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Mögliche Abgründe überwinden trotz aller Verschiedenheiten

26. September 2025

Die biblische Erzählung von dem reichen Mann, der in Saus und Braus lebt, während vor seiner Tür ein armer Mann liegt und Hunger leidet, ist eine Lukas-Lehrgeschichte, die in die Reden Jesu aufgenommen ist. Vielleicht hat Jesus selbst diese Geschichte erzählt? Plakativ wird darin das Verhalten eines Menschen dargestellt, der allein an sich selbst interessiert ist und kein Mitgefühl hat für den, der gerade Hilfe braucht.

Verschiedenheit kann spalten

Wohin das führt, sagt die Geschichte deutlich: wer egoistisch lebt, getrieben von der Gier nach Geld, Macht und Vergnügen, endet in den Qualen der Unterwelt, während der, der viel Leid erlitten hat, aufgehoben ist in Abrahams Schoß. Manch politischen Führungsstil heute betrachtend muss man sagen: die Geschichte ist nicht nur sehr alt, sondern auch sehr aktuell. Längst ist die Gier zum Motor des Wirtschaftswachstums geworden, verbunden mit dem Egoismus eines „Wir zuerst“. Angesichts solchen Verhaltens gibt die Geschichte vom reichen und vom armen Mann eine deutliche Warnung: in der Gier endest du leidvoll in Einsamkeit. Die Kluft, die du geschaffen hast zwischen dir und dem anderen, wird zu einem unüberwindbaren Abgrund tiefer Verlorenheit. Menschen aber, die hungern und Leid ertragen, werden heilende Zuwendung erfahren. Mit dieser Gegenübersetzung von Reich und Arm und von Himmel und Hölle mag die Geschichte verführen zur Strafpredigt gegen den einen und zur Vertröstung für den anderen. Doch ein solches Schwarz-Weiß-Denken schafft genau das, was die Geschichte zu bekämpfen versucht: die Spaltung.

Botschaft worum es wirklich geht

Kann denn dieser, wie das Evangelium ihn nennt, tiefe und unüberwindliche Abgrund zwischen der Gier des Reichen und dem Leid des Armen wirklich nicht überwunden werden? Oder gibt es einen Weg, aus dem Gegeneinander in ein Miteinander zu kommen? Die Kraft, die es dazu braucht, ist überraschend nah, wir haben sie alle bereits in uns, es ist das Mitgefühl. In dieser Kraft wandeln sich gegenseitige Zuschreibungen in ein Bewusstsein von Verbundenheit. Mitfühlendes Handeln beginnt immer mit der Erkenntnis, dass das, was ich in der Welt als leidvoll erlebe, auch in mir selbst ist. Hier beginnt jedes Verständnis für das, was geschieht. Mich möglichst freundlich der eigenen Gier hinwendend und ihre leidvolle Wirkung mit Selbstmitgefühl spürend, verstehe ich, was da draußen in der Welt geschieht, und kann auch da beginnen, mich im Mitgefühl zuzuwenden. Es gehört zu den ältesten spirituellen Weisheiten, dass die Gier die Wurzel von Leid ist. Sie anerkennen als eine sehr menschliche Regung, immer mehr zu wollen, hilft, sie zu identifizieren und mit ihr umzugehen. Dazu gehört auch, die Gier als solche zu enttarnen, wo sie in ihren Verkleidungen auftaucht als Motor des Wirtschaftswachstums, als politisches Machtstreben, als Selbstverwirklichung, im Streben nach Anerkennung, als ein Sich-Durchsetzen, als Meinungsmache oder als Vergnügungssucht. Sie zu verteufeln hilft nicht, vielmehr kann sie Botschafterin sein für das, worum es eigentlich geht.

Mitfühlend mit mir selbst

Wonach sehne ich mich, wenn in mir die Gier am Start ist? Was will ich wirklich? Was taucht auf, wenn ich diese Fragen in mir sinken lasse? Da ist meine Sehnsucht, aufgehoben zu sein, wie auch immer ich gerade unterwegs bin, geliebt zu sein, das Vertrauen zu leben, dass, wo immer sich eine Tür schließt, eine andere sich öffnet. Nichts davon kann ich herstellen durch irgendwelche Dinge von außen. Denn alles das ist schon da, es ist bereits in mir, ich brauche mich nur darauf einzulassen. Der amerikanisch-britische Schriftsteller Henry James (1843 – 1916) schrieb von drei Dingen, die im Leben wichtig seien: Das Erste ist, freundlich zu sein. Das Zweite ist, freundlich zu sein. Und das Dritte ist, freundlich zu sein. Mitfühlend mit mir selbst beginnend eröffnet sich auch in die Welt hinein eine Brücke über den Abgrund, überwindend die Gier und ihr Leid. Und wissend um die Festigkeit menschlicher Gewohnheiten nehme ich mir vor, jeden Morgen neu damit zu beginnen, über diese Brücke zu gehen.

Christoph Kunz | Lukas 16, 19–31

 

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