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Wir entziehen Freiheit, um auf die Freiheit vorzubereiten

4. Oktober 2020

Besucher des Deutschen Hygiene-Museums (DHMD) in Dresden können in die den meisten Menschen unbekannte Gefängniswelt eintauchen. Ausgehend von der konfrontativen Aussage „Wir sind es, die strafen“ vor der Tür beleuchtet „Im Gefängnis – Vom Entzug der Freiheit“ das Thema Freiheitsentzug als Form der Bestrafung, die Geschichte der Institution Gefängnis sowie deren Auswirkungen auf Menschen. Die Schau zeugt von der Spannung zwischen medial erzeugter Faszination, die „fast schon Teil der Popkultur“ sei, und der Realität hinter Gittern, sagte Direktor Klaus Vogel. „Die Wenigsten waren jemals in einer Haftanstalt, weder als betroffener Gefangener noch als Besucher.“

Das Gefängnis ist ein Ort, den viele nur aus Filmen oder Serien kennen: Auf engstem Raum leben straffällig gewordene Männer zusammen, getrennt nur durch kahle Zellwände. Ihr Leben wird einerseits streng kontrolliert, gleichzeitig aber sind sie nicht selten Gewalt oder sexuellen Übergriffen durch ihre Mitgefangenen ausgesetzt. Und doch gibt es Leute, die meinen zu wissen, was „Knast“ ausmacht. Die Erfahrungen betroffener Menschen, die im Stasi-Gefängnis einsaßen, reden anders.

Sieht die Welt hinter gepanzerten Türen wirklich so aus? Und wie stehen Sie selbst zum Gefängnis: Sorgt es für Gerechtigkeit, bietet es Schutz vor weiteren Verbrechen und können Haftanstalten tatsächlich ihr Ziel der Resozialisierung erfüllen? Oder braucht es dazu eine ganz andere Form des Strafvollzugs? Weil es das eine Gefängnis nicht gibt, hat das Deutsche Hygiene-Museum gemeinsam mit seinen Projektpartner vom Musée des Confluences in Lyon und vom Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondmuseum in Genf nach grenzüberschreitenden Themen und Gemeinsamkeiten gesucht. Mit Hilfe von Alltagsobjekten, historischen Zeugnissen, audiovisuellen Medien und Kunst „aus dem Gefängnis“ wird das Leben der Gefangenen in verschiedenen europäischen Ländern und in den USA gezeigt.

Bestrafung sagt etwas über den Strafenden aus

Beim Thema Gefängnis und Strafen gehe es tatsächlich um die menschliche Verfasstheit im Grenzbereich der Existenz zwischen Gerechtigkeit und Menschlichkeit. „Das Gefängnis ist ein integraler Teil der Gesellschaft und des Gemeinwesens“, so der Direktor. Der Rundgang reicht laut Vogel von Wissen, Geschichte und Struktur von Gefängnis, Facetten des Haftalltags bis zur Frage nach Alternativen, Menschen „zum Guten zu bekehren, indem die Bösen zusammen eingesperrt werden“. Sozialwissenschaftler und Kriminologe Jens Borchert sprach von dem Vollzug immanentem Widerspruch. „Wir entziehen Freiheit, um auf die Freiheit vorzubereiten.“ Haft bedeute Verlust der freien Verfügung über Zeit und Raum, Zwang zur Aufgabe der bisherigen Identität und leben in einer Art Subkultur. Jede Gesellschaft muss Recht sprechen, um die soziale Ordnung aufrecht zu erhalten. Wie und mit welchen Mitteln sie das tut, hat sich jedoch über die Jahrhunderte geändert. Dabei sagt die Art der Bestrafung immer auch etwas über den Strafenden selbst aus.

Kuli-Mine und Rasierklinge

Dokumente und Fotos aus aller Welt zeugen vom historischen und verschiedenen Umgang mit Straftätern – auch der Schöpfer des berühmten „Kuss“-Bildes, Robert Doisneau, hat hinter Gittern fotografiert. In drei großen Zellen in leuchtendem Orange sind Dokumente und Fotos, aber auch Skurriles versammelt: ein Schachspiel aus Seife, eine mit Frida Kahlo-Porträt tätowierte Handtasche des mexikanischen Unternehmens Prison Art oder ein künstlicher Penis aus Silikon mit Heizspirale aus DDR-Zeiten, Kuli-Mine oder Rasierklinge, die Inhaftierte verschluckten, aus Besteck gefertigte Waffen oder Schlüssel – und der „Pizzaofen“, den RAF-Terrorist Jan-Carl Raspe in der Haft in Stuttgart-Stammheim aus einer Blechdose, Alufolie und Kugelkerze baute und der in Andreas Baaders Zelle gefunden wurde. Mehr Infos…

Knast-Post. Fragen ins Gefängnis

„Empfinden Sie die Strafe, die Sie bekommen haben, als gerecht?“, „Hat die Zeit in Haft für Sie auch positive Seiten und wenn ja welche?“, „Schauen Sie Gefängnisserien und wenn ja – was denken Sie darüber?“: Fragen dieser Art beantworten Inhaftierte auf KNASTPOST – dem Blog zur Ausstellung. Man kann Fragen stellen! Dazu gibt es eine Einwurfbox in der Ausstellung, Social-Media-Kanäle oder die E-Mail Adresse: haftblog(at)dhmd.de

Im Rahmen des Projekts „Knastpost“ finden öffentliche Führungen statt, bei denen Inhaftierte aus den JVA´en Zeithain und Chemnitz im Anschluss an die Führung Fragen zu ihrem Alltag live via Skype beantworten.

 

 

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