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Auf beiden Seiten der Mauern nur Menschen

4. Oktober 2021

In einer Zeichnung von Tiki Küstenmacher sieht man auf Wolken sitzend und stehend zahllose Wesen in weißen Gewändern: Manche sind blau und haben drei Augen, andere haben zwei Köpfe und vier Arme, wieder andere sehen aus wie ET oder ein anderer Außerirdischer; eine kunterbunte Mischung. Dazwischen stehen fast schon verloren zwei Menschen beieinander und einer sagt: „Irgendwie hatte ich schon die Vorstellung, dass jedes Universum seinen eigenen Himmel hat.“

Im Evangelium begegnet uns ebenfalls ein Bedürfnis nach Exklusivität. Die Jünger wollen verhindern, dass einer im Namen Jesu Dämonen austreibt, der ihnen nicht nachfolgt; der also nicht dazugehört. Sie halten es für ihr Privileg, die Botschaft Jesu in Wort und Tat zu verkünden. Doch Jesus erhebt kein Copyright auf seine Botschaft, es gibt kein Patent für den Begriff der „Nachfolge“. Es gibt gute Gründe, sich mit Gleichgesinnten zusammenzuschließen, sich gegenseitig zu bestärken für die Herausforderungen des Lebens und des Glaubensweges. Es ist hilfreich, sich die christliche Botschaft immer wieder sagen zu lassen und gemeinsam zu reflektieren, welche Konsequenzen der Wille Gottes für mein Leben hat.

Bibel ist manches Mal Zumutung

Was die Bibel uns zu sagen hat, ist nicht nur Ermutigung, sondern manchmal auch Zumutung; Nachfolge ist nicht immer ein Spaziergang, sondern oft auch ganz schön anstrengend. Mir gelingt es in der Glaubensgemeinschaft der „zum Herrn Gehörenden“ (so die Bedeutung des Wortes „Kirche“) besser, mich dieser Herausforderung zu stellen und mein Leben in die Nachfolge Jesu zu stellen. Ein Leben ohne Kirche wäre für mich nicht vorstellbar (obwohl ich mit und an unserer Kirche durchaus manchmal leide, diese Kehrseite will ich nicht verleugnen).

Elite ist immer Holzweg

Die Versuchung der Jünger ist auch unsere Versuchung heute: sich durch die bewusste Entscheidung für den Herrn in einer herausgehobeneren Position zu fühlen oder sich in einem exklusiven Club zu wähnen. Gefährlich nah ist der nächste Schritt, auf andere Menschen oder Gruppen herabzuschauen. Dann ist der andere Fußballclub, die andere Partei, die andere Glaubensgemeinschaft nicht mehr Mitbewerber, sondern Feind. Wenn ich zu den „Besseren“, also zur Elite gehöre und alles andere wertlos ist, das bekämpft und ausgemerzt gehört, dann bin ich auf dem Kreuzzug, auf dem Holzweg und nicht mehr auf dem Kreuzweg, der zum Heil führt.

Den Menschen sehen

Als Gefängnisseelsorger erlebe ich oft, dass in Gesprächen zwischen den „Verbrechern“ hinter den Gefängnismauern und den „Gerechten“ außerhalb unterschieden wird. Ich bin jedoch der festen Überzeugung, dass Jesus auf beiden Seiten der Mauern nur Menschen sieht: Menschen, die auf ihrem Lebensweg unterschiedlich oft und auf unterschiedliche Weise gescheitert sind; die immer wieder aufstehen und versuchen gute Menschen zu sein. „Wer nicht gegen uns ist, der ist für uns“ – dieser Satz öffnet mir die Augen, im anderen eben nicht meinen Feind zu sehen, sondern ein anderes, von Gott geliebtes Kind. Christsein darf nicht als „Vorrangstellung“ gegenüber anderen verstanden werden, sondern als Dienst an allen.

Guter Wille entscheidend

Für Jesus steht nicht die Zugehörigkeit zu einer der Kirche oder Gruppe im Vordergrund, sondern einzig das Bedürfnis, Not zu lindern. Er freut sich über alle, die guten Willens sind, über alle, die versuchen ein gutes Leben zu führen. Wer Gutes tut, ist gut. Alles andere führt zu Eitelkeit und Überheblichkeit und somit weg von Gott. Davor will uns das Evangelium bewahren. Darum können wir uns darauf einstellen, im Himmel manche Menschen wiederzusehen, mit denen wir nie gerechnet hätten. Ob da auch „Außerirdische“ dazugehören, die noch nie von Jesus gehört haben? Lassen wir uns überraschen.

Manfred Heitz, JVA Frankenthal | Zeichnung: Tiki Küstenmacher

 

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