass das was außerhalb des Hauses selbstverständlich als Diskriminierung erkannt und benannt wird, in der Kirche auf keinen Fall so heißen darf. Und in diesem Haus gilt außerdem die Regel, dass die Menschen darin zwar die gleiche Würde haben, aber dass sie daraus nicht die gleichen Rechte für sich ableiten können. In diesem Haus definiert das kirchliche Lehramt, was ein Mann und was eine Frau ist. Und dass es nicht mehr als diese beiden Geschlechter gibt. Die Regeln in diesem Haus legen zudem fest, welches sexuelle Begehren dem Plan des Schöpfers entspricht und dass alles, was davon abweicht schwere Sünde ist. Ich erspare uns die Aufzählung weiterer solcher lehramtlichen Regeln.

Als jemand, der von Kindesbeinen an ganz selbstverständlich in dieser Kirche sozialisiert wurde, habe ich dort viele sehr gute Erfahrungen gemacht. Es sind Heimaterfahrungen. Und doch: Lange bevor ich wusste, wer ich wirklich bin; und lange bevor mir überhaupt eine Sprache für mein Queersein zur Verfügung stand, hatte ich eine Ahnung davon, dass mit mir „etwas nicht stimmt“, dass mit mir etwas „nicht richtig“ ist. Ich „wusste“, dass ich gegen irgendwelche Regeln verstoße, ohne sie überhaupt richtig zu kennen oder gar zu verstehen. Dass mit den Regeln etwas nicht stimmt, war für mich nicht denkbar. Stattdessen ahnte ich, dass mein Leben irgendwie schwierig werden könnte. Einfach, weil ich so war, wie ich war. Niemand sollte so fühlen müssen. Kein Kind. Kein Jugendlicher. Kein Erwachsener. „Ich will, dass das aufhört!“, sagt darum Monika Schmelter, eine der Protagonistinnen in der ARD Dokumentation „Wie Gott uns schuf“, die die #OutInChurch-Kampagne begleitet. Sie meint damit solche entwürdigenden Regelungen, ihre Auswirkungen und das daraus entstehende toxische Angstsystem. Besonders für queere Menschen, die beruflich in dieser Kirche tätig waren oder sind, hatte und hat es weitreichende Folgen: Vereinzelung, Erpressbarkeit, ein Versteckspiel, oder gar ein Doppelleben.

Eine neue Dienstordnung

Und dazu ich zitiere aus unserem Manifest: „Lebensentwürfe und Lebenserfahrungen queerer Menschen sind vielfältige Erkenntnisorte des Glaubens und Fundstellen göttlichen Wirkens. Wir sind überzeugt und wir erleben, dass unsere Vielfalt die Kirche reicher, schöpferischer, menschenfreundlicher und lebendiger macht. Als kirchlich Engagierte wollen wir unsere Lebenserfahrungen und unsere Charismen deshalb in die Kirche auf Augenhöhe einbringen und sie mit allen ChristInnem und Nicht-ChristInnen* teilen.“ Neuerdings kommt bei uns in Deutschland noch eine weitere Dimension hinzu. Anfang dieses Jahres wurde tatsächlich etwas zum Positiven verändert: Wir haben ein neues kirchliches Arbeitsrecht. Dieses besagt nun, dass die persönliche Lebensführung der Mitarbeitenden nicht mehr sanktionierbar ist. Im Klartext: Wer geschieden und in zweiter Ehe verheiratet ist, kann nicht mehr gekündigt werden. Ebenso ist vor Kündigung geschützt, wer queer ist und lebt, z.B. indem er*sie eine gleichgeschlechtliche Ehe eingeht. Das alles ist von vielen – auch von #OutInChurch – über viele Jahre erstritten worden, bestärkt durch zahlreiche Gerichtsurteile. Die neue Grundordnung des kirchlichen Dienstes spricht sogar davon, dass Vielfalt eine Bereicherung ist.

Kirche für alle – mit schrägen Regeln

Also doch eine „Kirche für alle“? Natürlich nicht, denn wie wir gelernt haben: Innerhalb des Hauses gelten die Regeln des kirchlichen Lehramtes trotzdem weiter. Das bedeutet: Als schwuler Arbeitnehmer bereichere ich nun meinen kirchlichen Arbeitgeber. Als Person – sozusagen nach Feierabend – bleibe ich aber ein „schwerer Sünder“, weil ich gegen die Regeln verstoße und in einer schwulen Beziehung lebe. Eine paradoxe Situation. Die Kirche könnte also wirklich ein „Haus des Willkommens für alle“ sein. Aber dazu müssen diese alten Regeln entsorgt werden. Wir wollen eine neue Hausordnung!

Selbstermächtigung

Die Kampagne stellt darum eine Machtfrage: Wer bestimmt die Regeln in dem Haus der Kirche? Wer hat hier eigentlich das Hausrecht? Hannah Arendt schreibt einmal: „Macht entspricht der menschlichen Fähigkeit, nicht nur zu handeln oder etwas zu tun, sondern sich mit anderen zusammenzuschließen und im Einvernehmen mit ihnen zu handeln. Über Macht verfügt niemals ein Einzelner, sie ist im Besitz einer Gruppe (…) Wenn wir von jemand sagen, er ‚habe die Macht’ heißt das in Wirklichkeit, dass er von einer bestimmten Anzahl von Menschen ermächtigt ist, in ihrem Namen zu handeln.“ Und diese Ermächtigung kann in Frage gestellt, oder zurückgewiesen werden.  Das gemeinsame Sichtbarwerden in einem Bündnis mit anderen, war und ist ein kraftvoller Akt der Selbstermächtigung. Er ist zugleich auch eine Zurückweisung von Macht und Fremdbestimmung. Für viele von uns war das der entscheidende Schritt ins Leben, ein emanzipatorischer Akt! Nach dem 24. Januar 2021 war nichts mehr, wie vorher. Daher passt dieser Preis, die „Trompete von Jericho“ und die damit verbundene biblische Überlieferung, so außerordentlich gut zu unserer Erfahrung. Es sind viele mächtige Mauern gefallen. Mauern der Angst, Mauern des Tabus und der Unfreiheit. Doch was wird dadurch möglich? Was folgt daraus?

Herbstkirmes in der Hansestadt Herford.

Change Sexualmoral

Ich will, dass etwas anfängt! Da, wo Mauern niederfallen, werden Dinge sichtbar und Zugänge freigelegt. Den Satz von Monika Schmelter „Ich will, dass das aufhört!“ greife ich auf, drehe ihn um und formuliere ihn so: „Ich will, dass etwas anfängt!“ Ich will mit #OutInChurch und all den anderen Reformgruppen in unserer Kirche mit daran wirken, dass wir weiter und größer denken. Bei der Anerkennung sexueller und geschlechtlicher Vielfalt geht es um viel mehr, als die Weiterentwicklung oder Änderung der Sexualmoral. Es ein zentrales Element. Es geht um den Change von einer verengten Sexualmoral, hin zu einer lebensdienlichen Beziehungsethik. Dazu ist in den letzten Jahrzehnten viel Gutes und Weiterführendes geforscht und entwickelt worden, nicht zuletzt auch beim Synodalen Weg in Deutschland. Aber es geht aus meiner Sicht um mehr. Denn die Diskriminierung und die Exklusion von queeren Menschen (und anderen) berührt noch andere Dimensionen.

Ich will, dass etwas anfängt

Darum: „Ich will, dass etwas anfängt!“ Dass wir groß und größer vom Menschen, wie von G:tt denken. Dass wir unsere Anthropologie, unsere Theologie – und schließlich auch das Lehramt – daran ausrichten, dass sie Menschen aufrichtet und groß macht. Das schließt ein, dass wir die Existenz queerer Menschen und ihrer Beziehungsformen als selbstverständlichen Ausdruck der vielfältigen Schöpfung G:ttes erkennen. Ich will, dass etwas anfängt: Dass wir auch mit einer queeren Perspektive fragen, was Kirche ist und wofür Kirche da ist. Was kann es bedeuten, wenn wir die Kirche als den „Leib Christi“ selbstverständlich auch als queeren Leib entdecken? Was tragen queere Menschen mit ihren Lebenserfahrungen in diesen „Leib“ der Kirche ein? Ich will, dass etwas anfängt: Dass wir uns ehrlich machen und darüber sprechen, dass und wo es in dieser Kirche strukturelle Diskriminierung von Frauen*, queeren Menschen und anderen gibt. Es sind nicht einfach Einzelpersonen, die sich diskriminierend verhalten, sondern es gibt systemische, ideologische und praktische Bedingungen für Diskriminierung. Und hier sprechen wir auch von Schuld. Hierfür müssen Kirchenleitende Verantwortung übernehmen. Das ist die Voraussetzung dafür, positiv aus dieser Situation zu lernen. Nur so können wir uns zu einer diskriminierungsbewussten Kirche ohne Angst entwickeln. Ich will, dass etwas anfängt: Dass wir eine pastorale Praxis gestalten, die inklusiv ist und in diesem Sinne Räume schafft, die bedingungslos sind. Es braucht keine weitere Regel in diesem „offenen Haus“ als die, die sagt: „Willkommen – so wie du bist. Schau, wer noch da ist und geht respektvoll miteinander um!“

Ich bin überzeugt: Wir können das als Kirche! Mir fällt dazu ein Satz ein, der von Nikolaus von Kues überliefert wird: „Die Größe eines Menschen zeigt sich darin, wie viele Gegensätze er in sich vereinigt.“ Auf die Kirche übertragen kann das bedeuten: Die Größe von Kirche zeigt sich darin, wie viele Gegensätze sie in sich vereinigt. Lasst uns gemeinsam eine solche Kirche sein! Eine Kirche, die die Menschenrechte achtet und in der es möglich ist, radikal verschieden zu sein, weil wir daran glauben, dass in dieser Verschiedenheit alle radikal gleichwürdig sind. Ich will, dass das anfängt!

Jens Ehebrecht-Zumsande

 

1 Rückmeldung

  1. Reina sagt:

    Hochachtung für das Engagement von Jens Ehebrecht-Zumsande und der Initiative #OutInChurch. Sie haben etwas möglich gemacht, was vor ein paar Jahren noch unmöglich erschien. Und trotzdem beschleicht mich das Gefühl, dass das nicht alles sein kann. Ich will nicht mehr kämpfen wollen gegen die Katholische Kirche. Ich will nicht einem Segen hinterher jagen wollen, der nicht wirklich ernst gemeint ist. Allen Initiativen von wohl gemeinten Segensfeiern durch einzelne pastorale Personen und Kirchengemeinden: Ich will nicht permanent verletzt werden. Daher ist eine Distanz und eine Ablösung von der Katholische Kirche befreiender, als für eine Veränderung dieser Kirche kämpfen zu wollen. Ein Wechsel zu anderen christlichen Kirchen verspricht nichts Besseres.

    Diese Kirche lässt sich nicht verändern, vielleicht in Teilbereichen oder in einzelnen Kirchen-Gemeinden. Der Anspruch dieser angeblichen Weltkirche und der Theologie dessen, dass man sich nicht dem angeblichen „Zeitgeist“ stellen will, widerspricht biblischen Erfahrungshorizonten einen lernenden Gottes*, der sich im Mensch Jesu neu zeigte. Lass die alten Männer und jüngeren Altbewahrern ihren wohl gemeinten Dienst tun. Lass sie ihre Theologie lehren und ihre Liturgie feiern. Die Lebenswirklichkeit wird automatisch eine andere Theologie des Lebens hervorbringen. Daher lohnt sich ein Kampf gegenüber diesem Machtapparat nicht. Zumindest nicht für mich.

    Ich achte und bin absolut beeindruckt über all die Menschen, die sich für eine Veränderung engagieren. Ein Impuls spornt mich an, dies ebenfalls zu tun. Soll ich mich in den Ring des Kampfes begeben? Ich weiß, dass ich verlieren werde. Ich habe genug gekämpft in dieser Katholischen Kirche. Es reicht. Ich kann nicht mehr. Soll Kirche an die Mauer stoßen. Ich will gar nicht mehr, dass sich die Kirche öffnet und sich die Mauern öffnen. Sollen sich die geweihten Brüder, die Priester und deren Kirchenmäuse einschließen und ihren gemeinsamen Lebensinn leben. Ich bin freier außerhalb dieser Strukturen und dieses Systems. Und trotzdem glaube ich an den Gott Jesu… Mir fehlt nichts, wenn ich nicht an den Liturgien dieser Kirche teilnehme.

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