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Beobachtung und Verhaltens-Zuschreibungen

12. Mai 2020

Vor einigen Jahren legte ein junger und sensibler Inhaftierter in der Justizvollzugsanstalt Bochum seine Ansichten auf Mitgefangene im seelsorgerlichen Gespräch dar. Als Erstverbüßer einer Haftsrafe war für ihn der Justizvollzug und deren Eigenheiten ganz neu. Der Gefängnisseelsorger bat ihn, seine Gedanken aufzuschreiben. Er kam dem Wunsch nach und gab dem Gefängnisseelsorger am nächsten Tag seine handschriflichen Aufzeichungen mit der Überschrift „Menschen im Knast“. Seine Beobachtungen und Empfindungen regen zum Nachdenken an. Ob sie und seine Zuschreibungen stimmen?

„Leider bestimmen Neid und Missgunst den Alltag in der JVA. Ich hab noch Glück, dass ich mit ein bis zwei Personen noch Umschluss machen kann. Ansonsten bin ich auf Grund von schlechten Erfahrungen sehr misstrauisch geworden. Die Inhaftierten zerstören sich untereinander. Einmal gibt es die „Schweine“. Das sind Leute, die andere erpressen, unterdrücken. Sie suchen Opfer, an denen sie sich abreagieren können. Sie besitzen kein soziales Empfinden und sind Sadisten.

Dann gibt es die „Tiere“, die sich über den Kraftsport und ihre Härte ausschließlich definieren. Manche von Ihnen sind auch „Schweine“, andere haben noch einen gewissen Anstand. Und es gibt die „Hunde“. Es sind die schwächeren Tiere, die sich oftmals den „Tieren“ unterwerfen, mit ihnen sympathisieren, in der Hoffnung von den „Tieren“ beschützt zu werden. Sie sind korrupt und misstrauisch, haben auch irgendwo einen entfernten Ehrenkodex.

Oft vertreten sind die „Junkies“. Meist sind es verstrahlte „Bubis“ oder verschlagene „Hunde“. Sie brauchen Betäubung, machen sich von ihrer Dröhnung abhängig. Sie sind launisch, aggressiv gegen sich selbst, hassen aber vor allem andere, die nichts mit Drogen zu tun haben. Alle, die keine Drogen nehmen, sind in den Augen der „Junkies“ feige Spießer. Es gibt auch eine Anzahl von „Bubis“, die im Grunde die meisten sind, egal ob starke oder schwache „Bubies“. Sie hatten ihr Leben aus jugendlichem Leichtsinn oder wegen anderer Probleme aufs Spiel gesetzt. Sie treiben gern Sport und sind sozial fehl am Platz hier.

Zum Teil gibt es auch ausgemachte „Feiglinge“, wie z. B „Zinker“¹. Oder „Pädophile“, die sich ewig verstecken, an nichts teilnehmen, keinem Sport, keinen Freistunden, und wenn, nur an irgendwelchen verborgenen Gruppen. Gleichzeitig wollen diese alle in den offenen Vollzug, obwohl sie ihre Taten gar nicht bereuen und auch nicht therapiebereit sind, zum Teil auch nicht therapiefähig. Sie sind „Schleimer“. Einige „Philosophen“ gibt es. Sie sind redselig und erlangen so Zufriedenheit. Meist sind es aber „Quatschköpfe“, die sich selbst gern reden hören.

Nicht zu vergessen sind die „Legenden“, positive Legenden, negative Legenden, meist ehemalige „Tiere“ oder „Schweine“. Um sie herum existiert eine gewisse Aura. Man spricht über sie, oftmals vereinsamen sie. Es gibt auch „Irrläufer“, die am harmlosesten sind. Oft nur wegen Geldstrafen oder Steuergeschichten, von denen sie selber nichts wissen, sind sie unscheinbar, bilden nur eine Ausnahme. Natürlich gibt es auch Mischformen, die von zwei oder drei Kategorien etwas in sich tragen.“

Herr W. | JVA Bochum

¹ Bei einem Zinker handelt es sich umgangssprachlich im Knast um einen Petzer oder Verräter. Ein andere Bezeichnung ist „31er“. Jemand, der eine andere Person bei der Polizei oder vor Gericht angezeigt und „verpetzt“, um seinen eigenen Kopf zu schützen. Dies gilt ebenso bei einem Verrat unter Freunden oder einer Gruppe. Es handelt sich beim 31er nicht um eine zufällige Zahl, sondern damit ist der Paragraph 31 gemeint. In § 31 heißt es kurz zusammengefasst, wenn der Täter durch eine freiwillige Aussage oder Offenbarung seines Wissens dazu beitragen kann, eine andere Straftrat aufzudecken. Das Gericht kann in diesem Fall die Strafe mildern oder ganz davon absehen.

 

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