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Alles oder nix: Selbstkritische Biografie des Rappers Xatar?

14. September 2023

Das Buch des Rappers XATAR ist ein Spiegel Bestseller. Es verkauft sich gut und liest sich wie ein Kriminalroman. Das Buchcover schreckt eher ab, als dass man es als Gefängnisseelsorger kaufen mag. Ein grimmig dreinblickender Mann mit Oberlippenbart und Rolex Uhr am Arm sowie eine dicke Goldkette um den Hals. So stellen sich jugendliche Inhaftierte ihr Idol vor. Sein Buch gibt es in der Gefangenenbibliothek. Ist die Biografie seine Lebensbeichte oder eine Selbtsbeweihräucherung seines Lebens?

Ob es die wahre Geschichte des Rappers Xatar ist? Manche Namen in seiner Biografie sind geschwärzt. Niemand will er anschwärzen. Im Jahr 2009 hat er einen Goldtransporter bei Ludwigsburg überfallen. Die Beute: Schmuck und Gold im Wert von 1,7 Millionen Euro. Rapper Xatar verkleidet sich mit seinen Komplizen als Polizist. Er geht „auf Flucht“, die in einem irakischen Folterknast und schließlich in einer fünfjährigen von einer 8 Jahre verhängten Haftstrafe in Deutschland endet.

Giwar HAJABI, alias XATAR (wörtlich übersetzt: „gefährlich“), am Roten Teppich für den Film RHEINGOLD auf dem Filmfestival Cologne 2022 in Köln. Fotos: Imago

Noch während seiner Inhaftierung produziert Xatar unter skurrilen Bedingungen das erste Rap-Album, das er auf seine Häftlingsnummer 415 tauft. Mit Diktiergerät und Taschenlampe rappt er in seiner Zelle heimlich unter der Bettdecke Texte. So beschreibt Giwar Hajabi, wie Xatar bürgerlich heißt, seine Jugend als Asylantenkind in Bonn, seine Karriere als Drogendealer und Kleinkrimineller und seinem Gangster-Rap. Mit zunehmender Erfahrung im Drogengeschäft verdient er sich sein Geld als Schutzgelderpresser, Türsteher und Schuldeneintreiber. Aus dem Gelegenheitsdealer wird einer, zu dem man sprichwörtlich aufsieht, ein Mafia-Boss, der Kokain aus Südamerika bezieht.

Gut in subkultureller Tätigkeit

Bis ins kleinste Detail beschreibt Xatar diese Welten und seine Erfahrungen. Wer ein selbstkritisches Denken sucht, findet dieses nur annähernd zum Schluss des Buches. „Wer seine Träume leben will, darf nicht schlafen“, schreibt er. Welch ein Gedanke. Xatar erweckt den Eindruck eines Geschäftsmannes. Berechnend und knallhart. Da kann er sich keine Sentimentalitäten erlauben. Dies kommt bei jugendlichen Gefangenen gut an. „Der hat es geschafft, er macht jetzt legal sein Geld“, sagt der 22-jährige Nico im Jugendvollzug. Xatar beschreibt seinen Haftalltag in baden-württembergischen Justizvollzuganstalten sehr realistisch. Er mischte anscheinend gut in den subkulturellen Tätigkeiten mit. Ob er dies nach Jahren seiner Entlassung jetzt anders sieht? Die drei abgebildeten Pistolen am Endes eines jeden Buchkapitels scheinen nicht darauf hinzudeuten.

Seitdem ich zu Gott gefunden habe, gelingt mir alles

„Alles oder nix“ ist der Untertitel auf dem Cover. Schwarz oder weiß, alles ist angeblich so klar. Im weiteren Verlauf entdeckt man wenig Untertöne. „Bei uns sagt man, die Welt gehört Dir“… steht da. Wer ist nur „bei uns“? Sind es die Kurden oder die Rheinländer? Dann entdeckt Xatar sogar die Religion. „Es war der Knast selber und der Glaube, zu dem ich gefunden habe. Der Knast macht Menschen, die nachdenken, ruhiger. […] Und dann habe ich angefangen, mich mit Religion zu beschäftigen. Ich habe die Thora gelesen, die Bibel und den Koran. […] Ich habe verstanden, dass diese drei Bücher eine Trilogie bilden.“  Xatar führt wortreich aus, was er damit meint. Ich denke an die Geschichten freikirchlicher Prediger, die erzählen können und man hat irgendwie das Gefühl, ja, es könnte so sein. Und doch beschleicht mich das Gefühl, dass das mit dem „Tun-Ergehens-Zusammenhang“ nicht so einfach ist. „Seitdem ich zu Gott gefunden habe, gelingt mir alles, was ich anfasse.“ Das klingt nach einem Knopfdruck und alles wird wieder gut. Hatte er dahingehend einen guten Ghostwriter?

Wer bin ich, sein Leben zu beurteilen?

Frage ich die jugendlichen Gefangenen, die das Buch gelesen haben, kommt keinerlei Kritik. Wie auch, wenn sie sich selbst in diesen Spuren wie Xatar sehen. „Das Buch hat mir sehr gut gefallen, da ich mich in manchen Situationen selbst beschrieben sehe. Durch das Lesen habe ich bemerkt, dass ich auf meine Ziele im Leben achten sollte. Ich bin Xatar dankbar, dass er seine Kindheit und seine kriminelle Vergangenheit erzählt und sein eigenes Label gegründet hat. Und: Dass er an seine Ziele geglaubt und sie wahr werden ließ“, betont der 22-jährige Nico. Einige Seiten des Buches von Xatar überlese ich ge­flis­sent­lich. Ich kenne als Gefängnisseelsorger die Geschichten nur zu gut aus dem Jugendvollzug.

Fazit: Xatar bleibt in manchen Augen eine schillernde Persönlichkeit. Doch Menschen gehen ihren Weg und wer bin ich, sein Leben zu beurteilen? Das Buch lege ich in den Bücherschrank. Im Jahr 2022 wurde die Biografie mit dem Titel „Rheingold“ verfilmt. „Rheingold sei ein überdrehter, an vielen Stellen halbgarer Film, dabei aber doch eine so überkandidelte wie unterhaltsame Jungsfantasie“, so eine Kritik des Evangelischen Pressedienstes. Morgen höre ich wieder ähnliche Geschichten im Knast…

Michael King

 

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