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Eine Würde, die nicht im Kleinsten gebrochen wird?

24. September 2020

Die je einzelnen Denkmuster und eingefahrenen Verhaltensweisen von Menschen zu durchbrechen ist schon eine Sache für sich. Als Familienmitglied bei seinen Eltern dabei zu sein, wie sie im hohen Alter ihre je eigene Muster entwickelt haben, ist als Sohn nicht immer leicht auszuhalten. Und doch haben sie in allen Dingen eine Würde, die nicht gebrochen werden darf. Ihre Geschichte spielt eine Rolle, das was sie erlebt haben und wieder erinnern. Auch wenn das Kurzzeitgedächtnis nicht mehr so will wie sie es gerne wollen. Es gilt das zu schützen, was sie sagen und tun. Egal, ob es „Außenstehenden“ passt oder nicht.

„Was soll dass denn immer wieder mit diesen engen Strümpfen“, schimpft meine Mutter. Die Mitarbeiterin der Sozialstation, die jeden Morgen zu meinen Eltern kommt, um „nur“ ihre Thrombosestrümpfe anzuziehen, fragt wie gewohnt: „Wie geht es uns denn? Haben Sie gut geschlafen?“  Meine Mutter ist – wie sie es gelernt hat – ganz höflich und zurückhaltend: „Gut, dankeschön“. Dies alles natürlich im schwäbischen Dialekt. Das klingt dann immer noch anders. Zumal die Mitarbeiterin ebenso schwäbisch „schwätzt“ und ihre Neugierte nicht verbergen kann. „Isch Ihr Sohn z`Besurch?“, fragt sie bestimmend. Mein Vater schweigt zu alledem. Er hat seine Hörgeräte nicht drin. Diese legt er nur an, wenn er nach draußen geht. Gut eigentlich, bekommt er von diesem „Gschwätz“ nichts mit.

Wieder ansetzend will die Mitarbeiterin der Sozialstation mit ihren permanenten W-Fragen mehr erfahren. „Wo waren sie denn am Wochenende? Was „hen se gmacht?“ Sie weiß ganz sicher, dass meine Mutter dies nicht mehr so ganz erinnert. Und trotzdem führt sie meine Mutter in dieser Art und Weise vor. Gut, dass meine Mutter auch schweigen kann und dann nichts mehr sagt. Im „Krankenmeldebogen“ steht dann: „Patientin ist nervös und abgelenkt.“ Das wäre ich auch, wenn ich so salbungsvoll bombardiert werde und das am frühen Morgen. „Hänt se scho frühstückt?“ – sie lässt nicht locker, obwohl sie sieht, dass auf dem Esstisch der Kaffee und die Marmelade stehen.

In Corona-Zeiten ist es noch absurder. Meine Eltern müssen Mund- und Nasenschutz tragen, wenn diese Frau, ebenfalls mit Maske, ihre eigene Wohnung betritt. Wie gut, dass sie noch in ihrer eigenen Wohnung leben können. Im Alten- und Pflegeheim dürfte ich als Sohn nur hinter Trennscheibe zu Besuch kommen. „Sie müssen Ihre Füße eincremen, offene Schuhe tragen und ein Fußbad machen!“ Für Menschen wie meine Eltern, die so lange selbstbestimmt durchs Leben gingen, ist dies wie eine Affront gegen ihren täglichen Alltagsablauf. Diesen meistern sie ganz alleine gut im Team, als Ehepaar, das über 50 Jahre verheiratet ist. „Si hot immr ä dumms Maul, wenn mä ebbes andres sagt“, verrät mir meine Mutter im Laufe des Tages.

Ich kann gut nachvollziehen, dass man mit „alten Leuten“ nicht immer ganz umgehen kann, aber es braucht doch trotz allem Verständnis, Geduld und Motivationsvermögen, die Dinge, die gesundheitlich wichtig sind, zu ermöglichen. Dies zugunsten meiner Eltern, die hier und da manches nicht einsehen wollen oder nicht hinterfragen können, wozu dies jetzt unbedingt notwendig sein soll. Jeder von uns wird seine Eigenheiten haben. Das wird sich nicht verändern lassen können. Manches Mal habe ich den Eindruck, es wird formelhaft und absolutistisch das durchgezogen, was auf der „Verordnung“ steht. Zeit haben die Pflegekräfte eh nicht. Schnell wieder zum anderen Patienten mit anderen Leiden.  Es kommt eine Routine an den Tag, die sich in „wie geht es uns denn?“ ausdrückt.“ Ich würde zurückfragen: „Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht?“ In dieser lapidaren Frage spürte man schon, dass die Antwort nicht wirklich interessiert. Es gibt keine Zeit, sich auseinanderzusetzen und geduldig zu warten, bis eine ehrliche Aussage erfolgen kann. Wie wird die Reaktion sein, wenn eine nicht zu erwartende „negative“ Antwort kommt? „Isch net so schlimm…?“

Wie schön, jetzt stehe ich als „außenstehender Sohn“ auch noch im Melde-Patientenbogen. „Der Sohn ist zu Besuch“. Was soll dass bitte schön für eine Information sein? Für wenn ist diese gedacht und warum schreibt sie diese in die Patientenakte rein? Wahrscheinlich damit man nachweisen kann, ob meine Eltern noch Kontakt zu anderen Menschen hatten? Trotz Corona-Zeiten ist dies doch etwas Zuviel des gut Gemeinten. Als ich mich neulich deutlich als Sohn zu erkennen gab, meinte die Sozialstations-Frau ernst, „ob ich der Enkel sei?“ Ach ja, toll, danke für das Kompliment! Na dann, bis „morgä“ im selben Rhythmus.

K.B.

 

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