Ein besonderer Gottesdienst in der Johanneskirche in Osnabrück: Wenn Glauben unter die Haut geht. Gemeint sind Tattoos. Jede fünfte Person in Deutschland ist tätowiert. Neben Schriftzügen sind spirituelle Symbole beliebt. Nicht wenige Menschen lassen sich ein christliches Motiv stechen. Beispielsweise sind ein Anker, ein Kreuz oder ein Bild von Jesus aus Nazareth darunter. Im Gefängnis finden sich unter den Inhaftierten wie Bediensteten ähnliche Motive.
Um die Geschichten zu Tattoo-Bildern und um spannende Glaubenszeugnisse geht es beim Tag rund um das Tattoo. Vor Ort kann jede Person nach dem Gottesdienst ein kleines Tattoo stechen lassen. Dabei stehen verschiedene christliche Symbole wie Kreuze oder Motive wie eine Flamme oder eine Friedenstaube zur Auswahl. Möglich wird dieses Projekt durch eine Förderung des Bonifatiuswerks in Paderborn. Das Tattoo-Stechen für die Erwachsenen sowie andere Angebote für Kinder und Jugendliche sind kostenlos. Nach dem Gottesdienst fangen die Live-Tattoo-Sessions an. Tattoos gelten nicht nur als Schmuck oder Accessoire. Menschen verbinden mit ihren Tätowierungen tiefe Erfahrungen, wie Trauer oder Verbundenheit – sprich Lebensgeschichten. Menschen erzählten im Gottesdienst von ihren Tattoos, deren Bedeutung für sie und die Geschichten dahinter.
Tattoo als Ausdruck von Dankbarkeit
Jemand erzählt, dass das Tattoo an der Wade, welches zwei Personen auf der Himmelsleiter zeigt, seine Hoffnung ausdrückt, dass er eines Tages den verstorbenen Freund wiedersehen wird. Ein anderes Tattoo, angelehnt an die Zeichnung von Albrecht Dürer: zwei Hände mit einem Rosenkranz zum Gebet ineinandergelegt, hat für den Träger eine Verbindung zur Familie. Die Brüder und Freunde haben ihn bei seinem Traum unterstützt nach dem Abitur einen Freiwilligendienst in Mexiko zu machen. Dies Zeit in Mexiko prägt ihn und seinen Glauben bis heute. Daher ist das Tattoo nicht nur Bekenntnis, sondern Ausdruck von Dankbarkeit. Die Seelsorgeamtsleiterin des Bistums Osnabrück, Dr. Martina Kreidler-Kos, hat sich getraut und ein Tau stechen lassen, „als Zeichen meiner Verbundenheit zur Spiritualität der Franziskaner“, sagt sie. „Menschen tragen christliche Symbole ohnehin als Schmuck. Jetzt war der Moment, wo ich denke, ich möchte es noch näher zu mir holen“, erzählt Dr. Martina Kreidler-Kos.
„Durchkreuzer“ vor der Kirche
Pater Andreas, ein Franziskaner, hat sich ebenfalls das Symbol des Tau-Kreuzes stechen lassen. Das Antoniuskreuz, das Taukreuz oder das ägyptische Kreuz hat die Form eines T. Sie gilt als die wahrscheinlichste Form des Kreuzes. Yannik, ein junger Mann, wählt das Symbol des Lammes, da es für ihn eine Zusage und gleichzeitig ein Auftrag ist. „Christus ist für uns gestorben und hat uns gerettet und gleichzeitig sollen wir für die Schwachen, für die Bedrängten einstehen und dies drückt das Lamm für mich aus“, sagt er. Doch nicht jede*r traut sich unbedingt in der Kirche, den Glauben unter die Haut stechen zu lassen. Ein umgebauter Kleinbus, der sonst zu Musikfestivals unterwegs ist, steht als „Durchkreuzer“ vor der Kirche, um einen Ort der Begegnung zu schaffen. Dies soll eine Möglichkeit sein mit jungen Menschen und Passanten, die zufällig vorbeikommen, ins Gespräch zu kommen.
Glauben zum Ausdruck bringen
Von dieser Aktion in einer Kirche sind viele nicht begeistert. In den sozialen Medien bringen einige ihren Unmut zum Ausdruck. „Eine Kirche dient einzig und allein der Gottesverehrung. Der Mensch hat sich hier einzuordnen in das sakrale Geschehen, wenn der Priester das Heilige Messopfer darbringt“, schreibt ein Kommentator. Diesem wird entgegnet: „Eine Kirche dient traditionell nicht nur der Gottesverehrung. Das ist der wesentliche Unterschied zum Tempel. In Kirchen haben schon immer Pilger übernachtet oder sind als Hospitäler genutzt worden. Im Mittelalter wurden Pilger tätowiert, um zu beweisen, dass sie dort waren“, so die gegenteilige Aussage. Die Seelsorgeamtsleiterin des Bistums Osnabrück sieht das alles gelassen: „Ganz viele gläubige Menschen tragen ein Tattoo. Es geht gar nicht nur darum, Leute zurück in die Kirche zu bringen, sondern die, die ihren Glauben so zum Ausdruck bringen, mal wahrzunehmen und wertzuschätzen und zu sagen: Erzählt uns davon“, fordert sie interessiert auf. Nicht nur Orgelklänge, sondern vor allem das Surren von Tattoo-Nadeln sind die Musik dieses besonderen Gottesdienstes. „Ein bewegender Tag mit vielen inspirierenden und tollen Gesprächen, Glaubenszeugnissen und Begegnungen“, sagt ein Mitfeiernder.
Frank Kribber