SARS-CoV-2, gemeinhin Coronavirus genannt, verbreitet Angst und Schrecken unter den Menschen in ganz Europa. Menschen, die durch Richterspruch ihrer Freiheit beraubt sind, reagieren besonders sensibel und impulsiv, wenn es an der notwendigen Aufklärung und Information mangelt. Am Beispiel Italiens lässt sich ablesen, welche Komplikationen konkret auftreten können, wenn nicht rechtzeitig gegengesteuert und ein sachgerechtes Krisenmanagement aufgelegt wird.
In Italien hat ein Besuchsverbot für die Gefangenen zahlreiche Revolten in etlichen Vollzugseinrichtungen des Landes ausgelöst. Die Verhältnisse in den betroffenen Vollzugseinrichtungen werden als chaotisch beschrieben. Im norditalienischen Modena sind sechs Gefangene verstorben. Nach dem Sturm auf die Krankenstation haben Gefangene nach einer Überdosis an Medikamenten ihr Leben verloren. Drei weitere sollen bei dem Versuch ums Leben gekommen sein, sie während des Aufstandes in andere Vollzugseinrichtungen zu verlegen. Von den 530 Inhaftierten im Gefängnis Sant‘ Anna in Modena sollen sich achtzig an der Revolte beteiligt haben. Aus Kreisen der Polizei verlautete, dass es sich um solch einen Gewaltexzess gehandelt habe, wie er bislang noch nicht vorgekommen sei.
Besuchsverbot war Auslöser für Revolten
Das Besuchsverbot und das damit verbundene Abgeschnittensein von den nächsten Angehörigen brachte den Stein ins Rollen. Panik machte sich in den Gefängnissen von Mailand bis Palermo breit. Die Gefangenen verlangten eine Amnestie, um sich vor dem Virus in Sicherheit bringen zu können, zumindest aber staatliche Garantien für ihre Gesundheit. In Mailand erkletterten etliche der Inhaftierten das Dach der Haftanstalt San Vittore und skandierten „Freiheit, Freiheit“, um die Öffentlichkeit auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Mittels eines an der Fassade herabgelassenen Transparents forderten sie „Straferlass“ von der Justiz.
Ausbrecher gefährden die öffentliche Sicherheit
Im süditalienischen Foggia soll es annähernd 70 Gefangenen gelungen sei, aus der dortigen Haftanstalt auszubrechen. Obwohl viele der Ausbrecher sehr schnell wiederergriffen werden konnten, sollen sich noch mehrere Gefangene auf der Flucht befinden, unter ihnen ein Mörder und Angehörige der Organisierten Kriminalität. Die Revolten konnten zwar schnell niedergeschlagen werden, doch seither kontrollieren massive Polizeiaufgebote die Bereiche rund um die Vollzugsanstalten. Diese zahlreichen Sicherheitsstörungen, die enorme Herausforderungen für das Vollzugspersonal darstellten, haben deutlich werden lassen, zu welchen Spontanhandlungen Menschen fähig sind, wenn sie sich in ihrer Existenz bedroht sehen.
Italienische Gefängnisse sind extrem überbelegt
Die chronische Überbelegung der Haftanstalten hat die italienische Regierung in der Vergangenheit bereits mehrfach dazu veranlasst, ganze Gefangenengruppen zu amnestieren. Hierbei handelte es sich vorrangig um solche Gefangenen, die keine ernste Gefahr für ihre Mitmenschen bedeuteten und die einen erheblichen Teil der gegen sie erkannten Strafe verbüßt hatten. Weil die Gefangenen, die durch die Regierung angeordneten Hygienevorgaben und den Mindestabstand von einem Meter wegen der drangvollen Enge in den Haftanstalten gar nicht einhalten können, kursieren allerlei Verschwörungstheorien und diese fallen augenscheinlich auf fruchtbaren Boden. Die explosive Lage in den italienischen Haftanstalten schwelt, nachdem die Revolten zunächst niedergeschlagen wurden, latent fort.
Italienische Verhältnisse vermeiden
Zunächst ist festzuhalten, dass der Vollzug besser aufgestellt ist, als dies in Italien der Fall zu sein scheint. Zudem sollten wir aber erkennen, dass ein Mangel an sachgerechter Aufklärung und Information weiten Raum für Spekulationen und Vermutungen eröffnet. Neben der Information sollte eine Handlungsanleitung für die Unterrichtung der Gefangenen entwickelt werden, der die einschlägigen Informationen zu SARS-CoV-2 und der Erkrankung COVID-19 entnommen werden können.
Sachgerechte Unterrichtung dürfte der beste Schutz vor Sicherheitsstörungen darstellen und natürlich das hohe Maß an sozialer Kontrolle, über die wir in den Einrichtungen verfügen können. Trotz der gegenüber Italien besseren Verhältnisse sollten auch wir die Einsatz- und Interventionspläne auf Aktualität prüfen und uns auf denkbare Szenarien von sich ausweitenden Infektionsketten vorbereiten. Speziell wenn Personal infektionsbedingt nicht zur Verfügung steht oder wegen bestehender Quarantänemaßnahmen nicht greifbar ist, ist ein innovatives Management gefragt. Auch Masken, Schutzbrillen und Desinfektionsmittel müssen unausgesetzt zur Verfügung stehen. Und dann ist selbstverständlich die strikte Beachtung der Hygieneregelungen sicherzustellen.
Friedhelm Sanker | BSBD nrw
In der Justizvollzugsanstalt Castrop-Rauxel wird Desinfektionsmittel knapp. Auf den Toiletten der JVA seien zwar vor mehreren Tagen Spender für Desinfektionsmittel aufgehängt worden, sagt ein Inhaftierter. Doch seien sie nach kurzer Zeit leer gewesen und würden nun nicht mehr aufgefüllt. "Es herrscht ein ziemlicher Run auf Desinfektion, der war so nicht vorherzusehen."