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Standhaftigkeit: Wenn kein Stein auf dem anderen bleibt

15. November 2025

In Magdeburg werden in diesen Monaten fast alle Brücken einer der wichtigsten Verkehrsadern wegen Einsturzgefahr abgerissen. Was vorher selbstverständlich verbunden hat, ist nicht mehr da. Weite Umleitungen erfordern eine neue Zeitplanung für alle Wege durch die Stadt. Da muss priorisiert werden: welche Wege sind jetzt wichtig, welche nicht?

Sich so einigermaßen überraschend und unvorbereitet im Alltagsablauf auf eine ganz neue Situation einzustellen, ist eine Herausforderung. Manche nehmen dies mit Gelassenheit hin, andere mit Frust. Verbindenden Brücken werden eingerissen – das könnte auch eine Überschrift sein für unsere Zeit. So selbstverständlich und sicher galt unsere Demokratie, bis wir wahrnehmen müssen, dass da Kräfte am Werk sind, die sie zerstören können. Wir müssen anerkennen, dass unsere nach dem zweiten Weltkrieg wieder geschaffene Demokratie mit ihren Grundwerten nicht einfach ein Ruhekissen ist, sie muss immer wieder neu errungen werden. Wir erleben, wie in einer Demokratie auch extreme Strömungen entstehen können, die das Potenzial haben, sie zum Zusammenbrechen zu bringen.

Die Arbeiten für den Abbruch der Brücke des Magdeburger Rings über dem Damaschkeplatz sind in vollem Gange. Anschließend ist der Bau der beiden einspurigen Behelfsbrücken vorgesehen. Fotos: Imago

Plötzlich in Frage gestellt

Menschenwürde, Frieden, gegenseitiger Respekt, Sicherheit, Solidarität, Gastfreundschaft sind Werte, die nicht mehr als selbstverständlich wahrgenommen werden. Autoritäre Kräfte sind in diesen Krisenzeiten schnell bei der Hand mit dem Versprechen einfacher Lösungen. Doch sie schaffen nur Spaltung und Ausgrenzung und verschlimmern die Krise, statt sie zu wandeln. Es sind unsere Werte, die uns wichtig geworden sind, die dann plötzlich in Frage gestellt sind oder gar verloren scheinen. Krisenzeiten mit solchen Verunsicherungen kennen wir auch aus persönlichen wie gesellschaftlichen und kirchlichen Zusammenhängen. Eine Partnerschaft geht auseinander, ein geliebter Mensch stirbt, ein Glaube trägt nicht mehr, eine Hoffnung vergeht, Vertrauen zerbricht im Missbrauch – immer dann bleibt von dem, was einmal gehalten hat, kein Stein auf dem anderen.

Ermutigung, nicht aufzugeben

Von dieser Erfahrung erzählt das Evangelium. „Es werden Tage kommen, an denen von allem, was ihr hier seht, kein Stein auf dem anderen bleibt, der nicht niedergerissen wird“, heißt es da von Jesus. Mit seinen Jüngerinnen und Jüngern betrachtet er die Schönheit und Erhabenheit des Jerusalemer Tempels, um ihnen dann zu erzählen, wie all das zusammenbrechen wird. Auch Erdbeben werden geschehen, Verfolgung und Auslieferung – doch, so Jesus, durch all das lasst euch nicht erschrecken, denn „wenn ihr standhaft bleibt, werdet ihr das Leben gewinnen“. Worauf oder worin können wir aber standhaft sein, wenn kein Stein mehr auf dem anderen ist? „Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt untergeht, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen“ – es ist ein bekanntes Sprichwort, das oft Martin Luther zugeordnet wird, aber wohl in der unmittelbaren Nachkriegszeit angesichts der Trümmer von Menschlichkeit und der Zerstörung in Deutschland entstand. Es will ermutigen, nicht aufzugeben, und jetzt zu handeln für eine gute Zukunft. Biblisch erinnert der Spruch an das Wort Jesu vom kleinen Senfkorn, das, einmal in den Boden gebracht, zu einem großen Baum werden kann.

Neu geschaffen beginnen

Besorgnis und Angst sind immer da in Krisenzeiten, sie gehören ernst genommen und gewürdigt. Denn was wir ansehen, verliert seinen Schrecken, während, was wir verdrängen, stärker wird. Entscheidend ist aber, der Angst nicht die Regie des Handelns zu überlassen, sondern auf etwas zu bauen, was neben der Angst auch in uns ist: unsere Fähigkeit, trotz alledem sich selbst und den anderen gegenüber freundlich zu begegnen. Manchmal mag diese Fähigkeit verschüttet sein unter den Trümmern der eingerissenen Brücken, dennoch ist sie da und wartet darauf, geweckt zu werden. Nie gibt es ein Weg zurück, nie wird etwas wieder, wie es mal war – auch dies kündet das Evangelium mit der Prognose, dass kein Stein auf dem anderen bleibt. Das bedeutet aber auch: wir können wie neu geschaffen beginnen und uns vergegenwärtigen, dass es der Odem Gottes ist, der uns belebt. Diese Zuversicht, durch alle Trümmererfahrung des Lebens dennoch getragen zu sein, ist für mich jene Standhaftigkeit, von der das Evangelium erzählt. Sie schenkt mir den Grund für neues, heilsames Handeln.

Christoph Kunz | Lukas 21, 5-19

 

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