parallax background

Welt nicht Fanatikern, Gleichgültigen und Extremisten überlassen

25. Januar 2025

Der Magdeburger Bischof Gerhard Feige kritisiert Halbwahrheiten und gibt Hoffnung in den Herausforderungen unserer Zeit. Zur Bundestagswahl spricht der Bischof klare Worte. Menschen guten Willens und ChristInnen seien gefordert sich zu positionieren. Er ruft zu mehr Aufrichtigkeit im Bundestags-Wahlkampf auf.

Bischof Gerhard Feige sagt am Sonntag in der Magdeburger Kathedrale St. Sebastian: „Selbst wenn nicht bewusst und dreist in die Irre geführt oder getäuscht werden soll, sind es doch Halbwahrheiten und Vereinfachungen, vage Versprechungen und ausweichende Antworten, die aus strategischen Gründen oftmals eine Rolle spielen“, predigt Feige. Es bestehe eine gewisse Tragik darin, dass Politiker, die sich bemühten, offen und ehrlich zu kommunizieren, zunehmend weniger Zustimmung fänden als solche, „die mit dem Gift der einfachen Lösungen daherkommen“. „Überlassen wir unsere Welt nicht Fanatikern und Extremisten, Psychopaten und Oligarchen, Tyrannen und Diktatoren“, mahnte der Bischof. „Setzen wir uns vielmehr mit all unseren Kräften und Möglichkeiten für Wahrheit und Gerechtigkeit ein, Solidarität und Nächstenliebe, Anstand und Respekt, ein friedliches Miteinander und die Achtung vor der Unantastbarkeit der Würde eines jeden Menschen.“ Hier seien gerade auch Christen gefragt, sich pro-aktiv zu engagieren: „Auch wenn wir nicht gefragt werden, sollten wir Gleichgültigkeit und Furcht ablegen und uns mit unseren christlichen Idealen entschieden und mutig in die gegenwärtigen Entwicklungen einmischen“, betonte Feige. „Nehmen wir diese Herausforderung an! Verlieren wir nicht die Hoffnung!“

Menschen wollen Lösungen

Die Menschen erwarteten konkrete Lösungen, aber auch ehrliche Antworten, Transparenz und Verlässlichkeit, Bürgernähe und Bodenständigkeit, so Feige weiter. Weil die gesellschaftliche Gemengelage aber oftmals anders erfahren werde, gebe es viel Enttäuschung und Frustration. Eine Demokratie lebe nicht von Feindbildern oder einem Rückfall in archaische Verhaltensweisen, sondern von einem engagierten Austausch der Argumente und einer verantwortungsbereiten Zivilcourage. „In Europa bläst uns seit einiger Zeit wieder ein rauerer Wind ins Gesicht. Wie kann man da zu seinem christlichen Glauben stehen und ihn überzeugend leben?“, führt Feige aus. Eine Pauschallösung hat es wohl nie gegeben und gibt es auch heute nicht. Was aber könnte das für uns heutzutage bedeuten? „Seid stets bereit,“ – so formuliert es der Verfasser des 1. Petrusbriefes (3.15b) – „jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt, …“ Meistens fragt niemand, und viele sind hilflos, sich gegebenenfalls dazu zu äußern. Ein gutgemeinter Ratschlag wäre da: „Rede nicht über deinen Glauben, wenn du nicht gefragt wirst, aber lebe so, dass du gefragt wirst.“ Feige stimmt dem nicht zu. Er meint: „Auch wenn wir nicht gefragt werden, sollten wir Gleichgültigkeit und Furcht ablegen und uns mit unseren christlichen Idealen entschieden und mutig in die gegenwärtigen Entwicklungen einmischen. Vieles macht uns da zu schaffen, besonders wohl die politischen und zwischenmenschlichen Verwerfungen und Konflikte“, betont der Maggdeburger.

Halb- und Unwahrheiten

„Wach auf, wach auf, du deutsches Land, du hast genug geschlafen…“ So beginnt ein geistliches Lied aus dem 16. Jahrhundert. Und etwas weiter heißt es darin: „Die Wahrheit wird jetzt unterdrückt, will niemand Wahrheit hören; die Lüge wird gar fein geschmückt, man hilft ihr oft mit Schwören. Dadurch wird Gottes Wort veracht, die Wahrheit höhnisch auch verlacht. Die Lüge tut man ehren.“ Als DDR-Bürger habe ich das gelegentlich mit bitterer Ironie, tiefer Wehmut und trotziger Hoffnung gesungen. Und heute? Beschreibt dieser Text nicht Erfahrungen, die wir so nie wieder machen wollten, die aber zunehmen und zeigen, wie sehr Menschen verführbar sind und unsere freiheitlich-demokratische Gesellschaft gefährdet ist? Wie verbreitet ist es doch, zu lügen und belogen zu werden, in fast allen Bereichen, auch in der Politik. Otto von Bismarck wird das Bonmot zugeschrieben, dass nie so oft gelogen werde wie „vor der Wahl, während des Krieges und nach der Jagd“. Vieles spricht dafür, dass totalitäre Staaten ohne systematisches Lügen überhaupt nicht existieren können. Auch Demokratien sind nicht gänzlich davon frei. Selbst wenn nicht bewusst und dreist in die Irre geführt oder getäuscht werden soll, sind es doch Halbwahrheiten und Vereinfachungen, vage Versprechungen und ausweichende Antworten, die aus strategischen Gründen oftmals eine Rolle spielen.

Bei einem Teil der Bevölkerung ist das Vertrauen in unser Gesellschaftssystem erschüttert, und so machen Verdächtigungen und Verschwörungen die Runde; von der „Corona-Lüge“ ist die Rede wie von der „Impf-Lüge“, der „Asyl-Lüge“ und der „Klima-Lüge“ oder auch der „Lügenpresse“, je nachdem, welche „Wahrheitsvorstellung“ gerade vertreten wird. Wahrheit scheint eher zur Gefühlssache geworden zu sein. Viele informieren sich inzwischen nicht mehr über öffentlich-rechtliche Medien, sondern alternativ im „Social Web“ in „Filter-Blasen“ und „Echo-Kammern“. Darüber hinaus verbreiten sich auf dramatische Weise immer mehr Unwahrheiten in Form von gezielten Fake News und Desinformationskampagnen, mittlerweile verstärkt durch künstliche Intelligenz – laut Weltwirtschaftsforum eines der größten Bedrohungen der Gegenwart. Hinzu kommt das verlogene Spiel von sogenannten Parlamentariern, die sich selbst verharmlosend als alternative „Saubermänner“ gebärden, aber über andere hasserfüllt herziehen und letztendlich unsere Demokratie untergraben wollen. Gekrönt wird das noch, wenn Machthaber – egal ob Putin oder Trump – sich als besonders von Gott auserwählt und als Retter ihres Volkes oder als Lichtgestalten im Kampf des Guten gegen das Böse inszenieren, und gewisse kirchliche Vertreter solche Perversionen noch umrahmen.

Verantwortungsbereiten Zivilcourage

Ehrlichkeitshalber muss man sagen, dass zu einer Lüge zwei gehören: einer, der lügt, und einer, der sich belügen lässt oder belügen lassen will, weil er die Wahrheit scheut oder sich ihr nicht gewachsen fühlt. Darin besteht auch eine gewisse Tragik, dass Politiker, die sich bemühen, offen und ehrlich zu kommunizieren, zunehmend weniger Zustimmung finden als solche, die mit dem Gift der einfachen Lösungen daherkommen. Skandalisierungen oder Beschönigungen, Schwarz-weiß-Malereien und populistische Argumentationsmuster oder hohle Phrasen und markige Parolen aber unterhöhlen die Glaubwürdigkeit von Personen des öffentlichen Lebens wie von Medien. Und bei Umfragen, die ja nicht nur Meinungen erheben, sondern auch beeinflussen, geht es oftmals weniger um Argumente als um Bauchgefühle. Stattdessen aber werden von vielen ehrliche Antworten erwartet, Transparenz und Verlässlichkeit, Bürgernähe und Bodenständigkeit. Vor allem jedoch hofft man auf konkrete Lösungen.

Darum „haben Wahlen“ – wie Giovanni di Lorenzo, der Chefredakteur der Wochenzeitung „Die Zeit“, zu Recht anmahnt – „noch etwas mit Inhalten zu tun, mit Werten und mit Glaubwürdigkeit“ und nicht mit „Inszenierung, mit geschicktem Schauspiel und vorgegaukelter Seriosität“. Weil die gesellschaftliche Gemengelage aber oftmals anders erfahren wird, gibt es viel Enttäuschung und Frustration, steigen manche gewissermaßen regelrecht aus und schimpfen nur noch auf „die da oben“, erscheint „Ablehnung“ als eine verbreitete Lebenshaltung. Eine Demokratie aber lebt nicht von Feindbildern oder einem Rückfall in archaische Verhaltensweisen, sondern von einem engagierten Austausch der Argumente und einer verantwortungsbereiten Zivilcourage. Und hier könnte auch unser Beitrag als Christen und Kirche bestehen, sich mit Herz und Verstand fantasievoll und tatkräftig an den Diskussionen und Entwicklungen zu beteiligen. Überlassen wir unsere Welt nicht Fanatikern und Extremisten, Psychopaten und Oligarchen, Tyrannen und Diktatoren! Setzen wir uns vielmehr mit all unseren Kräften und Möglichkeiten für Wahrheit und Gerechtigkeit ein, Solidarität und Nächstenliebe, Anstand und Respekt, ein friedliches Miteinander und die Achtung vor der Unantastbarkeit der Würde eines jeden Menschen, egal ob jung oder alt, mit oder ohne Behinderung, bei uns oder anderswo geboren. Martyria im christlichen Sinn meint nicht nur, sein Leben – wie Sebastian – für Christus im äußersten Fall tatsächlich hinzugeben, sondern auch und vor allem, seinen Glauben an ihn im Alltag auf vielfältige Weise zu bezeugen. Aber auch dazu gehören oftmals Mut und Ausdauer, Tapferkeit und Stärke.

Dr. Gerhard Feige

Das Bistum Magdeburg beteiligt sich zusammen mit anderen katholischen Bistümern und evangelischen Landeskirchen an der ökumenischen Kampagne „Für alle. Mit Herz und Verstand“ zur Bundestagswahl. Die Kirchen rufen damit zum verantwortungsvollen Mitgestalten der Zukunft auf und wenden sich gegen populistische Wahlparolen. Die Werte Menschenwürde, Nächstenliebe und Zusammenhalt sollen durch die Kampagne vor der Bundestagswahl in den Mittelpunkt gerückt werden.

 

Feedback 💬

Ihre E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert