Allerheiligen und Alllerseelen sind die Feste aller ganz normalen – und deshalb meist eher unheiligen Menschen -, die uns irgendwo auf der Welt durch den Tod genommen wurden. Die Feste also „jener stillen, namenlosen, die weggehen, als seien sie nie gewesen, von denen keine Legende erzählt und kein Heldenbuch der Welt- und Kirchengeschichte berichtet“ – so schrieb es der Theologe Karl Rahner.
Sie werden gefeiert, weil die Menschen nicht verloren sind in einem sinnlosen Nichts. Sie sind aufgehoben da, wo uns die Worte fehlen, jenseits unseres Geredes, bedingungslos aufgehoben sind sie in der Liebe Gottes. Das alles lässt sich nicht beweisen, doch es anzunehmen bedeutet, die Seele zu öffnen, selbst zu spüren, schon jetzt eine/ein Aufgehobene/r zu sein. Dazu diese Botschaft: „und Seele, suche mich in dir“
Die „Seele“
„Es ist, als wäre ein Loch gerissen im Herzen“, sagen manchmal Angehörige, die soeben erfahren mussten, dass ein geliebter Mensch gestorben ist. Der Schmerz der Trauer lässt uns erfahren, wie jede und jeder „der Dahingegangenen ein Stück unseres Herzens mitgenommen hat, ja so oft das ganze Herz, als der Tod durch unser Leben hindurchgeschritten ist“, schrieb der Theologe Karl Rahner. Zu spüren bekommen wir das leibhaftig in jenem Raum, der zwar Bauch wie Gehirn einnehmen kann, aber dennoch nirgends festzumachen ist, der unter die Haut geht und doch keine Grenzen hat: in der Seele. Da, in dieser geheimnisvollen Wirklichkeit, die das Leben selbst ist und zugleich die Grenze von Leben und Tod durchdringt, wie es biblisch mit dem hebräischen Wort „nefesch“ für Seele ausgesprochen wird. Die Grundbedeutung von nefesch ist „Atem“, Lebensodem in allem, was ist.
Leben mit den Toten
Damit wird erinnert an jene uralte Geschichte, wie Gott den Menschen aus einem Erdklumpen formte und ihm den Lebensodem eingab. Die Seele ist der Raum der Liebe, sie wurde uns geschenkt als göttliche Befähigung und will ins Fließen kommen, alles durchwirkend. Wenn im Tod des geliebten Menschen ein Stück vom Herzen oder gar das ganze Herz entrissen scheint, erfüllt uns Schmerz. Dann lässt uns die Seele erfahren, wie Liebe durch den Riss der Trennung dringt. „Wer wirklich geliebt hat und liebt, dessen Leben wandelt sich schon vor seinem Sterben in ein Leben mit den Toten“ (Karl Rahner).
Wort in der Stille hören
So wird Allerseelen zu einem Fest der Liebe. Die aber ist nicht zu verwechseln mit Vertröstung oder irgendeiner anderen Art der Verschleierung. Die Liebe hat in sich den Schmerz, doch geht sie darin nicht unter, vielmehr trägt und wandelt sie ihn. Der Schmerz in der Trauer entspringt dem Keine-Antwort-bekommen, dem Schweigen, das dem verzweifelten Ruf des Alleingelassen-seins folgt. Dann ist es die Liebe, die den Mut hat, jenseits aller Worte in der Stille jenen Klang zu hören, der ins Leben ruft, getragen vom Glauben aus göttlichem Geschaffen-sein, dass Leben ist durch den Tod hindurch. „Gegen das laute Lärmen unseres Getriebes und gegen die ängstlichen, hastigen Beteuerungen, mit denen wir Menschen uns unserer gegenseitigen Liebe versichern, hüllt das Wort Gottes uns und all unsere Worte ein in sein Schweigen“.
„In meines Herzens Tiefe
trage ich dein Portrait, so echt gemalt;
sähst du, wie es vor Leben strahlt,
verstummte jede bange Frage.
Und wenn dein Sehnen mich nicht findet,
dann such nicht dort und such nicht hier;
gedenk, was dich im Tiefsten bindet,
und Seele, suche mich in dir.“
Theresia von Avila
So ist das Schweigen der Verstorbenen „ihr lautester Ruf, weil es das Echo des Schweigens Gottes ist“ (Karl Rahner). Dieses Schweigen und mit ihr die mal unerträgliche und dann wieder erfüllte Stille, ist weiter und tiefer als all unser Gerede. Die Stille ist der Raum Gottes, in dem wir Menschen Teilhabende sind durch den Atem, der durch uns geht. Theresa von Avila, weise Mystikerin im Mittelalter, schuf ein Gedicht – oder ist es ein Gebet? –, das sich einlässt in die Stille jenseits der Lebensgrenze und diese durchdringt in liebender Suche. Wer ist da angesprochen, ein geliebter verstorbener Mensch oder Gott? Theresa von Avila lässt dies offen, das Sowohl-als-auch ermöglichend. Denn letztlich hat unsere noch so bruchstückhafte Liebe immer ihre Quelle in jener alles verbindenden und bedingungslosen Liebe, die wir die Liebe Gottes nennen.
Christoph Kunz | Titelfoto: Am Ufer des Schluchsee im Schwarzwald, Astrid Bauer-Wunderle





