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Postkartenaktion an NRW Minister der Justiz

20. Juni 2019

Im Rahmen des 37. Evangelischen Kirchentages in Dortmund gestaltet die Gefängnisseelsorge eines der politischen Nachtgebete in der Dortmunder Martinikirche. „Wir wollen deutlich machen, dass Resozialisierung ein gesamtgesellschaftliches Thema ist“, erklärt Sabine Bruns, Geschäftsführerin des Fachverbandes Straffälligenhilfe der Diakonie. „In Deutschland sitzen über 64.000 Menschen in über 180 Gefängnissen, die irgendwann wieder entlassen werden. Sie haben mit vielen Vorurteilen und Hürden zu kämpfen.“ Die Gefängnisseelsorge startet zudem eine Postkartenaktion an den Minister für Justiz in Nordrhein-Westfalen, die sich mit sieben Forderungen für verbesserte Haftbedingungen und Resozialisierung stark macht.

Am Stand der Gefängnisseelsorge können BesucherInnen hautnah in einem Gefangenen-Transporter, einem VW Bully sitzen. Dabei erleben sie einen Augenblick, wie es ist, eingesperrt zu sein. Viele entgegnen an dieser Stelle, dass Menschen sich diese Situation selbst auswählen, weil sie eben „Mist“ gebaut haben und straffällig wurden. Muss daher Strafe sein? Klar, aber diese Intention steht nicht alleine an erster Stelle. Es geht darum, dass inhaftierte Menschen lernen, sich ihrem Leben und ihren Problemen zu stellen. Das Gefängnissystem bietet mit Kompetenztraining, Suchtberatung, Sozialtherapie oder Antigewalt-Training Möglichkeiten, aber es gibt mehr Nebenwirkungen, als man wahrhaben möchte. Da sind zum einen die subkulturelle Tätigkeiten der Inhaftierten untereinander zu nennen. Zum anderen lernt man im Justizvollzug aufgrund der vorgegebenen „Mangelwirtschaft“ hinter Mauern oft in negativer Richtung  dazu. Tabak ist beispielsweise die Währung im Knast, auf die fast jeder angewiesen, die aber nicht immer verfügbar ist.

Die Gefängnisseelsorge ist dem System „Justizvollzug“ loyal gegenüber. Sie kritisiert allerdings als Fachdienst immer wieder die Widrigkeiten und Fehlentwicklungen im Vollzug. So wird der nordrhein-westfälische Justizminister, Peter Biesenbach (CDU), mit der Postkarteaktion aufgefordert, die Ersatzfreiheitsstrafe abzuschaffen. Die Ersatzfreiheitsstrafe ist eine verhängte Haftstrafe für nicht gezahlte Geldbußen, resultierend beispielsweise aus „Schwarzfahrten“ oder eingeforderten Geldbeträgen aus Handy-Verträgen. „Armut darf kein Haftgrund sein“, so eine der Aussagen. Populistische Kräfte und Stimmen nicht nur aus der Partei AfD fordern härtere Strafen. Doch dies ist zu kurz gedacht.

Ich habe vor dir eine Tür aufgetan. Niemand kann sie zuschließen. Offenbarung 3,8

Es wird demgegenüber ein Resozialisierungsgesetz gefordert, in dem der Anspruch auf Unterstützung und Hilfe vor allem nach der Haft geregelt ist. Die Erfahrungen zeigen, dass Bewährungsauflagen zwar ausgesprochen werden, aber es an der nötigen Begleitung eines Menschen fehlt. Eine grundsätzliche Entlassung aus dem Offenen Vollzug ist eine der Forderung. Nur wer eingeübt ist, kann „dem Leben draußen“ begegnen. Mehr Alternativen in freien Formen wie z.B. die Fußfessel sollen eingesetzt werden. Den schädlichen Folgen einer Haftstrafe wird so entgegengewirkt. Darüberhinaus wird eine menschenwürdige Architektur eines Gefängnisses angemahnt, die das Leben fördert. Neue Gefängnisbauten sind manches Mal kalte Gebäude, die mit hohem Sicherheitsaufwand ausgestattet sind. Die Förderung einer besseren Kommunikation mit Inhaftierten als Standard der Ausbildung des Allgemeinen Vollzugsdienstes (AVD) ist ein Grundfundament. Mitarbeitende, die deeskalierend agieren können und menschlich zugewandt sind, können im übertragenen Sinne „Türen öffnen“ und dazu beitragen, dass einem Gefangenen Entwicklungschancen zugetraut werden.

„Gefängnisse sind trotz aller Reformen nach wie vor Schulen des Verbrechens“, sagt Bernd Maelicke, Experte auf dem Gebiet der Kriminal- und Sozialpolitik. Er positioniert sich seit Jahren entschieden als Gegner populärer Forderungen nach größerer Härte im Umgang mit Straftätern. Bei den meisten Straffälligen, insbesondere jungen, verspricht nicht Wegsperren Erfolg, sondern allein verlässliche soziale Beziehungen. Resozialisierung findet wesentlich nach der Entlassung statt. Unverantwortlich hohe Rückfallquoten sind Folgen der Systemmängel der Kriminalpolitik. Es geht nicht um „Kuschelvollzug“, sondern darum, dass der straffällig gewordene Mensch begleitet und gefördert wird. Täterarbeit ist zugleich Opferarbeit.

Die Postkartenmotive an den Justizminister zeigen bemalte Zellentüren, die Inhaftierte der JVA Essen zu den Themen Gewalt, Rassismus, Gerechtigkeit und Frieden in kreativer Weise gestalteten. Die Künstlerin Anne Berlit begleitete dieses Projekt. Die Aktion fördert eine differenzierte Debatte um den Strafvollzug, die ansonsten Politiker nur in Wahlkampfzeiten und Medien nur bei Skandalen interessiert.

Michael King | JVA Herford


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