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Brücken aus oder in die Dunkelheit des Gefängnisses

22. Juli 2020

Mit Gott zur Zufriedenheit – Monika und Henry Toedt schreiben Briefe mit Strafgefangenen weltweit. Herzlich und fest ist der Händedruck, mit dem mich Henry Toedt im Treppenhaus vor der kleinen Wohnung begrüßt, in der er mit seiner Frau Monika lebt. Unscheinbar reiht sich das Mietshaus in die stille Straße ein, eine nette Wohngegend, ein wenig verschlafen vielleicht. Unscheinbar auch das Leben der beiden Rentner, die 2012 von Norddeutschland hierher gezogen sind und am liebsten für sich bleiben.

Ja, die Toedts leben sehr zurückgezogen in ihrer neuen Heimat Hammelburg. Das kleine Auto, das sie zuerst noch hatten, haben sie per Aushang inseriert und verschenkt, alles, was sie brauchen, ist auch ohne zu erreichen und viel brauchen sie nicht. Im Wohnzimmer erwartet mich bereits ein liebevoll gedeckter Tisch mit Kaffee und Keksen. Ich setze mich auf das Sofa, direkt gegenüber ein Porträt des barmherzigen Jesus zwischen Marienbildern und anderen Heiligen. Monika und Henry Toedt schreiben Briefe mit Strafgefangenen, deshalb bin ich hier. Doch dieses Engagement, ihre Lebensaufgabe, wie die beiden 67-Jährigen es nennen, ist nur ein Teil der Geschichte. Einer Geschichte, die ganz oben beginnt und ganz unten noch einmal und die alles andere offenbart als die bürgerliche Normalität, die man hier vielleicht vermuten mag.

„Wir waren Kinder der Sonne und des klappte einfach alles“, erzählt Herr Toedt. Für die Toedts beginnt damit ein völlig neuer Weg.

Autos und eine Ferienwohnung in England

„Wir waren Kinder der Sonne und es klappte einfach alles“, beginnt Henry Toedt von ihrer Zeit in Bad Oldesloe zu erzählen. Er arbeitete zunächst bei der Sparkasse, dann machte sich das Ehepaar selbstständig und handelte 20 Jahre erfolgreich mit Immobilien. Schöne Autos, eine Ferienwohnung in England, jede Menge Freunde. Als sie schließlich bauen wollten, kam auf einmal alles zusammen. Nicht nur, dass sie sich mit den Plänen übernommen hatten, auch die Umsätze im Unternehmen brachen plötzlich weg. Auch sozial, gesellschaftlich sind die Toedts auf einmal „ganz unten“. „Wir sind da gelandet, wo wir nie sein wollten, was wir uns auch gar nicht vorstellen konnten.“ Gesperrte Konten, Bekannte, die einen nicht mehr kennen, auch der Sohn verlässt die Eltern.

Es liegt keine Verbitterung in der Stimme, wenn die Toedts von dieser Zeit sprechen, vielmehr die Ruhe von Menschen, die im Rückblick wissen, dass es gut so war. Zunächst versuchen die Beiden noch alles Mögliche, um sich wieder nach oben zu arbeiten, erfolglos. „Dann kam praktisch über Nacht so eine Art Eingebung“, berichtet Henry, der Gedanke, dass es vielen ja ähnlich geht wie ihnen und das Ehepaar beginnt, kostenlose Lebenshilfe anzubieten, private Gespräche. Dabei ergibt es sich, dass Monika unterwegs ein Engelbuch entdeckt, das sie sich trotz des knappen Geldes spontan kaufen. Religiös waren die Toedts bis dahin eigentlich nicht, zwar evangelisch getauft, aber „mit Gott hatten wir überhaupt nichts am Hut“. Dieses Buch inspiriert sie jedoch, nach der Bibel zu suchen, die sich irgendwo zwischen den etwa 5 000 literarischen Werken, die die beiden gesammelt hatten, befand.

Ein völlig neuer Weg beginnt

Henry Toedt stockt kurz die Stimme, als er erzählt, wie sie einfach eine Seite aufschlagen. Es ist das erste Buch der Könige, die Stelle, in der Eliah sich seines Lebens müde unter den Ginsterbusch legt. „O Herr, ich will nicht mehr“ – es hätte besser nicht passen können. Für die Toedts beginnt damit ein völlig neuer Weg, ihr Weg mit Gott. Nach wie vor suchen sie nach einer Lebensaufgabe, nach einer sinnvollen Erfüllung, die sie in den zwei Jahren ihres Engagements für die Lebenshilfe nicht gefunden hatten und kommen schließlich auf die Idee, Klöster anzuschreiben. Neben einigen anderen Antworten erhalten sie eine Einladung von Abt Barnabas in seine Benediktinerabtei in Ettal. Damit hatten die Toedts nicht gerechnet, aber sie nehmen gerne an und verbringen einige Tage im Kloster. Tief beeindruckt vom morgendlichen Chorgebet, von der Liturgie und der Offenheit der Mönche beschließen sie am Ende dieser Tage, katholisch zu werden. In dem kleinen Dorf bei Flensburg, in dem sie mittlerweile leben, gibt es dabei nur leider ein ganz pragmatisches Problem: sie haben kein Auto und damit keine Chance, am Firmunterricht teilnehmen zu können, denn abends fahren keine Busse mehr.

Da sie Franken schon ein wenig kennen, versuchen sie in Würzburg über die Caritas Hilfe bei einem Neuanfang zu bekommen. Die vermittelt die Toedts an Pfarrer Erhard, dem Seelsorger des Emmaushofes in Gauaschach, wo Menschen in schwierigen sozialen Situationen Hilfe finden können. Pfarrer Erhard, mit dem das Ehepaar bis heute eine herzliche Freundschaft verbindet, kommt sie, auch damit hatten sie nicht gerechnet, im Norden besuchen. Ihm verdanken sie nicht nur den Umzug nach Franken, sondern auch ihre jetzige Lebensaufgabe. Demenzkranke betreuen, Bürgerbus fahren: die Toedts hatten weitergesucht, aber nichts gefunden, was wirklich zu ihnen passte. Bis Pfarrer Erhard einiges Tages mit der Frage anruft, ob sie nicht Lust hätten, einem Gefangenen, den er kennt und der in Bayreuth einsitzt, Briefe zu schreiben. „Ja, und so fing das an“, erzählt Henry Toedt.

Toleranz, mehr Verständnis, weniger Engstirnigkeit

Vielleicht 100 oder 150 Gefangenen – so genau wissen es die beiden gar nicht, haben sie schon geschrieben, vielen über Jahre hinweg. In Deutschland finden sie die Kontakte über Gefangenenmagazine, in denen sie den Briefkontakt inserieren, in den USA über die Plattform „Write a prisoner“, in Thailand hat die Jesuitenmission vermittelt. Aktuell haben sie zwölf Brieffreunde, erst vor einigen Tagen kam ein siebenseitiger Brief aus den USA. Viele ihrer dortigen Kontakte sitzen in Todeszellen, eine Hinrichtung mussten sie Gott sei Dank, so Henry Toedt, noch nie erleben. Die Verbrechen, wegen denen ihre Brieffreunde verurteilt wurden, sind oft schwer, doch für Monika und Henry war von vornherein klar, dass sie „versuchen, den Menschen zu sehen, nicht den Täter“. Die persönliche Vergangenheit der Gefangenen ist meist erschütternd, oft sind es Kindheiten voller Gewalt und Lieblosigkeit, die der eigenen Delinquenz vorausgehen. Auch die Zukunftsaussichten sind eher trostlos, gebrochene Persönlichkeiten in einer Gesellschaft, von der sich die Toedts mehr Toleranz, mehr Verständnis, weniger Engstirnigkeit wünschen.

„Etwas Trost, Liebe und Hoffnung hinter diese dicken Mauern zu bringen, Brücken aus der Dunkelheit nach draußen zu bauen“, das ist das Anliegen des Ehepaares und die Antworten der Gefangenen zeigen, dass es ihnen gelingt. „Ihr seid mir mehr Vater und Mutter als meine eigenen Eltern“, schrieb ihnen ein junger Mann. Eine wunderschöne Madonna, die er gezeichnet hat, hängt eingerahmt im Wohnzimmer der Toedts. Tatsächlich ist das Verhältnis zu vielen sehr herzlich, auch wenn der Kontakt nach einer Entlassung in der Regel abbricht. Einmal in der Woche gehen Monika und Henry jedoch in die Kirche und beten am Seitenaltar für sie alle, überzeugt, dass das nicht ohne Wirkung bleibt. Als ich gehe, bin ich beeindruckt. Nicht nur vom Engagement der Toedts, auch von ihrer Geschichte, vor allem von ihrer Herzlichkeit, von der tiefen Zufriedenheit, der Ausgeglichenheit, die sie ausstrahlen. Vielleicht weil es Menschen sind, die das „ganz Oben“ und das „ganz Unten“ kennen, die gesucht haben und von Gott gefunden wurden, die einfach leben und doch erfüllt. Menschen, die „arm sind und doch viele reich machen; die nichts haben und doch alles“ (vgl. 2 Kor 6, 10), denn sie haben die Liebe.

Mit freundlicher Genehmigung: Die Tagespost Annalia Machuy | Zeichnung: Anne Stickel, Kolumbien

 

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