Das Internet. Unendliche Weiten. Wir schreiben das 21. Jahrhundert. Jeder kann online gehen. Jeder? Nein. Denn der deutsche, geschlossene Strafvollzug ist in Hinblick auf eine legitime Internetnutzung größtenteils offline. Obwohl sich bereits erste Annäherungen an das Thema manifestieren, besteht für die Gefangenen in der Regel nicht die Möglichkeit, die technische Infrastruktur legal und für ihre individuellen Interessen zu nutzen.
Für einen Großteil der Bevölkerung gehört das Internet, ob privat oder am Arbeitsplatz zu einem festen Bestandteil des täglichen Lebens. Nach der aktuellen ARD/ZDF-Onlinestudie sind alle 14 bis 19-Jährigen jeden Tag online. Die demografische Differenzierung verdeutlicht, dass die technische Infrastruktur seit mehreren Jahren alle Bevölkerungsgruppen erreicht hat. In den Altersgruppen bis 59 Jahren sind über 95 Prozent zumindest gelegentlich online. Bei den über 60-Jährigen sind es über 85 Prozent und bei den Personen ab 70 Jahren 58 Prozent. Zudem ist der gender gap hinsichtlich der Nutzung und des Verzichts nicht mehr vorhanden. Die Nutzungsstruktur der aktiven Onlinerinnen und Onliner zeichnet sich insbesondere in der Kommunikation aus.
User-Verhalten
69 Prozent der Userinnen und User nutzen es häufig und regelmäßig zum Verfassen von E-Mails, 29 Prozent um über soziale Netzwerke wie Facebook in Kontakt zu bleiben und 18 Prozent zum Chatten. Außerdem erfolgt die wiederholte Nutzung von Suchmaschinen (58 Prozent), die Abwicklung von Bankgeschäften per Online-Banking (40 Prozent) oder der Gebrauch von Nachschlagewerken wie Wikipedia (32 Prozent). Zusätzlich werden Preise im Internet verglichen (30 Prozent), Auskünfte über aktuelle Geschehnisse eingeholt (26 Prozent) sowie Informationen für die Aus- und Weiterbildung recherchiert (26 Prozent). Kleidung, Elektroartikel und Ähnliches werden nicht mehr ausschließlich in den Geschäften erworben, sondern zunehmend online (21 Prozent). Neben diesen Optionen können Wohnungsportale genutzt, Anträge ausgefüllt und versendet, Verträge abgeschlossen, Filme und Musik gestreamt oder die Partnerin beziehungsweise der Partner fürs Leben gesucht werden.
Kein legales Internet im Strafvollzug?
Viele Studien fokussieren die Internetnutzung, wobei nach einer Vielzahl von Personen- und Altersgruppen differenziert wird. Jedoch wurde bislang mindestens eine Gruppe bei diesen Betrachtungen außer Acht gelassen: die Straftäterinnen und Straftäter in den deutschen Justizvollzugsanstalten. Und das, obwohl sich die hohe Bedeutung des Internets und dessen gesellschaftliche Durchdringung auch im Strafvollzug niederschlägt. Derweil thematisiert beinahe jedes Bundesland im jeweiligen Landesstrafvollzugsgesetz „andere Formen der Telekommunikation“. Diese Ergänzung in den StVollzG der Länder stellt für die Inhaftierten allerdings keine Gewährleistung dar, das Internet legal nutzen oder fordern zu können. Die Entscheidung über eine Einführung liegt neben der Aufsichtsbehörde im Ermessen der Anstaltsleiterin beziehungsweise des Anstaltsleiters. Mittlerweile ermöglichen einige Strafvollzugsanstalten den gefangenen einen eingeschränkten Internetzugriff, wie auf die Webseiten der Bundesagentur für Arbeit. Neben dieser offiziellen und legitimen Zugangsweise kumuliert der illegale Besitz von Handys beziehungsweise Smartphones. Medien berichten von einem kontinuierlichen Anstieg unerlaubter Mobiltelefone in geschlossenen Vollzugsanstalten, die in der Regel internetfähig sind. Doch was sind eigentlich die Motive einer legalen und illegalen Internetnutzung?
Aus der Einleitung der Dissertation von Tanja Lehmann | Technische Universität Chemnitz
Ziel der Studie
Ziel der Studie war es zu erörtern, welche Praktiken und Motive einer legalen und illegalen Nutzung oder einem Verzicht während der Freiheitsstrafe zugrunde liegen und inwiefern sich diese auf die Zeit nach der Entlassung auswirken. Dazu wurden qualitative Interviews mit entlassenen Häftlingen durchgeführt. Es zeigt sich, dass sich unterschiedliche Nutzertypen und verschiedene Nutzungspraktiken im Strafvollzug ausformen. Zu diesen zählen die Minimal-Onliner, die Gelegenheits- und Intensivnutzer. Zudem die zeitliche, räumliche und soziale Dimension der Nutzung. Darüber hinaus treiben die Inhaftierten ähnliche Motive an wie die Individuen in Freiheit. Ferner stellt ein Freiheitsentzug zwar einen gravierenden Einschnitt in die Biografie, aber nicht in das anschließende Nutzungsverhalten dar.