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Die Corona-Maßnahmen bremsen im Knast aus

3. Oktober 2020

Gefängnisse sind bereits Quarantäneorte. Auf 8 bis 12 Quadratmeter in einem Haftraum untergebracht zu sein, bedeutet absoluter Freiheitsentzug. Doch auch hier kann man nicht 24 Stunden bleiben. Eine „Freistunde“ am Tag ist jedem Gefangenen zugesichert. Diese bei mehr als 300 Inhaftierten zu organisieren will geplant sein. Eine Haftstrafe dient der Resozialisierung eines Straffälligen. Das Wegsperren hinter Gittern und möglicher Feinvergitterung hilft wenig. In Corona-Zeiten haben sich die Vorschriften innerhalb der Mauern verschärft.

Mario M. ist seit drei Jahren hinter Gittern. Grund: Schwere Körperverletzung und Raub. Nun hat er noch 6 Monate bis zur Endstrafe. Eigentlich sollten jetzt seine Entlassvorbereitungen im vollem Gang sein. Doch Corona bremst auch hier aus. Die Sozialarbeiterin versuchte einen begleitenden Ausgang genehmigt zu bekommen. Dieser ist seit September 2020 wieder möglich. Vorher waren solche Lockerungen wie die eines Ausgang ausgesetzt. Das Problem ist, dass nur ein begleiteter Ausgang in Frage kommt. Mit zwei uniformierten Bediensteten, die sicher stellen sollen, dass die Corona-Auflagen wie die des Abstandsgebots eingehalten werden. Ein unbegleiteter Ausgang wie beispielsweise ein Hafturlaub hat zur Folge, dass bei der Rückkehr des Gefangenen dieser 14 Tage die Quarantänestation in Kauf nehmen muss. Dies will Mario M. nicht eingehen.

Auf der Quarantänestation passiert in den 14 Tagen nichts. Außer dass das Essen in dem Haftraum gebracht und Einzelfreistunden koordiniert werden. Kein Sozialarbeiter, Seelsorger und kein Psychologe tauchen auf. Neuzugänge werden behandelt wie infizierte Menschen. Nach Erfahrungen aus Befragungen Inhaftierter ist dies eine sehr schwere Zeit. Keine menschlichen Kontakte im „Umschluss“, bei dem sich Gefangene untereinander zu Zweit oder zu Dritt im Haftraum treffen können. Wenn es um Menschen handelt, die zum ersten Mal inhaftiert werden, spitzt sich die Isolationssituation zu. Die Suizidprävention lässt in diesem Fall zu wünschen übrig. „Ein Fernsehgerät wird zumindest gestellt“, so ein junger Gefangener nach dieser Zeit.

Laut Auskunft der Justizministerien sind in allen Bundesländern die Besuchsmodalitäten geändert worden. Ein Besuch eines Gefangenen ist nur mit zwei Personen des engsten Familienkreises möglich. Diese kommen mit Mund-Nasen-Schutz in die JVA. In eigens dafür umgebauten Besucherräumen ist das amerikanische System in vielen Anstalten eingeführt: Absolute Trennscheiben und Kommunikation durch ein Telefon. Ein junger inhaftierter Vater kann sein kürzlich geborenes Kind beim Besuch hinter Trennscheibe nicht in den Arm nehmen. Wie soll zwischen den Corona-Maßnahmen und den menschlichen Grundbedürfnissen abgewogen und dahingehend Lösungen umgesetzt werden?

Mario M. sagt: „Da mache ich lieber Besuch per Skype. Da kann ich zumindest das Umfeld meiner Angehörigen sehen, die Wohnung oder noch ein paar andere Leute mehr.“ Skype-Telefonie ist das positive Resultat der Pandemie. Vor Corona hat sich die Skype-Telefonie nur in wenigen Anstalten durchgesetzt. Jetzt sieht es anders aus.

Der Europäische Ausschuss zur Verhütung von Folter betont, dass in vielen Mitgliedstaaten strukturelle Probleme bestehen (Haftbedingungen, Zugang zu medizinischer Versorgung, Familienkontakt usw.). In einigen Ländern verschärfen sich diese Probleme zusätzlich, weil Haftanstalten überbelegt sind und Corona dazukommt. Artikel 3 und 13 der Europäischen Menschenrechtskonvention könnte man anführen, um grundlegende Änderungen zu erreichen. Doch wer klagt schon am Europäischen Gerichtshof für Menschrechte? Das ist ein langer Weg. Der EGMR hat bereits betont, „dass es ein berechtigtes Ziel [sei], Personen, die zu Gefängnisstrafen verurteilt worden sind, wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Unter diesem Gesichtspunkt [seien] Maßnahmen berechtigt, die, wie eine befristete Beurlaubung, die soziale Eingliederung des Gefangenen erlauben, auch wenn er wegen Gewalttaten bestraft worden ist.“  (Urteil vom 24.10.2002).

Das Corona-Virus verhindert Lockerungsmaßnahmen zurzeit erheblich. Das Virus hat überall dort leichtes Spiel, wo viele Menschen auf engem Raum zusammen sind – so auch im Gefängnis. Schafft es der Staat, Inhaftierte zu schützen, ohne ihre Grundrechte zu verletzen? Mario M. sieht das skeptisch: „Wenn denn ein Corona-Fall im Knast auftreten soll, dann geht hier nichts mehr“, meint er. Er spielt auf die berichtenden Maßnahmen an, in denen Anstalten alle Arbeits- und Schulmaßnahmen während des Lockdowns aussetzten. Keine Arbeit heißt kein Verdienst. Der ist hinter Gittern eh sehr gering. Kurzarbeitergeld gibt es nicht, nur eine Billigkeitslohnentschädigung. Trotz aller Einschränkungen blieb es bis jetzt in den Gefängnissen relativ ruhig. Anders als in Italien oder in brasilianischen Gefängnissen. Je länger die Pandemie dauert, desto mehr gibt es Unzufriedenheiten. Die Mauerüberwürfe haben zugenommen, weil über den Besuch keine illegalen Dinge mehr, wie Drogen oder Handys reinkommen. „Das Aggressionspotenzial hat ebenso zugenommen“, berichtet ein Bediensteter einer JVA.

Unsicherheitsfaktoren bilden die Bediensteten, die täglich rein- und rauskommen. Sie sind angehalten, die Abstände einzuhalten. Eine Maskenpflicht gibt es nicht oder nur in wenigen Anstalten. Grundlegend ist eine Quarantänestation für alle Neuzugänge in Untersuchungs- und Strafhaft eingerichtet. Die Inhaftierten werden getestet und bleiben erst einmal 14 Tage auf dieser Isolationsabteilung. Bedienstete, die nach ihrem Urlaub wieder ihren Dienst antreten, müssen eine Selbstauskunft abgeben, ob sie in „Risikogebieten“ waren. In Baden-Württemberg werden über das Ministerium der Justiz Bedienstete periodisch getestet. Doch dies ist nicht flächendeckend.

So bleibt Mario M. nichts weiter als abzuwarten. Die zuständige Richterin sieht gute Chancen auf eine frühzeitige Entlassung. Dazu müssen die Voraussetzungen stimmen. Es gibt kein Corona-Rabatt einfach so. In seinen 2 ½ Jahren Haft sollte Mario ein Anti-Gewalt-Training absolviert und sich sonst gut verhalten haben. „Das habe ich“, sagt er stolz. „Doch es ist sehr schwer hier dies durchzuziehen. Es gibt so viele negative Einflüsse seitens der Mitgefangenen, aber auch seitens des Systems. Da sind Bedienstete krank, es fallen Maßnahmen aus oder ehrenamtliche MitarbeiterInnen dürfen nicht reinkommen. Corona hat – wie fast überall auch – die bestehenden Problematiken verstärkt“, führt der 28-jährige Gefangene aus.

Michael King

 

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