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Zivilisatorischer Unterschied: Kämpfer gegen die Todesstrafe

12. März 2024

Robert Badinter (1928 – 2024) erwirkte die Abschaffung der Todesstrafe in Frankreich. Folgte der Papst Jahre später seiner Argumentation?
Badinter stand für das Licht der Aufklärung. Er war eine Figur des Jahrhunderts, ein Gewissen der Republik“, schrieb Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wenige Stunden nach dessen Tod. Der frühere französische Justizminister und Kämpfer gegen die Todesstrafe ist am 9. Februar im Alter von 95 Jahren gestorben.

Robert Badinter kam 1928 als Sohn jüdischer Einwanderer in Paris zur Welt. Gemeinsam mit seiner Mutter konnte er im besetzten Frankreich unter gefälschter Identität in einem kleinen Dorf untertauchen. Sein Vater dagegen wurde 1943 in Lyon aufgegriffen und ins polnische Konzentrationslager Sobibor deportiert, wo ihn die Nazis ermordeten. Sensibilisiert durch die Zeit der Verfolgung bekannte sich Badinter nach dem Krieg stolz zu seiner Identität: „Ich bin Franzose und ein französischer Jude – beides lässt sich nicht trennen.“ Seine Dankbarkeit darüber, am Leben geblieben zu sein, begriff er zugleich als Verpflichtung, sich selbst für Menschen einzusetzen, deren Leben bedroht ist. Alle – selbst die größten Verbrecher – verstand er als Teil der einen Menschheitsfamilie. Mit dieser ambitionierten Perspektive entschied er sich für ein Studium der Rechtswissenschaften, das er in Paris und New York absolvierte. Bardinter stieg zum Professor an der Pariser Sorbonne und zum Präsidenten des französischen Verfassungsgerichts auf.

Mit 53 Jahren wurde er Justizminister. Während seiner Amtszeit unter Präsident François Mitterrand bereitete er unter anderem den 1987 erfolgten Prozess gegen den deutschen Kriegsverbrecher Klaus Barbie vor. Dieser hatte sich als Lyoner Gestapo-Chef aufgrund seiner Brutalität den Ruf des „Schlächters von Lyon“ erworben. Beim Aktenstudium für den Prozess machte Badinter eine erschreckende Entdeckung: Er stieß auf den von Barbie persönlich unterschriebenen Deportationsbefehl für seinen Vater. So erschüttert Badinter angesichts dieses Fundes war, setzte er unbeirrt alles daran, dass auch dieser grausame Nazi ein rechtsstaatliches Verfahren bekam: „Ich fand es richtig, dass Barbie alle Möglichkeiten eines Rechtsstaates hatte, auch den Gang vor den Gerichtshof für Menschenrechte. Er, der Leute zu Tode gefoltert und Frauen, Kinder und alte Männer ohne Verteidigung in den Tod geschickt hatte. Das ist der zivilisatorische Unterschied.“

Nationale Ehrung von Badinter vor dem Justizministerium auf dem Place Vendème in Paris. Präsident Emmanuel Macron steht vor dem Sarg des ehemaligen Justizministers am 14.2.2024. Fotos: Imago

Menschlichere Justiz

Die Erfahrung des eigenen Überlebens trieb Robert Badinter auch bei seinem Einsatz für die Abschaffung der Todesstrafe in Frankreich entschieden an. Erst recht machte er sich dieses Vorhaben zu eigen, weil er als Strafverteidiger während der 1970er-Jahre hatte erleben müssen, dass er nicht alle seine Mandanten vor der Vollstreckung der Todesstrafe bewahren konnte. Eine bewegende und minutiös vorbereitete Rede von Badinter als Justizminister im französischen Parlament führte am 27. September 1981 dazu, dass der Gesetzentwurf zur Abschaffung der Todesstrafe schließlich eine zuvor für unmöglich gehaltene, überwältigende Mehrheit fand.

Damit war das Aus für die Guillotine als Hinrichtungsinstrument in Frankreich beschlossen. Der Staat hatte fortan kein Recht mehr, über Leben und Tod seiner Bürger zu verfügen. Dieses Recht, so gab sich Badinter überzeugt, stehe keinem Menschen und keinem Staat zu. In seiner legendären Rede sagte er: „Wir werden eine menschlichere Justiz haben, und diese Justiz kann nicht mehr unter dem Zeichen der Guillotine leben.“ Grundsätzlicher noch fügte er an: „Eine Demokratie, die gegen Terroristen die Todesstrafe vollstreckt, macht sich die Werte der letztgenannten zu eigen.“

Todesstrafe widerspricht der Würde des Menschen

Auf Badinters entschiedene Initiative hin nahmen die im Kongress versammelten Abgeordneten aus Nationalversammlung und Senat im Jahr 2007 das Verbot der Todesstrafe in die französische Verfassung auf. Seitdem heißt es darin: „Niemand darf zum Tode verurteilt werden.“ Überdies fasste man noch im gleichen Jahr den Beschluss, dass die Todesstrafe in Frankreich auch in Kriegszeiten verboten ist. Weltweit war Frankreich das 36. Land, das die Todesstrafe abschaffte. Bis heute haben diesen Schritt 112 Länder vollzogen. Vor dem weltanschaulichen Hintergrund Badinters – er war Minister in der sozialistischen Regierung Mitterrands – ist bemerkenswert, dass Papst Franziskus’ Argumentation gegen die Todesstrafe der des französischen Juristen auffallend ähnelt. Franziskus nahm 2018 eine radikale Änderung im Katechismus vor und argumentierte dabei, dass die Todesstrafe „der Unantastbarkeit und Würde der menschlichen Person widerspricht“. Während sie „lange Zeit von der Kirche als ein annehmbares, wenn auch extremes Mittel zur Wahrung des Gemeinwohls akzeptiert“ worden sei, gebe es „heute ein gewachsenes Bewusstsein dafür, dass die Würde der Person auch dann nicht verloren geht, wenn jemand schwerste Verbrechen begangen hat“.

Der Argumentation des Papstes hätte wohl auch Robert Badinter zugestimmt. So führt Franziskus als Erstes an, dass die Person des Täters mehr sei als die Summe seiner Verbrechen. Deshalb müsse ihm auch weiterhin die Möglichkeit offenstehen, sich in einen selbstkritischen Bezug zu seinen Untaten zu begeben und sein Fehlverhalten zu bereuen. Mit seinem zweiten Argument bezieht sich der Papst auf ein verändertes Verständnis staatlicher Strafsanktionen: Er verweist darauf, dass der abschreckende Effekt der Todesstrafe nicht länger als hoch erachtet wird. Zudem ließen sich Justizirrtümer nach einer vollstreckten Todesstrafe nicht mehr korrigieren. Weiter argumentiert der Papst – und diese Position hatte auch für Badinter besonderes Gewicht –, dass der Verbrecher bei der Vollstreckung der Todesstrafe zu einem ausschließlichen Objekt obrigkeitlichen Handelns herabgestuft werde. Zu guter Letzt verweist Franziskus auf effiziente Haftsysteme, die zum einen die Sicherheit der Bevölkerung gewährleisteten und zum anderen der Resozialisierung des Verbrechers hälfen. 2019 wiederholte der Papst seine Position, als er sich mit einer Videobotschaft an den Weltkongress gegen die Todesstrafe in Brüssel wandte. Die Todesstrafe sei „eine schwerwiegende Verletzung des Rechts auf Leben, das jeder Mensch hat“, heißt es in der vom Vatikan verbreiteten Ansprache.

Sieg des Menschen über sich selbst

Die Theologen Michael Seewald und Jan-Heiner Tück würdigen die nunmehr klare Ablehnung der Todesstrafe durch Papst Franziskus „als Ausdruck einer pontifikalen Lernfähigkeit, die dem unbedingten Schutz der menschlichen Person nun auch im Rechtswesen Nachdruck verleiht“. Gern hätte man gewusst, ob auch die Erkenntnisse und die Argumente von Robert Badinter zu den päpstlichen Lernfortschritten beigetragen haben. Sollte dem so gewesen sein, liegt es umso näher, dass auch die Kirche diesem Gelehrten ihren Respekt zollt. In jedem Fall ist es erfreulich, wenn sich die religions- und kulturübergreifende Ablehnung der Todesstrafe in mehr und mehr Ländern fortsetzt, welcher Anteil den Positionen und dem Einsatz einzelner Personen dabei auch zufallen mag. Der Respekt gegenüber allen, die an dieser Geschichte der Humanisierung mitgewirkt haben und weiterhin mittun, muss umso höher ausfallen, da die Eindämmung des Mechanismus von Gewalt und Gegengewalt eine Errungenschaft ist, die deutlich fragiler und bedrohter daherkommt, als manche glauben. Mit den mahnenden Worten von Robert Badinter formuliert: „Die Geschichte der Abschaffung der Todesstrafe ist die Geschichte eines Sieges des Menschen über sich selbst. Angesichts des blutigen Verbrechens regt sich im Menschen der Todesinstinkt. Das Gesetz der Vergeltung ist die primitive Antwort des Menschen auf den Skandal des Verbrechens.“

Hubertus Lutterbach | Erstveröffentlicht in: Christ in der Gegenwart 11/2024

 

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