Den Ingeborg-Drewitz-Literaturpreis für Gefangene gibt es seit dem Jahr 1988. Seitdem wird er zum Teil in nicht ganz regelmäßigen Abständen, aber doch alle zwei bis drei Jahre ausgeschrieben. Im Dezember 2024 wurde der Preis zum 12. Mal verliehen: In einer feierlichen Zeremonie im Friedessaales des Rathauses in Münster. Initiiert wurde der Preis vom Literaturwissenschaftler Helmut H. Koch (geb. 1941) an der Universität Münster.
Koch leitete die Arbeitsstelle Randgruppenkultur und —Literatur und kam so schon in den 1980 er Jahren mit Ingeborg Drewitz und dem Thema Schreiben im Gefängnis in Berührung. In dieser Zeit entstanden erste Gefangenenzeitungen in den deutschen Justizvollzugsanstalten. Koch und seine Studierenden begannen damals, sich mit den Sujets und den Menschen, die sie schrieben, zu beschäftigen. Sujet, französisch für Thema oder Gegenstand, ist ein künstlerisch verarbeitetes Thema einer Erzählung.
Authentische Stimme geben
Literatur von Inhaftierten war bis dahin noch nie wirklich untersucht oder wahrgenommen worden. Mit dem Preis sollte den Gefangenen eine Öffentlichkeit gegeben werden und auch Ansporn. Die Hauptidee dabei ist es, dass Inhaftierte, die wie andere Randgruppen in der breiteren Gesellschaft keinerlei Lobby haben, sich selbst mit ihren eigenen Worten äußern können und auch gehört werden sollen. Es geht eben nicht darum, über sie zu sprechen, sondern ihnen ihre eigene authentische Stimme zu lassen, mit der sie von ihren Erfahrungen berichten können, sich selbst ausdrücken können. Der Ingeborg-Drewitz-Literaturpreis für Gefangene, der in dieser Form deutschlandweit einzigartig ist, soll auch zeigen, dass Gefangenenliteratur zum deutschen Kulturleben dazu gehört. Über die Jahre konnten namhafte Schirmherren gewonnen werden, unter anderem George Tabori, Luise Rinser, Friedrich Magirius (Superintendent der Nicolaikirche in Leipzig), 2018 der Rechtsanwalt und ehemalige JVA-Leiter Thomas Galli oder 2021 der Musiker und Liedermacher Konstantin Wecker.
Beitrag zur Veränderung
Im Jahr 2024 stand die Veranstaltung unter der Schirmherrschaft eines ehemaligen Preisträgers Maximilian Pollux. Er hatte 2011 noch selbst inhaftiert zu den ausgewählten Preisträgern gehört. Inzwischen hat er wieder fest im Leben Fuß gefasst, hat seinen eigenen Jugendhilfeverein gegründet und engagiert sich für präventive Arbeit. Er sagt, dass seine Auszeichnung mit dem Ingeborg-Drewitz-Literaturpreis für Gefangene mit dazu beigetragen hat, sein Leben wieder zum Positiven zu verändern. Das Ganze beginnt mit der Ausschreibung des neuen Wettbewerbs in deutschen Gefängnissen. Dies geschieht per Aushang an den schwarzen Brettern der jeweiligen JVA´en. Darin werden Einsendefrist und das Thema bekanntgegeben, z.B. Einsamkeit, Gefühle hinter Gittern oder zuletzt Schuld. Die Einsendungen können verschiedene Formen haben: Gedichte, Erzählungen, Romanauszüge, Tagebuchaufzeichnungen, Reportagen, Briefe, Hörspiele, Wortcollagen, Selbstdialoge oder fantastische Geschichten. Nach Ablauf der Einsendefrist werden alle Texte gesammelt und von der Jury gesichtet. Diese besteht aus sechs Juroren, wobei sie sich jeweils aus ehemaligen Preisträgern bzw. ehemaligen Gefangenen und aus Experten zusammensetzt. Letztere versucht der Verein aus den Bereichen Literaturkritik, Journalismus oder Kriminologie zu gewinnen. Aus allen eingesandten Texten werden letztlich 16 PreisträgerInnen ausgewählt, deren Texte in einem Buch veröffentlicht werden. Mehr Infos aus „Haft Leben„…
Quelle: Gefangenzeitung der JVA Chemnitz Haft Leben Nr. 86