Das Gewicht, das das Weihefest der römischen Lateranbasilika gegenwärtig erfährt, ist groß. Gilt dieses Gotteshaus doch als „Mutter und Haupt aller Kirchen der italienischen Stadt Rom und des Erdkreises“. Kaiser Konstantin soll im vierten Jahrhundert die gewaltige Basilika der christlichen Gemeinde geschenkt haben, nachdem er selbst Christ geworden war. Sie wurde zur ersten Kirche des Papstes in Rom und zu einem Ort wichtiger Konzilien im Mittelalter. Zugleich ist sie aber auch zu einer schweren Hypothek geworden. Die Lateranbasilika ist nicht nur ein Gotteshaus, sie ist auch ein Palast kirchlicher Macht. Ihr Weihefest zu feiern bedeutet, beides in den Blick zu nehmen.

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Verbeamtete von Klerikern geführte Kirche
Kaiser Konstantin erklärte die christliche Kirche zur Staatskirche, aus einer religiös suchenden und fragenden, einer pilgernden Bewegung von Menschen, die Jesus nachfolgten, wurde eine von verbeamteten Klerikern geführte Kirche, in der zum weiteren Machterhalt die Abgrenzung zu Andersgläubigen wichtiger wurde als der mühevolle Weg zu einem Konsens, der ja immer auch Verzicht bedeutet. Das vierte Laterankonzil in dieser Kirche im 13. Jahrhundert erließ nicht nur wesentliche theologische Festlegungen, es regelte auch mit dem Pflichtzölibat und mehr theologischer Bildung den Klerikerstand und festigte die Autorität des römischen Bischofs als Papst der gesamten Kirche.
2. Vatikanische Konzil ändert
Zugleich ordnete das Konzil besondere Kleidungsvorschriften für Jüdinnen und Juden an, was zur erheblichen Radikalisierung des mittelalterlichen Antisemitismus führte. Spätestens mit dem zweiten vatikanischen Konzil Anfang der 1960er Jahre und der Würdigung und Wertschätzung aller Menschen in den verschiedensten Religionen und Nationen ist die Kirche auf neuen Wegen unterwegs. Dennoch erfahren wir bis heute leidvoll, wie Machtmissbrauch und Herrschaft einer klerikal geprägten Kirche immer wieder zu Ausgrenzungen führen.
Über-andere-erheben ist heuchlerischer Irrweg
Nun ist es dieselbe Kirche, die ausgerechnet in das Weihefest der Mutter aller Kirchen mithilfe der biblischen Botschaft in sich selbst statt des eigenen Erhalts die Wiederentdeckung göttlicher Wirklichkeit mitten im Leben anmahnt. Da wird jedes sich Über-andere-erheben als heuchlerischen Irrweg entlarvt und verweisen auf die göttliche Wirklichkeit in jedem Menschen. So erzählt das Buch des Propheten Ezechiel den Menschen im Exil von sprudelnden Quellen unterhalb des Tempels, den sie so sehr vermissen.
Nicht das Gebäude des Tempels selbst, sondern die Bewegung darunter, der Glaube in den Menschen ist wie fließendes Wasser, das durch die Wüsten strömt und sogar das Tote Meer wieder lebendig werden lässt. Paulus nennt im Brief an die Gemeinde in Korinth sogar den Menschen selbst leibhaftig als einen Tempel Gottes. Aufgrund dieser bedingungslosen Zusage Gottes, in jedem Menschen einen göttlichen Ort anzunehmen, konnte Jesus angesichts des Machtmissbrauchs der religiösen Führer im Jerusalemer Tempel nicht an sich halten und vertrieb sie voller Wut aus dem, wie er es nannte, „Haus meines Vaters“.
Begegnungen können Göttliches erfahrbar werden lassen
Vielleicht müssen wir kirchlich wie Ezechiel durch ein Exil gehen, um neu wahrzunehmen, dass es nicht um unser Hab und Gut an Gebäuden, Dogmen und Rechtsvorschriften geht, sondern um das, was ganz ursprünglich darunter ins Fließen gekommen ist und in Demut annehmen, dass da etwas Größeres ist als das eigene Ich, ein alles durchwirkendes Geheimnis des Lebens, Gott. Begegnungen, ob sie innerhalb oder außerhalb einer verfassten Kirche stattfinden, können dies erfahrbar werden lassen, heilend und ermutigend. Es gilt, diese Quellen lebendigen Wassers immer neu aufzutun, auf dass sie fließen in all die toten Meere unserer Gier und Herrschsucht, unserer Ausgrenzungen und Kriege. Und aus einer festen Burg wird eine Bewegung der Güte – auch in der Kirche.
Christoph Kunz





