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Straftäterinnen: Vom Stürzen und Wiederaufstehen

27. Januar 2024

„Keine meiner verurteilten Gesprächspartnerinnen behauptet, sie sei unschuldig. Aber viele verstehen bis heute nicht, wie sie das Verbrechen begehen konnten. ›Das bin doch nicht ich‹ habe ich immer wieder gehört“, sagt die Autorin Anna Badora, die ein Buch mit dem Titel „Vom Stürzen und Wiederauferstehen“ veröffentlicht. Sie hat Frauen der nordrhein-westfälischen JVA´en Willich, Dinslaken, Köln sowie aus Bayern und Österreich interviewt, die genau davon erzählen können. Sie alle sitzen seit mehreren Jahren als verurteilte Straftäterinnen im Gefängnis oder wurden gerade entlassen.

Doch ihre Geschichten sind nicht nur die ihrer Verbrechen. Es sind Geschichten von Frauen, die sich falsch entschieden haben – mit dramatischen Konsequenzen für die Opfer, die Angehörigen und sie selbst. Die unterschiedlichsten Wege haben diese Frauen aus einem „ganz normalen“ bürgerlichen Leben in die Haftanstalt geführt. Anna Badora hat verurteilte Straftäterinnen interviewt – darunter inhaftierte Frauen aus den Justizvollzugsanstalten in Willich, Köln und Dinslaken. Sie erzählt deren Geschichten nicht, um sie zu entschuldigen, sondern um aufzuzeigen, wie leicht Situationen entstehen können, die zu einem Desaster führen – immer für die Opfer, aber auch für die Täterinnen. Das Buch offenbart eine neue Sichtweise auf das Tabuthema Gefängnis: Über das Leben hinter Gittern und den Kampf um das Recht auf einen Neubeginn.

Rezension zum Buch „Vom Stürzen und Wiederaufstehen“

Freuen können, auf das was danach kommt

Einige der Beiträge im Buch kommen unter anderem von Ines Sturm, Gefängnispsychologin in der JVA-Willich II, von Beate Peters, Anstaltsleiterin der JVA Moers-Kapellen und der Wiener Anwältin Astrid Wagner. Gemäß der berühmten Chaos-Theorie kann ein einziges Ereignis den Lauf der Geschichte völlig verändern – im großen, aber eben auch im kleinen, persönlichen Bereich: Was habe ich falsch gemacht? Was hätte ich anders machen müssen, um es zu verhindern? Der Blick hinter die Gitter der Haftanstalt offenbart eine neue Sichtweise auf das Tabuthema Gefängnis und zeigt, welche Hürden verurteilte Straftäterinnen nach der Haft überwinden müssen, um wieder Teil der Gesellschaft sein zu dürfen. „Nachdem ich meine Strafe abgebüßt habe, will ich diese Anstalt mit gehobenem Haupt verlassen, mit einem Lächeln. Alles Schlechte bleibt hier. Ich möchte mich auf das, was kommt, freuen dürfen“, sagt Kati, eine der inhaftierten Gesprächspartnerinnen.

Grenze zwischen Gut und Böse

25 % aller aktenkundigen Straftaten werden von Frauen begangen. Der Anteil von inhaftierten Frauen in deutschen und österreichischen Gefängnissen liegt aber nur bei etwa 5 %. Lässt dies auf eine geringere Schwere der Straftaten von Frauen schließen? Eine Freiheitsstrafe als Vergeltung, Abschreckung und Schutz der Bevölkerung gegenüber der Resozialisierung? „Gefangene durch eine abgeschlossene Berufsausbildung befähigen, nach der Haft in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen“, so steht es in vielen Vollzugsgesetzen. Oder eine Änderung überkommener und durch das soziale Umfeld eingeprägte patriarchalische Geschlechterdominanz, gerade bei inhaftierten Frauen aus osteuropäischen Ländern. Dabei kommt die Problematik von überlasteten Gerichten und die daraus resultierende zu lange Zeit zwischen Anzeige und Urteil oder Strafantritt zu Tage. Ist eine Gefängnismauer notwendig als Grenze zwischen den Guten und den Bösen?

Breite Diskussion in der Gesellschaft

Im Interview sagt die Autorin und Herausgeberin: „Ein Treffen mit einer ehemaligen Mitarbeiterin hat mich auf dieses Thema aufmerksam gemacht. Ich hatte sie lange nicht gesehen. Eine gemeinsame Bekannte meinte, sie sei auf Reisen. In Wirklichkeit aber verbrachte sie die fast 3 Jahre hinter Gittern. Durch eine Reihe, wie sie mir erzählte, ´unglücklicher Umstände´ war sie in eine Straftat verwickelt  worden. Jetzt suchte sie verzweifelt nach einer Beschäftigung, erzählte von ihrer Stigmatisierung und ihren Resozialisierungsproblemen. So habe ich meine Freundin angesprochen, die in Düsseldorf in leitender Stelle im Strafvollzug tätig ist, habe so Vieles aus der Welt der Verurteilten und Eingesperrten erfahren, was man als unvorbelasteter Normalbürger gar nicht weiß.  Und das Thema hat mich nicht mehr losgelassen“, erzählt Badora. Sie hält eine Diskussion über den Alltag hinter Mauern notwendig, um „eine breite Diskussion in der Gesellschaft  über die Ziele des Strafvollzugs und ihre Umsetzung anzustoßen“ führt Badora im Interview aus.

Autorin und Herausgeberin

Anna Badora wurde in Polen geboren und absolvierte als erste weibliche Regie-Studentin das Max-Reinhardt-Seminar in Wien. Sie war zunächst Hospitantin bei Giorgio Strehler in Mailand sowie Assistentin von Peter Zadek und Jürgen Flimm. Später wurde sie Generalintendantin des Düsseldorfer Schauspielhauses, später Direktorin des Schauspielhauses Graz und schließlich des Wiener Volkstheaters. Für ihre Arbeit hat sie zahlreiche Auszeichnungen im In- und Ausland erhalten. Bis 2021 war sie Vizepräsidentin der Europäischen Theaterunion und ist jetzt Honorary Member. Anna Badora lebt und arbeitet in Wien und Düsseldorf.

 

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