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An den Menschen glauben heißt an Gott glauben

13. März 2024

In manchen Begegnungen lerne ich wieder neu glauben. Vor einigen Tagen besuchte ich eine 55-jährige Frau, die mit fortgeschrittener Krebserkrankung in der Klinik behandelt wurde. Sie erzählte von ihrer Familie, den Kindern und Enkeln und welche Freude sie mit ihnen hat. Und sie erzählte von ihrer Erkrankung und dass sie womöglich schon bald sterben würde. Immer wieder hielt sie inne, nach einer Atempause kamen dann diese Worte sehr klar: „Ich bin wirklich zufrieden“. Sie lächelte dabei.

Teilnehmer des Ausbildungskurses „Kirche im Justizvollzug“ betrachten das Rembrandt-Bild „Paulus im Gefängnis. Die Metaphern des Bildes sprechen von Hoffnung.

Momente wie diese rühren mich an. Ich spüre Tränen in mir von Trauer und Freude, und das Bedürfnis, jetzt nichts zu sagen, um nur mit diesem „zufrieden“ ein paar Augenblicke zu sein. Ja, so lerne ich glauben – glauben an den Menschen. Es ist ein brüchiger Glaube. Zu sehr wird die Zuversicht immer wieder aufs Neue irritiert. Die immer neuen und scheinbar unentrinnbaren Kreisläufe von Gewalt, diese endlose Gier nach immer mehr in Wohlstand, Macht und gegenseitiger Absicherung, das immer neue Scheitern, eine lähmende Gleichgültigkeit und die Sinnleere, wo Eintönigkeit die Bewusstheit ersetzt. Solange ich dies alles noch als Irritation menschlichen Seins sehen kann und mich nicht daran gewöhnt habe, ist die Hoffnung nicht aufgegeben – und der brüchige Glaube ist noch lebendig. Deshalb bin ich dankbar für jene Begegnung in der Klinik und jede solcher Begegnungen, die mich ermutigen, nicht zuletzt in mir selbst noch an den Menschen zu glauben.

Göttliches Leben ist ein Geschenk

Die gute Nachricht des Evangeliums erzählt von einer nächtlichen Begegnung Jesu mit Nikodemus. Der gelehrte Jude, ein führendes Ratsmitglied der Hauptstadt, will von dem Wanderprediger aus der Provinz wissen, wie es geht, aus dem Glauben neu zu leben. „So sehr hat Gott die Welt geliebt“, antwortet Jesus, „dass er den einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern göttliches Leben hat“. Im Gedenken an meine Oma, Gott habe sie selig, die in ihrer Lebenslust „ewiges Leben“ nur als andauernde Langeweile verstand, übersetze ich das griechische Wort, das hier für „ewig“ steht, mit „göttlich“. Göttliches Leben ist ein Geschenk, das in aller menschlichen Bedingtheit den Freiraum schafft, Kreisläufe der Gewalt sowie Sackgassen des Scheiterns zu durchbrechen, Leben in Fülle ermöglichend – bis durch den Tod hindurch.

Der Logik einen Strich durch die Rechnung

Wenn das stimmt, ist mehr mit uns anzufangen, als wir denken. Das Göttliche, das ganz andere als alles menschlich Gemachte, ist im Menschen. Nicht als besondere Leistung oder übermenschliche Kraftanstrengung, sondern verschenkt in Liebe. Die Bibel erkennt diese Wirklichkeit im Menschensohn und berichtet, wie in Jesus Gott selbst im Menschen vorkommt. Was so unfassbar klingt, habe ich zu spüren bekommen in der Begegnung mit der Frau in der Klinik. Es macht unserer Logik einen Strich durch die Rechnung, und ist, Gott sei Dank, immer wieder zu erfahren: wo wir trotz alledem auf Versöhnung setzen, statt auf Rache, wo wir einander über lange Durststrecken die Treue halten, wo wir auch mit uns selbst immer wieder einen Neuanfang wagen, wo die Zuversicht immer noch mehr Recht hat als die Angst, wo wir im Vertrauen loslassen. Das Evangelium lehrt mich: an den Menschen glauben heißt an Gott glauben. Selbst ohne ausdrückliches religiöses Bekenntnis. Der Theologe Karl Rahner, dessen Denken eine Verbindung schuf von Vernunft und Mystik, schrieb: „Wer sein Menschsein ganz annimmt, der hat den Menschensohn angenommen, weil in ihm Gott den Menschen angenommen hat“. Wieviel Glauben ist unter uns Menschen unterwegs, sogar dort, wo das Wort Gott nicht vorkommt? Und wie sehr können unsere Begegnungen heilsam verwandelt sein, wo immer wir beginnen, an den Menschen zu glauben?

Christoph Kunz | Joh 3, 14 – 21

 

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