Aus dem Fastenhirtenbrief, Bischof Dr. Gerhard Feige.
Die Kirche hat inzwischen in unserer Gesellschaft an Bedeutung wieder verloren und seit dem Missbrauchsskandal auch enorm an Vertrauen eingebüßt. Zudem sind wir aufgrund demografischer und anderer Entwicklungen wesentlich weniger und im Durchschnitt auch älter geworden. Über 80% der Bevölkerung im Bistum Magdeburg ist konfessionslos. Das geht nicht spurlos an uns vorüber und beeinflusst auch unsere christliche Lebenspraxis. Eltern fällt es zunehmend schwerer, ihren Kindern und Jugendlichen den Glauben zu erschließen.
Andererseits aber finden manche nichtchristlichen Erwachsenen bei uns neue Perspektiven für ihr Leben und lassen sich sogar taufen. Zugleich nimmt die Zahl unserer Priester ab, so dass wir seit 2014 nicht mehr in der Lage sind, alle unsere Pfarreien mit einem eigenen Pfarrer zu besetzen. Und schließlich ist unser wirtschaftliches Vermögen im Bistum Magdeburg im Vergleich zu den meisten anderen deutschen Bistümern äußerst gering. Insgesamt müssen wir also schon jetzt mit Bedingungen zurechtkommen, die anderswo vielleicht noch in der Zukunft liegen.
Zweifellos – liebe Schwestern und Brüder – sind die Verhältnisse, mit denen wir zu tun haben, dramatisch. Da gibt es nichts zu beschönigen. Allen Beteiligten wird einiges abverlangt. Da – glaube ich – kommt es ganz entscheidend darauf an, welche Grundhaltung uns prägt. Wenn jemand der Meinung ist, dass „alles sowieso den Bach runter geht“, bleibt eigentlich nur noch eine Art „Sterbebegleitung“ übrig: alles so weiterlaufen zu lassen, „bis der letzte dann das Licht ausmacht“. Eine andere Möglichkeit wäre die einer „geschlossenen Gesellschaft“. Um zu überleben, erscheint es vielen Minderheiten fast notwendig zu sein, sich in der eigenen Welt zu verschanzen und auf Überwinterung zu hoffen. Demgegenüber möchte ich Sie alle ermutigen, darauf zu vertrauen, dass Gott uns nicht unbeabsichtigt in die besondere Situation Mitteldeutschlands und unserer Kirche gestellt hat. Nein, das ist kein Zufall oder blindes Schicksal; Gott wird sich schon etwas dabei gedacht haben. Wäre es dann nicht angemessen, auf diese Herausforderung gläubig und konstruktiv einzugehen?
Wie aber könnte das für uns aussehen?
„Ich bin“ – sagt Jesus Christus von sich selbst – „dazu gesandt, damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe“ (Lk 4, 18-19).
Christus will also von allem befreien, was das Leben schwer macht. In ihm kommt uns Menschen Gottes bedingungslose Liebe entgegen. In seiner Nachfolge ist auch die Kirche – wie es das II. Vatikanische Konzil ausdrückt – als „Zeichen und Werkzeug der Liebe Gottes“ zu verstehen. Selbstverständlich ist es letztlich Gott, der die Kirche hervorgerufen hat und mit uns auf dem Weg ist. Als deren Gliedern ist uns allen aber ein Schatz anvertraut, den wir mit anderen teilen sollen: Hoffnung und Zuversicht zu vermitteln. Konkret heißt das, weniger um uns selbst besorgt zu sein, als uns denen zuzuwenden, die in unserer Umgebung und darüber hinaus materiell oder geistig arm sind, leiblich oder seelisch gefangen, blind oder zerschlagen.
Gewiss, manches erscheint uns armselig. Doch das Evangelium kann seine Sprengkraft überall erweisen. Scheuen wir uns deshalb nicht, die Zumutungen unserer Situation als Herausforderung Gottes anzunehmen. Das kann ungeahnte Kräfte freisetzen. In unseren Zukunftsbildern – vor fünf Jahren formuliert – heißt es darum auch: „Wir sind Gottes Zeugen hier und heute. Als schöpferische Minderheit setzen wir in ökumenischem Geist seinen Auftrag um: in unseren Pfarreien, in Gemeinden, Gemeinschaften und Einrichtungen, in Kooperationen mit Partnern in der Gesellschaft.“
Fragen wir uns deshalb immer wieder: Was stärkt uns als Getaufte und Gefirmte? Und was brauchen die Menschen, unter denen wir leben? Wie können wir vor Ort das Wort Gottes hören, miteinander beten und lebensnah Eucharistie feiern? Und welche Zeichen sollten wir zusammen mit anderen in unserer Gesellschaft setzen? Ja – liebe Schwestern und Brüder – unsere Rahmenbedingungen sind nicht unbedingt leicht. Da kann ich nur staunen, wie begnadet und kreativ dennoch auch eine „kleine Herde“ von gläubigen Christen sein kann. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass wir auch weiterhin Möglichkeiten finden, lebendig Kirche zu sein. Zugleich bin ich dankbar, dass so viele bereit sind, sich auf Neues einzulassen.
Gerhard Feige wurde 1951 in Halle/Saale geboren. Nach dem Studium der Theologie in Erfurt empfing Feige 1978 die Priesterweihe. Feige wurde 1982 als wissenschaftlicher Assistent an das Philosophisch-Theologische Studium Erfurt berufen. Seit 1989 war Feige Dozent für Alte Kirchengeschichte, Patrologie und Ökumenische Theologie in Erfurt, seit 1994 lehrte er dort als Professor für Alte Kirchengeschichte, Patrologie und Ostkirchenkunde. 1999 empfing Feige die Bischofsweihe und war zunächst Weihbischof in Magdeburg, ab 2004 Diözesanadministrator. Am 16. April 2005 wurde er als Bischof von Magdeburg eingeführt. In der Deutschen Bischofskonferenz ist Feige Vorsitzender der Ökumenekommission. Außerdem gehört er verschiedenen Gremien des Dialogs mit der Orthodoxen Kirche auf nationaler wie internationaler Ebene sowie mit der evangelischen Kirche in Deutschland an. Von Papst Franziskus wurde Bischof Feige 2014 in den Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen berufen.