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Entschädigung für zu Unrecht Inhaftierte auf 75 Euro erhöht

16. Dezember 2020

Der Deutsche Bundestag hat die Haftentschädigung neu geregelt. Mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen nahm er Mitte September 2020 einen Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen an. Die AfD und die Linksfraktion stimmten gegen den Entwurf, die FDP enthielt sich.

Mit dem angenommenen Gesetzentwurf des Bundesrates wird der Entschädigungsbetrag für immaterielle Schäden auf 75 Euro pro Hafttag angehoben. Wie es dort heißt, sei es ist dringend geboten, die Entschädigung nach fast zehn Jahren anzuheben. Eine Verdreifachung des mit 25 Euro als zu gering kritisierten Satzes sei erforderlich, aber auch ausreichend, um dem Genugtuungs- und Anerkennungsgedanken des Gesetzes Rechnung zu tragen. Wie erläutert wird, gewährt der Staat für einen Freiheitsentzug aufgrund gerichtlicher Entscheidung eine Entschädigung, wenn die Freiheit zu Unrecht entzogen wurde. Die Entschädigung erfasse neben dem Ersatz des Vermögensschadens auch den Ersatz des immateriellen Schadens in Form einer Pauschale pro Hafttag.

Die Entlohnung Inhaftierter bei ihrer Arbeit hinter Gittern ist weiterhin äußerst gering. Zudem werden während der Haftzeit keine Beiträge in die Rentenversicherung eingezahlt.

Abgelehnter Gesetzentwurf der AfD

Auch die AfD-Fraktion wollte die Haftentschädigung neu gestalten. Eine Beibehaltung der aktuellen Regelung sei unangemessen, heißt es in dem Entwurf (19/15785). In diesem verwies die Fraktion auf einen Beschluss der Konferenz der Justizminister vom November 2017, nach dem die Bundesregierung gebeten werden sollte, einen Gesetzentwurf für eine deutliche Erhöhung der Haftentschädigung vorzulegen. Die AfD-Vorlage sah unter anderem vor, den Entschädigungsanspruch für Schaden, der nicht Vermögensschaden ist, auf 100 Euro und, sofern die Freiheit länger als ein Jahr entzogen wurde, auf 200 Euro je angefangenen Tag des Freiheitsentzugs zu erhöhen.

Erhöhung überfällig

Der Deutsche Anwaltsverein (DAV) hatte zuvor eine Initiative des Bundesrates für eine Entschädigung begrüßt. Es darf nicht alleine bei einem höheren Entschädigungsbetrag bleiben. Die Betroffenen benötigen darüber hinaus Unterstützung und Hilfe nach der Haftentlassung in Form von Justiz-Ombudsstellen. Die Möglichkeiten zur Durchsetzung des materiellen Schadensersatzes sollte erleichtert werden, so der Anwaltsverein. „Es ist überfällig, dies auch durch die Höhe der Haftentschädigung zum Ausdruck zu bringen und staatlicherseits nicht weiter dem Leid von unschuldig Inhaftierten mit einer lächerlichen Höhe von 25 Euro pro Tag Geringschätzung zu erweisen“, sagt Rechtsanwalt Stefan Conen, Mitglied des Strafrechtsausschusses in der öffentlichen Anhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages.

Verrechnung von Kost und Logis?

Die Entschädigung für Fehler des Strafverfolgungsapparates sollte jedoch nicht in einer rein finanziellen Kompensation bestehen. Die Entschädigung müsse für Betroffene unkompliziert zu erreichen ein. „Es entspricht der Selbstbeschreibung und den Ansprüchen eines humanen Rechtsstaates, Menschen für zu Unrecht erlittene Haft angemessen und unkompliziert zu entschädigen und ihnen für den Weg zurück in die Gesellschaft Hilfen anzubieten“, weist der Sachverständige, Prof. Dr. Bernd Müssig, in der öffentlichen Anhörung hin. Beweiserleichterungsregelungen müssen helfen, die Hürden rechtlicher Anspruchsbegründungen für die Betroffenen zu überwinden. Die Verrechnung von Kost und Logis in einer Justizvollzugsanstalt sei mehr als merkwürdig. Das Gefängnis sei kein Hotel, wo man bestens versorgt wird. Eine Vorteilsausgleichung darf in keinen Fällen stattfinden. 2009 wurde die Haftentschädigung von damals 11 Euro auf 25 Euro erhöht.

Justizopfer sollten nach dem Willen der Fraktion Die Linke unkompliziert eine gerechte Entschädigung erhalten. In ihrem Antrag heißt es, Deutschland sollte die Entschädigungszahlungen nach dem Vorbild anderer europäischer Länder deutlich erhöhen. Jeder Betroffene müsse von Anfang an einen Anspruch auf 150 Euro Entschädigung pro Tag haben. Es sei zwar erfreulich, so die Fraktion, dass sich der Bundesrat des Themas angenommen habe und der Rechtsausschuss des Bundesrates vorschlage, den Entschädigungsbetrag zu erhöhen, aber dies sei nicht ausreichend. Für rechtswidrige Freiheitsentziehungen und Abschiebungshaft müssten eigene Anspruchsgrundlagen geschaffen werden, die die Entschädigungshöhe und entsprechende Verfahren klar regeln.

„Der Sprung auf 75 Euro ist groß und ein demokratischer Konsens. Doch wichtiger finde ich nach wie vor, dass das System der Entschädigung überarbeitet werden muss. Es braucht mehr als nur Geld. Insbesondere geht es mir um eine bessere erforderliche Nachsorge gegenüber den aus der Haft Entlassenen“, sagt Mecklenburg-Vorpommerns Justizministerin Katy Hoffmeister (CDU). Sie fordert dafür einen umfassenden Maßnahmenkatalog. Ein Verdacht, der zu U-Haft führe, wiege schwer. Diese Entscheidung werde sachlich gründlich geprüft. Dennoch könne es im Laufe des Ermittlungsverfahrens entlastende Beweise geben. Laut Ministerium in Mecklenburg-Vorpommern haben in der Vergangenheit ausschließlich Menschen einen Antrag auf diese Gelder gestellt, die zu Unrecht in Untersuchungshaft saßen. Weitere Entschädigungsanträge, wie etwa zu Unrecht von einem Gericht Verurteilte, gab es demnach nicht.

Bei selbstverschuldeter Inhaftierung

Die Haftentschädigung dient zunächst dem Ausgleich immaterieller Schäden der Betroffenen, sie ist eine Art Schmerzensgeld für den erlittenen Freiheitsentzug. Entstandene finanzielle Schäden, beispielsweise infolge Verdienstausfalls, sowie andere infolge der Haft erlittene Vermögensschäden werden ebenfalls ersetzt, § 7 StrEG. Allerdings trägt der Betroffene für materielle Vermögensschäden die volle Beweislast und muss beispielsweise einen durch die Haft erlittenen Verdienstausfall im einzelnen belegen. Besonders für Selbstständige ist dies häufig ausgesprochen schwierig. Ähnliches gilt für ausgebliebene Beitragszahlungen zur Rentenversicherung. Hat der Betroffene seine Inhaftierung oder Verurteilung durch unrichtige Angaben oder dadurch, dass er vorwerfbar entlastende Momente nicht rechtzeitig vorgebracht hat, selbst mitverschuldet, so können die Ansprüche auf Schadenersatz und auch die Haftentschädigung gemäß § 6 StrEG gekürzt werden oder komplett entfallen. Für die Geltendmachung der Entschädigungsansprüche bei zu Unrecht erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen gelten teilweise Fristen, so beispielsweise bei einer Einstellung des Verfahrens durch die StA eine Frist von einem Monat nach Erhalt der Einstellungsmitteilung, § 9 Abs. 1 Satz 4 StrEG.

Dokument und Video des Deutschen Bundestages

 

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