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Am Ort des Schreckens der Geschichte nachgehen (Teil II)

14. September 2024

Im Rahmen der Studienreise in die polnische Stadt Krakau am Fluss der Weichsel, besuchen acht Gefängnisseelsorger und eine Gefängnisseelsorgerin aus den Justizvollzugsanstalten des Gebietes im Erzbistum Paderborn, den Ort des Grauens und Schreckens: Die Gedenkstätte der ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz und Birkenau. Der Name des Ortes ist jedem ein Begriff, doch nicht alle wissen, wo er in Polen liegt.

Ankunft im polnischen Ort Oświęcim. Der deutsche Name hat sich den Menschen für immer eingeprägt: Auschwitz und Birkenau. Es gibt einen Bahnhof, Supermärkte und Ampeln wie in jeder Stadt. Auf den Parkplatz der Gedenkstätte einfahrend, stehen PKW´s und Busse dicht zusammen. Menschen gehen in vielen Gruppen zum Ticketschalter. „Man könnte meinen, dass das hier ein Vergnügungspark wäre“, bemerkt ein Gefängnisseelsorger der Gruppe. In einem Kleinbus sind sie aus Krakau angereist.

Eingang in die Vergangenheit

Menschen drängen sich durch die Sicherheitskontrollen und bekommen einen gelben Aufkleber, auf dem die Sprache und die Uhrzeit der Führung durch das Stammlager Auschwitz abgedruckt ist. „Irgendwie hat man das Gefühl, gekennzeichnet zu sein“, fällt spontan einem Gefängnisseelsorger ein. Der neue Eingang ins Museum führt durch einen engen Gang aus Beton. Die Namen von Opfern, die getötet wurden, werden audiell eingespielt. Plötzlich wird es still in der Gruppe und jeder geht bedächtig den Weg hinein in das ehemalige Konzentrationslager. Ausgestattet mit einem Kopfhörer hören sie der Gruppenbegleiterin zu, die sehr persönliche Geschichten und Hintergründe zu dieser Zeit erzählt. „Man hat hier das Stammlager der Vernichtung von Menschen errichtet, weil hier eine polnische Kaserne war“, erzählt sie als Polin in der Sprache der damaligen Täter. Die geheime Besprechung der Wannseekonferenz 1942 besiegelte die Errichtung des Außenlagers Birkenau.

Antwort bleibt offen

Massenweise werden die BesucherInnen durch das Stammlager mit den Baracken und dem Apellplatz hindurch geschleust. Eindrücklich weist die Guide-Begleiterin immer wieder darauf hin, dass man jederzeit hinaus gehen kann, wenn es einem zu viel wird. Das, was hier gezeigt wird, ist mehr als man vielleicht verkraften kann: Berge von Schuhen, Koffern, Haaren und Holzkrücken sowie Prothesen der Deportierten. Bedrückend die gesamte Atmosphäre, nicht nur an der Hungerzelle von Pater Maximilian Kolbe. „Mit welcher Perfektion die Nazis diese Massenvernichtung durchgeführt haben, macht tief betroffen. Schon den Geruch der verbrannten Leichen in der Umgebung, muss die Bevölkerung doch mitbekommen haben“, fragt ein Besucher. Die Antwort darauf bleibt offen. Eine ausgeklügelte Logistik fing schon beim Transport „arischer“ Straf-Häftlinge von einer Haftanstalt zur nächsten an. Darüber ist weniger bekannt.


Am Eingang in das ehemalige Krematorium des Stammlagers Auschwitz.

In einer Baracke wird an die Menschen mit Namen und Daten erinnert.

Die gestreifte Haftkleidung sowie Schuhe, die nicht passten oder kaputt waren.

Die Deportationen von Menschen mit Zügen in das Stammlager Auschwitz waren öffentlich.


Idylle in der Hölle

Von Mai 1940 bis November 1943 lebte der NS-Scherge Heinrich Himmler als Oberbefehlshaber in Auschwitz. Mit seiner Frau und den fünf Kindern wohnten sie direkt am elektrisch geladenen Stacheldrahtzaun in einer feudalen Villa mit Garten, Gewächshaus und Swimmingpool. Abends empfangen sie mit dem Lagerkommandanten Rudolf Höß Gäste, tagsüber töteten sie. Himmlers Ehefrau Hedwig wähnt sich wie im Paradies. Der Film „The Zone of Interest“ zeigt den banalen Alltag dieser Familie eines hitlertreuen Spießerlebens: Hier ein gemeinsames Abendessen, da eine Gute-Nacht-Geschichte. Das Haus im Stammlager Auschwitz steht heute noch in unmittelbarer Nähe des ehemaligen Krematoriums.

Schwarze Todeswand

Im Block 10 im Stammlager sind medizinische Versuche vor allem von Dr. Josef Mengele durchgeführt worden, die besonders verbrecherisch waren. Der ärztliche „Todesengel“ führte Experimente bei Zwillingen durch. An der Steinmauer im Hof zwischen den Blöcken 10 und 11 liegt die sogenannte Schwarze Todeswand. In der Lagersprache ein „Kugelfang aus schwarzen Isolierplatten“. Von 1941 bis 1943 wurden hier Todesurteile gegen Zivilisten, Widerstandskämpfer und KZ-Häftlinge vollstreckt. An dieser Stelle sind heute Kerzen, Fahnen und Steinchen abgelegt. Ein Blumenkranz des niedersächsischen Landtages ist beim Besuch der Gruppe aktuell zu sehen. Die Menschen bleiben im Besichtigungsstress zum ersten Mal stehen und blicken minutenlang nachdenklich auf die Gedenkstätte.

 


Der zynische Spruch über dem Eingangstor des Stammlagers Auschwitz.

Viele Koffer, in denen versteckt heute noch Nachrichten gefunden werden.

Der Rück-Blick von außen auf die menschenverachtende Deportationen.

An Wachtürmen, Zaun und Baracken werden Erhaltungsarbeiten durchgeführt.


Auschwitz II: Außenlager Birkenau

Nach 2 Stunden dieses bedrückenden Rundgangs geht es mit einem übervollen Linienbus in das drei Kilometer entfernte Außenlager Birkenau. Es fängt an zu nieseln. Die Menschen, die aktuell in das große Außenlager hineingehen, ziehen ihre Kapuze auf oder halten ihre Regenschirme schützend über sich. Die Menschen, die hier in der Vergangenheit getötet wurden, hatten keine Möglichkeit, sich zu schützen. Es waren „nur“ drei Jahre, in denen jedoch in diesem Lager bis November 1944 von der SS in Auschwitz-Birkenau mehr als eine Million Juden und Zehntausende Sinti und Roma, Polen und sowjetische Kriegsgefangene getötet wurden. Mindestens 865.000 Juden wurden sofort nach der Ankunft umgebracht, der Großteil in den Gaskammern. Diese liegen zerstört neben dem im Jahr 1967 errichteten Mahnmal mit Gedenktafeln aus fast allen Ländern. Besonders nahe ging den Gefängnisseelsorgenden die Baracke, in der die Kinder untergebracht wurden. Am Eingang sind große Zeichnungen von Kindern ausgestellt, die in dieser Zeit entstanden sind. Die beengten Holzkastenbetten sind zu sehen, sowie der Schriftzug und die Bezeichnung der Baracke.

Aufkeimen in heutiger Zeit

Eine Gruppe von Menschen hat sich jüdische Fahnen um die Schulter gelegt. Sie machen ein Gruppenfoto und ziehen damit durch die Anlage. Es sind sehr viele Menschen die hier unterwegs sind, aber ein entsprechender Lärmpegel fällt aus und ein ruhiges Verhalten jedes Einzelnen ist spürbar. Die Menschen sind betroffen und tief ergriffen. „Ich habe während des Rundgangs immer wieder innerlich gebetet“, erzählt der Gefängnisseelsorger von der JVA Werl. „Dieser Ort erzählt Geschichten. Man spürt sehr deutlich die Bedrücktheit und die Wut darüber, dass Menschen des Nazi-Regimes nicht alleine abwerteten, sondern systematisch töteten“, sagt ein Besucher in der deutschen Gruppe. „Die Gefahr besteht leider auch heute wieder, dass Menschen nicht aus der Geschichte lernen“, fügt er hinzu und spielt auf das Wahlergebnis der AfD in Thüringen und Sachsen an. Ein Aufkeimen ausländerfeindlicher, antisemitischer oder islamfeindlicher Parolen sowie die Verunglimpfung von Menschen in ihrem Anders-sein sind aktueller den je.


Die Zeichnung im Außenlager Birkenau in der Baracke der Kinder.

Eine Gruppe von Menschen hat sich jüdische Fahnen um die Schultern gelegt.

Außenlager Birkenau mit Zugwaggon, Gleisen und dem Eingang mit Wachturm

Kinderbaracke im Außenlager Birkenau: Block 16 a, in dem Kinderzeichnungen zu sehen sind.


Die erfahrenen Seelsorger und Seelsorgerin kennen den heutigen Strafvollzug und wissen, welche Einschränkungen eine Inhaftierung nach sich zieht. Doch solch eine Willkür an politischer Verfolgung und der Auslöschung von Millionen von Menschen, soll in einer Demokratie niemals wieder aufkeimen. Dafür setzen sich die Gefängnisseelsorgenden und viele andere Menschen ein. Zurück bleibt ein ungutes Gefühl, dass in der Geschichte der Holocaust erst möglich wurde. Dafür steht nicht nur ein Regime, sondern die Menschen mit ihren Vor-Urteilen und ihrem einseitigen Umgang damit. Die gelungene Studienreise mit den unterschiedlichen Facetten werden den Teilnehmenden in tiefer Erinnerung bleiben. Ein Menschenwürde-achtender Umgang, ohne Vor-Verurteilungen oder Ausgrenzung von Menschen mit ihren diversen Hintergründen, geschichtlicher, kultureller, religiöser oder geschlechtlicher Identitäten mag weiter wachsen und Pate dafür stehen, dass diese Art von Geschichte nicht wiederholbar ist.

Michael King

Hintergrund: Eine Studienreise in die polnische Stadt Krakau Teil I

 

1 Rückmeldung

  1. Dr. Georg Bätzing sagt:

    Am 27. Januar 2025 jährt sich zum 80. Mal die Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz durch die Rote Armee. 1940 errichtet, um die polnische Intelligenz zu internieren, entwickelte sich das Konzentrationslager Auschwitz mit dem ihm angeschlossenen Lager Birkenau zum größten NS-Vernichtungslager, in dem über eine Million Menschen zu Tode gebracht wurden, darunter Polen, sowjetische Kriegsgefangene, Sinti und Roma, Kommunisten, Menschen mit Beeinträchtigungen und Homosexuelle. Die meisten der Ermordeten waren jüdische Menschen. Auschwitz ist daher zum Synonym für die Shoah geworden, die systematische Verfolgung und industrielle Ermordung der Juden in den von den Deutschen besetzten Ländern Europas. Die Berichte der Überlebenden beschreiben ein Universum des Todes, in dem die Inhaftierten aller Rechte beraubt, der Willkür der Wachmannschaften ausgeliefert waren und ihrem Leben jeder Wert und alle Würde genommen wurde.

    Offensives Infragestellen rechtsstaatlicher Grundlagen
    Die Erinnerung an Auschwitz und die moralische Verpflichtung, dass Auschwitz sich nicht wiederholen darf, prägen die politische Kultur Deutschlands und Europas. Sie sind eingeflossen in die rechtsstaatliche Demokratie, die die Würde und die Rechte des Menschen zur Grundlage allen politischen Handelns macht, und in eine internationale Ordnung, die, so unvollkommen sie sein mag, das Handeln der Staaten an rechtliche Grundsätze bindet und Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord zu verhindern und zu ahnden sucht.

    Mit Erschrecken müssen wir feststellen, dass sich in den vergangenen Jahren politische Bewegungen und Parteien gesellschaftlich etablieren konnten, die die rechtsstaatlichen Grundlagen der Demokratie und das internationale Recht offensiv in Frage stellen und dort, wo sie regieren, nicht selten demonstrativ missachten. In Teilen der Öffentlichkeit und der sozialen Medien ist die Erinnerung an Auschwitz verblasst, herrscht eine Rhetorik der Verachtung gegenüber Minderheiten und Andersdenkenden, werden bewusst Falschinformationen und Lügen verbreitet.

    Dumpfen Vorurteilen widersprechen
    Dieser Entwicklung dürfen wir nicht widerspruchs- und tatenlos zusehen. Die rechtsstaatliche Demokratie beruht auf einer politischen Kultur, die den Respekt vor dem anderen, die Unterscheidung von Wahrheit und Lüge, von Recht und Unrecht pflegt. Es bleibt unsere Aufgabe, die Erinnerung an Auschwitz wachzuhalten. Wo über Minderheiten oder Schwache im Ton der Verachtung gesprochen wird, ist unser deutlich hörbarer Widerspruch gefordert. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Gleichheit der Menschen infrage gestellt wird.

    Es ist zutiefst beschämend, dass auch 80 Jahre nach Auschwitz Jüdinnen und Juden unter antisemitischen Vorurteilen und Angriffen leiden müssen. Nach dem 7. Oktober 2023 hat der Antisemitismus sogar deutlich zugenommen. Der staatliche Schutz jüdischer Einrichtungen ist notwendig. Doch wir dürfen uns nicht daran gewöhnen, dass jüdisches Leben nur unter Polizeischutz stattfinden kann. Der Kampf gegen Antisemitismus ist Aufgabe aller Bürgerinnen und Bürger. Wir müssen im Alltag den dumpfen Vorurteilen widersprechen und mit Zivilcourage denen beistehen, die verbal oder physisch angegriffen werden. Angriffe auf Jüdinnen und Juden sind auch Angriffe auf unsere Demokratie. Die geschichtliche Erfahrung lehrt, dass der Hass sich oft zunächst gegen Juden und bald auch gegen andere richtet. Es braucht die Erinnerungskultur an Auschwitz und an die gesellschaftlichen Entwicklungen, die zu Auschwitz geführt haben. Diese Erinnerung verbindet und trägt zur Heilung bei. Sie ist zugleich eine Voraussetzung für ein friedliches Zusammenleben in Europa.

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