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Zwischentöne kommen bei Straftat nicht vor

3. April 2019

An der nordrhein-westfälischen Käthe-Kollwitz Gesamtschule in Lünen hat ein 15-jähriger Jugendlicher einen Mitschüler mit dem Messer tödlich verletzt. Im Beisein seiner Mutter stach der Minderjährige auf den 14-jährigen Schüler am Hals ein. Trotz Reanimierungsmaßnahmen verstarb der Schüler bei dieser Attacke.

In der Presse löste diese schreckliche Tat eine Mischung aus Betroffenheit, Erklärung nach Motiven sowie populistischen Zuweisungen aus. Man hatte angeblich schnell herausgefunden, dass der Täter „kasachisch stämmig” und zu „70 Prozent Sunnite” sei. Ebenso wurde die Schule, die den Titel „Schule ohne Rassismus -Schule mit Courage” trägt, als Schule bezeichnet, die auffällig „links” arbeiten würde. Es soll Streit zwischen den beiden Schülern gegeben haben. Der „Messerstecher” und „Kasache” gilt laut Presse als aggressiv und „unbeschulbar”. Die „Tagesschau” wurde kritisiert, weil sie angeblich zu wenig und zu kurz über das Geschehen an der Schule berichtet hatte.

Mitgefühl gilt der betroffenen Familie des verstorbenen Leon, den Lehrern und Schülern, die von Notfallseelsorgern betreut wurden. Eine Schweigeminute in der Stadt Lünen ist Ausdruck dieser Betroffenheit.

Der minderjährige Täter wurde zuerst in Gewahrsam und später in die zuständige JVA in Untersuchungshaft des Jugendvollzuges gebracht. Dieser Umstand interessiert die örtliche Presse brennend. Auch die Inhaftierten der JVA werden nicht müde zu fragen, ob der „Messerstecher” hier sei? Ich frage mich, warum dies so interessant ist und öffentlich gemacht werden soll, wo der Täter in Haft genommen ist? Im Jugendvollzug sind über eine Menge junger Menschen, wovon ein Großteil wegen Körperverletzung, Todschlag und Mord ihre Strafe „absitzen”. Im Vollzug gibt es Maßnahmen und erzieherische Gesichtspunkte, die helfen können, die Tat aufzuarbeiten. Ist es Ablenkung von sich selbst, wenn ich auf andere Taten schaue? Mit Entsetzen und womöglich auch mit Faszination wird auf die Unmöglichkeit dieses Geschehens geschaut.

Manche Taten kann man und kann auch der Täter nicht erklären. Die Aufarbeitung und das Urteilen über die Tat obliegt den Ermittlungen und dem Gericht. Der inhaftierte Junge wird wie jeder andere in der Untersuchungshaft betreut. Er wird sich seiner Tat stellen müssen. Und doch ist dieser nicht allein auf das zu verurteilen, was er getan hat. Der Täter ist womöglich ein unerfahrener und suchender Junge, der verschüchtert und langsam begreifen wird, was er getan hat. Er wurde inzwischen mit einer Haftstrafe von über 6 Jahren wegen Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt. Revision ist eingereicht worden. Die Revision bewirkt, dass das in Frage stehende Urteil in juristischer Hinsicht in höherer Instanz überprüft wird.

Zwischentöne kommen in der Presse oft nicht vor. Es entsteht der Eindruck, der 15-jährige wäre ein Monster ohne Einsicht und Reue. Gefängnisseelsorger können nicht gleichzeitig Seelsorger für Opfer und Täter sein. Geschädigte und Täter sollten aber nicht gegeneinander aufwiegelt werden. Kirchen und Seelsorgerinnen sind auf anderen Ebenen vor allem für die Opfer und Geschädigten von Straftaten da. Dies ist sehr wichtig.

Nichtsdestotrotz kommt der Gefängnisseelsorge die Aufgabe zu, Täter als Menschen in ihren Untiefen und Abgründen zu begleiten. So manchem Autor der Berichterstattung wäre die Erfahrung zu wünschen, die schwarz-weiß Brille nicht sofort aufzusetzen. Für die leisen Zwischentöne scheint es keinen Platz zu geben.

Michael King | JVA Herford

 

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